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Die Droge Spice ist jetzt auch in Russland auf dem Vormarsch

Konkurrenz für Krokodil: Seit September hat die Designerdroge Spice 700 Menschen ins Krankenhaus und 24 ins Grab gebracht.

Foto: Schorle | Wikimedia | CC BY-SA 2.0

Ilja stand neben einer Bank nahe des Puschkin-Platzes im Zentrum Moskaus, steckte einen kleinen Klumpen einer grünen Substanz in eine Zigarette und zündete sie an. Was folgte, waren 15 Minuten Desorientierung und Entkörperlichung. Es war, als ob man sich zu Tode betrinken und die Kontrolle über Sprache und Gliedmaßen verlieren würde.

Das ist die Wirkung von „Spice”, einer Räuchermischung aus harmlosen Kräutern, die mit Designerdrogen besprüht werden, welche die Wirkung von Marihuana nachahmen. Zwei Jahre nachdem Ilja mit seinen Freunden in der Nähe des Puschkin-Platzes Spice geraucht hatte, starb er im Alter von 35 Jahren in der Wohnung, in der er mit seiner Mutter und seinem Bruder lebte, an einer Überdosis Wodka, Heroin und Spice. Iljas Bruder, der in jener Nacht zusammen mit ihm Spice geraucht hatte, liegt gerade zur Entgiftung im Krankenhaus.

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Ilja gehört zur wachsenden Zahl von Opfern, die dieser scheinbar harmlose und häufig süchtig machende Marihuana-Ersatz einfordert. Weil man nie genau sagen kann, welche Substanzen in der Mischung verwendet wurden, kann man auch nie genau sagen, wie die Mischung wirken wird. Um dem Gesetzgeber zuvorzukommen, wird die Zusammensetzung laufend geändert.

Weil in den vergangenen Monaten über 700 Menschen in Russland wegen Spice ins Krankenhaus eingeliefert wurden und mindestens 24 Menschen starben, greifen die Behörden jetzt hart gegen die Droge durch, die Heroin und dem berüchtigten fleischfressenden Opiat „Krokodil” als Gefahr für die Öffentlichkeit Konkurrenz macht.

„Ich mochte es nie und habe Ilja auch gesagt, dass er es nicht rauchen sollte. Dass es besser sei, wenn er einfach Gras raucht. Aber Spice ist eben billig und man kriegt es überall”, erzählte uns Walera, ein Freund von Ilja, der bei dem traditionellen, wodkagetränkten Leichenschmaus zu Ehren seines verstorbenen Kameraden anwesend war.

„Man bekommt es nicht mehr am Kiosk, weil sie die meisten Kioske dicht gemacht haben. Aber Spice-Händler schreiben ihre Telefonnummern auf den Bürgersteig und in der Nachbarschaft kennt ja jeder jeden.”

Jewgeni Roisman ist Bürgermeister von Jekaterinburg, der viertgrößten Stadt Russlands, und Mitbegründer des Fonds „Stadt ohne Drogen”, der sowohl Lob als auch Kritik für seinen harschen Umgang mit den Drogenabhängigen erntete. Roisman hat davor gewarnt, dass Heroin „ein Problem von gestern” sei, weil Spice viel weiter verbreitet sei und viele junge Konsumenten anziehe.

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„Die Menschen wissen gar nicht, was sie da eigentlich rauchen und deshalb sind die Konsequenzen auch viel ernster”, sagte Roisman VICE News. „Die Menschen werden in psychiatrische Kliniken gebracht, aber dort weiß man auch nicht, was man mit ihnen machen soll. Häufig verlieren die Konsumenten den Verstand. Die psychologischen Konsequenzen sind gravierend.”

Die Jekaterinburger Nachrichtenseite Znak.com berichtete, dass die Zahl von Drogenüberdosen im September gestiegen sei. Sie zitierte einen Bericht des regionalen Vergiftungszentrums, in dem angegeben wurde, dass 20 von 32 eingelieferten Personen Spice konsumiert hätten.

Die Droge hatte es Ende September in die Nachrichten geschafft, als in der Oblast Kirow mindestens 150 Menschen Vergiftungserscheinungen zeigten und vier starben, nachdem sie die Droge konsumiert hatten. Einschließlich eines 15-jährigen Jungen, dem schlecht wurde, nachdem er die Droge an einem Flussufer geraucht hatte, daraufhin ins Wasser gefallen und ertrunken ist. Die Epidemie verbreitete sich schnell. Sechs Menschen starben in Surgut in Sibirien, zwei in der Republik Komi. Außerdem erlitten zahlreiche Menschen in diesen und anderen Regionen Vergiftungen. Ein 16-jähriges Mädchen, das vor dem Krieg aus Luhansk in der Ostukraine geflohen war, starb diesen Monat, nachdem es in der Region Krasnodar in Südrussland Spice geraucht hatte.

Russische Medien haben berichtet, dass Spice-Konsumenten häufig Selbstmord begehen und Aufnahmen von wahnsinnig gewordenen Menschen, die aus Fenstern springen, gezeigt. „Eines Tages bin ich aufgestanden und mir war klar, dass der einzige Weg, wie ich meinem furchtbaren Leben entkommen konnte, der war, meine beiden Kinder und dann mich selbst umzubringen”, sagte eine Spice-Abhängige dem Guardian. „Ich war überzeugt davon, dass das meine einzige Option war. Glücklicherweise hat mein Mann mich aufgehalten und mich beruhigt. Aber was ist denn mit den Menschen, die diese Unterstützung nicht haben?”

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Im Oktober gab der Leiter der staatlichen Drogenkontrollstelle, Viktor Iwanow, an, dass Spice-Mischungen seit dem 19. September insgesamt 700 Menschen vergiftet und mindestens zwei Dutzend Menschen das Leben gekostet haben. Diese tödlichen Spice-Päckchen enthielten eine neue Designerdroge, die unter dem Namen MDMB (N)-Bz-F bekannt sei, sich nicht auf der Liste verbotener Substanzen befinde und damit legal sei.

Laut Iwanow habe die Strafverfolgungsbehörden bereits Razzien durchgeführt und 20 mutmaßliche Dealer festgenommen. Angesichts der Tatsache, dass die Behörden insgesamt 22 Tonnen Spice beschlagnahmt haben, gab er jedoch zu, dass das Problem sehr schnell größer werde. Die Schuld für die Epidemie suchte Iwanow bei Massenschmuggelaktionen von „ausländischen Mafias”, aber auch bei der Unfähigkeit der russischen Behörden, mit den sich schnell ändernden chemischen Formeln der in Spice verwendeten Designerdrogen mitzuhalten.

Das russische Staatsfernsehen deutete an, dass für die Verbreitung der Droge Gruppierungen aus der benachbarten Ukraine verantwortlich gemacht werden können, wo russische Soldaten die Aufstände bewaffneter Separatisten im Osten des Landes unterstützen. In einem Beitrag in der Nachrichtensendung Rossija 1, die von Dmitri Kisseljow, dem schwulenfeindlichen, antiwestlichen TV-Moderator und Leiter der staatlichen Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja, moderiert wird, wurden vier angeblich ukrainische Männer gezeigt, die Spice geschmuggelt hatten und in Surgut von der Polizei festgenommen worden sind. „Sie wurden vor drei Wochen in Mykolajiw rekrutiert. Man hat ihnen 3000 Dollar im Monat angeboten, damit sie in Russland arbeiten”, betonte der Kommentator. Allerdings hieß es auch, das Spice selbst sei in China produziert worden.

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Zu den Maßnahmen, die Iwanow vorschlug, gehören neue Gesetze, die es der staatlichen Drogenkontrollstelle erlauben würden, neue Substanzen, die sie für Rauschgift hält, für einen Zeitraum von drei Jahren zu verbieten. Diesbezügliche Gesetzesvorschläge wurden bereits eingebracht. Die Kontrollstelle hat auch vorgeschlagen, die Freiheitsstrafen für diejenigen, die Spice verkaufen und einer kriminellen Bande angehören oder die Spice verkaufen, das Konsumenten umbringt, auf acht Jahre zu erhöhen.

Roman Chudjakow, ein Abgeordneter der nationalistischen Liberal-Demokratischen Partei Russlands, hatte kürzlich vorgeschlagen, dass die Todesstrafe speziell für Spice-Dealer wiedereingeführt werde.

In einem vor Kurzem veröffentlichten Video waren „Spezialeinheiten” der Drogenkontrollstelle in kugelsicheren Westen und Helmen zu sehen, die eine dramatische Spice-Razzia auf dem Parkplatz eines Garagenkomplexes veranstalteten. In dem Video sprangen die mit Maschinengewehren bewaffneten Polizisten aus einem Transporter und feuerten in die Luft, nur um kurz darauf ein halbes Dutzend Männer in Jogginghosen und Windbreakern auf den Boden zu werfen. Im Auto der mutmaßlichen Schmuggler fanden sie Spice, das in einem Geheimfach im Kofferraum versteckt war, sowie eine Kalaschnikow und eine Pistole.

Doch trotz all der Razzien und der Gesetzesvorschläge bleibt Spice leicht zugänglich, selbst in der Hauptstadt. Das haben VICE News zumindest Moskauer Bürger erzählt, die die Substanz schon mal probiert haben. Man könne die Telefonnummern von Dealern in Internetforen finden. Außerdem gebe es zahlreiche Internetseiten, über die man Räuchermischungen bestellen kann. Die Moskauerin Uljana, die ihren Nachnamen nicht nennen wollte, sagte uns, dass man die Droge immer noch an einigen Kiosken kaufen könne.

„Wenn du weißt, was du suchst, gehst du einfach hin, hältst 500 Rubel hin und sagst, dass du ein schwarzes Viereck haben willst. Und das bekommst du dann auch”, sagte sie und benutzte dabei den Slang-Ausdruck, der sich davon ableitet, dass Spice häufig in kleinen schwarzen Päckchen verkauft wird.

Uljana hat früher Spice geraucht. Nach einem Paranoia-Anfall, wurde ihr allerdings klar, dass diese Droge wesentlich schlimmere Nebenwirkung hat als Marihuana.

„Du fühlst dich danach schlecht. Es schadet deinem Körper und gut fühlst du dich nach dem Konsum auch nicht. Aber wenn jemand sich umbringen möchte, na ja, Spice ist billig und leicht zu bekommen. Man kann das Bewusstsein abschalten und versuchen, in irgendein Nirvana zu gelangen.”