„​Sie bringen ihre Teufel zu uns“ – Bei einem Exorzismus in Ägypten

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„​Sie bringen ihre Teufel zu uns“ – Bei einem Exorzismus in Ägypten

Passend zur Weihnachtszeit erzählt unser Autor, wie koptische Christen in Nordafrika Dämonen austreiben.

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„Am Rande von Kairo treibt ein Priester den Teufel aus", erzählte mir mein koptischer Freund Boutros. Da ich Exorzismus bisher nur aus Büchern und Filmen kannte, fuhr ich hin, um mir das anzusehen.

Mit dem Auto brauchen wir 40 Minuten von Down Town bis zur St. Simeon Kirche in Manshiet Naser. Boutros kennt den Weg durch das Gassenlabyrinth, wohin Kopten den Auswurf der Millionenstadt schaffen, ihn sortieren und an Recyclingfirmen verkaufen.

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Es ist Donnerstagabend und wie jede Woche haben sich ein paar hundert Menschen vor der Felsenkirche versammelt. „Vater Samaan wird ihr helfen", sagt Elia, ein koptischer Taxifahrer aus Shubra, der mit seiner Familie hierher gekommen ist. Er und seine Frau vermuten, dass ihre Tochter Sarah von Satan besessen ist. Die 19-Jährige—das lange schwarze Haar zu einem Zopf gebunden, drei parallele Schnittwunden am linken Unterarm—hat den Blick gesenkt.

Woher sie das wissen, frage ich. „Es begann vor ein paar Wochen mit Albträumen, von denen sie Nachts aufwachte", sagt der Vater. Untertags sei sie aggressiv, sie wolle nicht mehr in die Kirche gehen, verweigere die Kommunion. Dann begann sie, ihr Essen zu erbrechen. „Wir gingen zu einem Arzt, doch er konnte ihr nicht helfen." Also sind sie jetzt hier bei Vater Samaan, dem koptischen Priester, der den Teufel austreibt. Und während hinter den Minaretten im Westen der Stadt die Sonne versinkt, strömen die Menschen in die Kirche.

Wenn Vater Samaan vom Satan spricht, dann donnert seine Stimme durchs Mikro. Er warnt die 500 versammelten Gläubigen vor dem Teufel, seinen Versuchungen und Heimsuchungen. Auf der Großbildleinwand sieht man die Gestalt des 74-jährigen Predigers auch in der letzten Kirchenbank. Schwarze Kutte, der Blick einmal grimmig, das Holzkreuz zur Abwehr erhoben, dann wieder breitet er die Arme aus, spricht leise, lächelt in seinen weißen Bart.

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Er ist ein Mann der Tat, mit breiten Schultern und großen Händen, der in den 70ern den Grundstein für diese Kirche legte. Heute bietet die St. Simeon Kirche 10.000 Menschen Platz. In der ersten Reihe sitzt ein Dutzend Musliminnen. Mit ihren Kopftüchern fallen sie zwischen den unbedeckten Haaren der Kopten auf. „Die bringen ihre Teufel zu uns", sagt Boutros, mein koptischer Begleiter. Die islamischen Sheikhs seien nicht stark genug, es brauche die Kraft von Jesus Christus. Nach über einer Stunde ist die Messe zu Ende. Und während der Großteil der Gläubigen die Kirche verlässt, wendet sich Vater Samaan den Verbleibenden zu, die ebenfalls glauben, vom Teufel besessen zu sein.

Einer der Gehilfen des Priesters schüttet ihm Wasser aus einer Plastikflasche in die hohle Hand. Das schnalzt er den Frauen ins Gesicht. Unruhe kommt auf, die sich nach einer zweiten Ladung geweihtem Wasser zur Aufregung steigert. Es wird laut. Frauen jammern, kreischen, Schreie gellen durch die Kirche. „Kannst du die Teufel sehen?", fragt Boutros. „Eine Armee."

Ich sehe sie nicht, bemerke, dass unsere Erfahrungsrealitäten völlig unterschiedlich sind. Statt dessen sehe ich etwas, das ich als Massenpsychose deuten würde. Ein Gruppenritual, das sich aufzuschaukeln beginnt. Menschen drängen sich um den Priester, der auf eine Rothaarige im weißen T-Shirt einredet. Für eine Sekunde streift mich ihr Blick, der ins Leere geht. Ihre Gesichtsmuskeln verkrampfen sich zu Grimassen, die Finger streckt sie seltsam gespreizt von sich. Es erinnert mich an einen epileptischen Anfall. Boutros spricht mit der Mutter der Irgendwas-über-20-Jährigen.

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„Es ist, als würde ich mit dem Teufel leben", sagt sie und kämpft mit den Tränen. „Immer wenn ich mit ihr spreche …", ihre Stimme bricht. „Das ist nicht mehr meine Tochter." Boutros nickt verständnisvoll. Der Priester tippt der Rothaarigen heftig auf die Stirn. „Hinfort!", tönt seine Stimme. „Verlasse sie und komm nicht wieder zurück!" Weihwasser.

„Sie spürt den Schmerz nicht. Es ist Satan, der aus ihr schreit." Es braucht drei erwachsene Männer, um sie auf den Boden zu drücken und festzuhalten.

Die Gesichtszüge der jungen Frau verzerren sich zu einer Fratze. Der Priester packt sie am Haarschopf, schüttelt sie. „Sie spürt den Schmerz nicht", so Boutros. „Es ist Satan, der aus ihr schreit." Dann sind die Helfer in blauen Polo-Shirts zur Stelle. Es braucht drei erwachsene Männer, um sie auf den Boden zu drücken und festzuhalten.

Mir wird die Sicht auf die beiden verstellt. Ich fotografiere andere Frauen, werde bedroht, man will mir die Kamera zerschlagen. Keine Fotos von den Frauen mit Kopftuch, sagt einer der Helfer. Musliminnen in einer christlichen Kirche, das sei sehr heikel. Irgendwann später gibt es Applaus im Kreis um die rothaarige Frau. „Satan hat sie verlassen", sagt Boutros zufrieden. Auch sein Gesicht hat etwas Weihwasser abbekommen.

Dann ist Sarah an der Reihe. Sie dreht ihr Gesicht zur Seite, will weg vom Priester. Als sie eine weitere Handvoll Wasser ins Gesicht bekommt, brüllt sie und überdreht die Augen.

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„Wie viele seid ihr?", fragt der Priester. Als sie nicht antwortet, drückt er ihr das Kreuz ins Gesicht. Sie schreit auf, windet sich in der Kirchenbank.

„Wie viele?", der Priester mit lauter Stimme.
„Wir sind einer", sagt sie in männlich tiefer Stimme.
„Dein Name?"
Er zwickt sie ins Ohr, bis sie aufschreit: „Du tust mir weh!"
„Wie ist dein Name?"
„Osman!", antwortet sie schließlich, beugt sich nach vorne und würgt.
Der Priester packt sie am Ohr und zieht sie hoch: „Sprich den Namen des Messias!" Sie schweigt.

„Sie kann den Namen nicht aussprechen, weil der Teufel noch in ihr ist", flüstert Boutros. „Manche lassen sich nicht leicht vertreiben." Schließlich beginnt sie zu toben, Helfer drängen sich um sie und mich hinaus aus dem Kreis der Umstehenden.

Der Exorzismus läuft jetzt seit einer Stunde. Rund 20 Frauen hat Vater Samaan heute Abend „behandelt". Bei manchen reichte etwas Weihwasser und seine Hand auf ihrer Stirn, bei anderen war es ein Ringen mit einer Psychose, die sie hier „Besessenheit" nennen.

Ein Psychodrama aus Beschwörung, Widerstand und Austreibung. Das ganze hat mehr von Theater mit Teilnahme als einer tatsächlich wirkungsvollen Aktion. Der alte Priester schwankt, wirkt erschöpft. Er legt einem Mann das Kreuz auf, bläst einem anderen auf die Stirn. Dann zieht er sich zurück, steht vorne beim Altar, die Augen geschlossen. Ein anderer Priester kümmert sich um die verbliebenen Fälle.

Nach weiteren 15 Minuten wird es ruhig. Auch Sarah und ihre Familie verlassen die Kirche. Auf meine Frage, ob es ihr besser gehe, antwortet sie nicht. Die Mutter hat ihr die Hand auf die Schulter gelegt.

„Sarah wird wieder gesund", sagt der Vater überzeugt. Dann gehen sie. Zurück bleibt eine einsame Kirche im Dämmerlicht und ich frage meinen Begleiter, wo all die Teufel jetzt sind, die heute Abend ausgetrieben wurden. Boutros hat darauf keine Antwort.

Und es ist nicht die einzige Frage, die offen bleibt. Exorzismen dienen in Ägypten auch als Vorwand und Rechtfertigung für gewalttätige Übergriffe gegen vermeintlich besessenen Frauen—bis hin zur Ermordung bei der Teufelsaustreibung. Gleichzeitig gibt es auch in Europa Menschen, die sich von finsteren Mächten bedroht fühlen und bei Priestern Hilfe suchen. Trotz Aufklärung boomt der Exorzismus.

Mehr von Markus Schauta gibt es auf seiner offiziellen Website.