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​Der Islamische Staat hat Erdogan in einem Video den Krieg erklärt

Der IS erklärt Erdogan zum Verräter, ruft die Türken zum Dschihad auf und verlangt den Anschluss der Türkei an den IS. Ist die Türkei in Gefahr?

Zum ersten Mal wendet sich der IS in einem längeren türkischen Beitrag direkt an die Türkei. Es ist eine eigenartige Mischung von Drohungen, Ermahnungen und Aufforderungen an die türkische Bevölkerung, die in den knapp 7 Minuten geliefert wird. Ein Grundmotiv ist, dass die Türken siegreich und auf dem richtigen Wege waren, solange sie islamisch gelebt haben. Als die Türkei dann säkular wurde und nicht mehr Gottes Gesetze befolgte, begann das Verderben—so der IS-Geschichtenerzähler. Um wieder stark und gut zu werden, müssten die Türken Reue zeigen, indem sie in den Heiligen Krieg, den Dschihad, ziehen.

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Allerdings ruft der IS nicht wie sonst üblich dazu auf, entweder in das IS-Gebiet zu kommen und sich dem IS dort anzuschließen oder im Westen Anschläge und Attentate gegen Ungläubige auszuüben. Stattdessen soll die türkische Bevölkerung einen Aufstand gegen die eigene Regierung durchführen—und die Türkei insgesamt an den „Islamischen Staat" anschließen. Die IS-„Argumente", warum Erdoğan und sein AKP-Regime durch die IS-Herrschaft ersetzt werden sollten, fallen in zwei Schubladen.

Wenig überraschend ist die übliche IS-Argumentation, dass die türkische Regierung nicht nach dem islamischen Gesetzen handelt und unislamisches Teufelszeug wie Demokratie usw. zulässt. Weil aber nach der Vorstellung des IS Herrschaft nur dann legitim ist, wenn Gottes Gesetze uneingeschränkt gelten, wird die türkische Republik als ein illegitimes, gegen Gott gerichtetes System bezeichnet. Deswegen seien die Muslime in der Türkei verpflichtet, dieses System abzuschaffen und ihr Land dem einzig legitimen islamischen Staat der Welt, dem IS, anzuschließen.

Gute Islamisten sprechen nicht mit Amerikanern. Screenshot aus dem Film.

Im Widerspruch dazu steht die zweite Argumentationsschiene, die darauf zielt, Erdoğan und der AKP zu unterstellen, die Türkei zu verraten und an fremde Mächte zu verkaufen. Der gleiche IS, der sonst immer davon redet, dass es nur darauf ankomme, dass Muslime echte Muslime sind und ethnische Fragen keine Rolle spielen würden, benutzt hier scheinbar die gleichen Argumente wie die türkischen Kemalisten und säkularen Nationalisten. Erdoğan würde Istanbul an die „Kreuzritter" (die islamistische Umschreibung für den Westen) übergeben und die gesamte Türkei an die PKK und die „Kreuzritter" ausliefern—so der IS-Sprecher. Die PKK und die „Kreuzritter" würden dann eine Schreckensherrschaft errichten, in der die Türken versklavt, ihre Kinder getötet und ihre Frauen vergewaltigt werden. Hier taucht dann wieder der Bezug auf die „glorreiche" türkische Geschichte auf, als die Türken noch für den Islam gekämpft hätten und deswegen siegreich und stark gewesen seien.

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Das Bedrohungsszenario, das das Video für die Türkei zeichnet

Der IS benutzt in der „Botschaft an die Türkei" einen weiteren Kniff, um die türkische Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Während der IS ansonsten üblicherweise deutlich zwischen „echten" Muslimen auf der einen Seite und den Ungläubigen und den „Apostaten" (also allen Muslimen, die eine andere Islamvorstellung als der IS haben) auf der anderen Seite unterscheidet, kommt hier eine andere Kategorie verstärkt zum Einsatz: Taghut.

Als Taghut bezeichnen Dschihadisten alle, die nicht nach Gottes Gesetzen leben. Der IS bietet auch den Türken, die er als Taghut ansieht, die Möglichkeit, durch Reue und anschließenden Dschihad gegen die eigene Regierung wieder zu „echten" Muslimen zu werden. Insofern lässt sich die Videobotschaft als eine Art Ermahnung verstehen, weil wahrscheinlich eine unvermittelte Drohung aus der IS-Perspektive als nicht zielführend angesehen wird. Auch der Aufruf an die Dschihadisten, in der Türkei tätig zu werden, ist mit Absicht wage gehalten und beinhaltet keine Aufforderung, sofort gegen die türkische Bevölkerung insgesamt zu agieren.

Der Bruch mit Erdoğan und der AKP-Regierung ist deutlich. Das zeigt, dass die Zeiten, in denen die Türkei den IS geduldet und indirekt unterstützt hat, ganz klar vorbei sind. Es ist übrigens kein Zufall, dass der IS diese Botschaft gerade jetzt veröffentlicht. Die Türkei interveniert zunehmend im syrischen Bürgerkrieg und baut dort Kräfte auf, die neben dem Assad-Regime und der kurdischen PYD nun auch den IS bekämpfen sollen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Risiko, dass der IS in der Türkei Anschläge und Attentate ausübt, hiermit gewachsen ist.

Für mehr aktuelle Infos folgt Ismail auf Twitter: @ismail_kupeli