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Biss zum Erbrechen - 10 Stunden Twilight und der Wunsch zu sterben

Zehn Stunden lang haben wir Bella und Edward dabei zugesehen, wie nichts in ihrem Leben passiert, und es ist uns unbegreiflich, wieso gerade diese dröge Geschichte voller alter Rollenmuster und Rassismus der feuchte Traum von so vielen Frauen ist.
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Diese Vampire sind nicht totzukriegen. Auch der letzte Teil der Twilight-Saga Breaking Dawn - Teil 2 war ein absoluter Kassenschlager. Bereits in den ersten Tagen strömten 1,26 Millionen Vampir-Fans in die Kinos und zeigten damit sogar James Bond den glitzernden Mittelfinger. Seit 2008 werden wir jährlich mit einem neuen Twilight-Film belästigt und es ist fast unmöglich, den ganzen Rummel zu ignorieren. Die Hauptdarsteller Kristen Stewart, Robert Pattinson und Taylor Lautner grinsen blöd von Werbetafeln, Magazin-Covern, Brotdosen, Rucksäcken, Wurstpackungen und beinahe jeden Tag sieht man sie lustlos über die roten Teppiche dieser Welt schlurfen.
Die Klatsch- und Tratsch-Magazine sind zugemüllt mit belanglosen Gerüchten über das dröge Liebesleben von Kristen und Robert, da ihnen offensichtlich so langweilig ist, dass sie ihre Filmcharaktere im realen Leben einfach imitieren. Dramen, Liebe, Affären, angebliche Schwangerschaft und Hochzeit. Twilight ist ein Garant für kreischende Teenies und volle Kassen. Wieso—das blieb mir bis heute ein Rätsel. Um zu verstehen, was zum Teufel so spannend an dem Twilight-Quatsch ist, sah ich mir alle fünf Filme hintereinander an. Zehn Stunden lang habe ich Bella und Edward dabei zugesehen, wie absolut nichts in ihrem Lebens passiert, und war am Ende so genervt, dass ich selbst den Drang hatte, jemandem weh zu tun oder ihn zu beißen.

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Ich beginne den Marathon des Schreckens am frühen Nachmittag und bin noch guter Dinge. Es gibt Kuchen und meine Laune ist ausgezeichnet. Ich freue mich auf ein bisschen Schund und Drama und ganz viel Junk Food. Ich mache es mir gemütlich und drücke auf Play. Und Bella (Kristen Stewart) blickt mit leeren Augen in die Kamera fängt an zu labern. Und labert. Und labert. Ich bin jetzt schon leicht angenervt und frage mich ehrlich, was ihr verdammtes Problem ist. Wir werden es nie erfahren, auch nicht in den nächsten zehn Stunden. Unmotiviert schleppt sie sich von Szene zu Szene, lernt nach einer gefühlten Ewigkeit endlich Edward (Robert Pattinson), den Coolen von der Schule, kennen und verliebt sich in ihn. Da sich der Typ komisch verhält, vermutet sie, dass er ein Vampir ist. Logisch. Total klar. Ist auch immer mein erster Gedanke, wenn sich mal wieder ein Typ daneben benimmt. Die beiden kommen zusammen und endlich muss sie nicht mehr ihre eigenen Entscheidungen treffen, da er jetzt über ihr Leben bestimmt, ihr sagt, was sie zu tun und zu lassen hat, und sich zu einem richtig dominanten Kotzbrocken entwickelt. Sie ist natürlich hin und weg und mit ihr Millionen weiterer Mädchen und Frauen, die sich den Schrott im Kino ansehen. Offensichtlich ist es plötzlich wieder erstrebenswert, sich einen dominanten Typen zu suchen und sich in emotionale und finanzielle Abhängigkeiten zu begeben. Denn wenn wir ehrlich sind, läuft die Liebesgeschichte zwischen den beiden doch eher nach einem alten Klischee ab. Ein Reicher, gebildeter Macker sucht sich ein devotes, formbares, junges Mädchen mit unzureichender Schulbildung und zeigt ihr mal, wo der Frosch die Locken hat.
Am Ende des ersten Films ist eigentlich nichts passiert und mir schwant langsam, dass es sich hier um eine noch größere Verschwendung von Lebenszeit handelt als bisher angenommen.

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Zu Beginn des zweiten Films habe ich wirklich schlechte Laune, fühle mich aber noch halbwegs fit und agil. Und natürlich erzählt uns Bella mal wieder etwas aus ihrem total komplexen Seelenleben. Ich bin ernsthaft gelangweilt. Aber wenigstens habe ich jetzt etwas Gesellschaft. Zu zweit leidet es sich auch viel besser. Wir stopfen uns Pizza rein und lästern über den Film.
Als Edward beschließt, Bella zu verlassen, weil das Leben mit ihm zu gefährlich ist, ist Bella natürlich am Boden zerstört und tut das, was sie am besten kann: Nichts. Damit lassen sich gut 30 Minuten Filmmaterial vollspamen. Anstatt sich reboundmäßig durch die Kleinstadt zu poppen, hängt sie mit ihrem neuen Kumpel Jacob (Taylor Lautner) ab, der nicht nur Indianer und deswegen sowieso schon total naturverbunden ist, sondern sich auch noch als Werwolf entpuppt. Nature at its best. Und sie fährt Motorrad und wirft sich von einer Klippe. Nicht etwa, weil sie sich jetzt endlich mal den riesigen Stock aus dem Arsch gezogen hat, sondern weil sie immer dann eine Vision von ihrem Edward hat. Denn es gibt offensichtlich nichts Schlimmeres, als plötzlich ohne Beziehung da zu stehen, weswegen sie sich jetzt von Jacob herumkommandieren lässt. Und auch in diesem Teil hat Bella wieder keinerlei Anteil an den Action-Szenen. Ganz im Gegenteil. Sie verletzt sich zu jeder sich bietenden Gelegenheit und muss ganz klar beschützt werden. Zwar ist es zur Abwechslung mal ganz nett, eine weibliche Hauptrolle zu sehen, welche nicht komplett sexualisiert wird, jedoch macht sie das keinesfalls zu einer starken Figur, da sie weder eigene Entscheidungen treffen, noch sich frei bewegen darf.

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Langsam lässt meine Aufmerksamkeit nach und ich wünsche mich an einen besseren Ort. Mein Hintern tut weh vom Liegen, ich bekomme Kopfschmerzen und auch meine Freundin beschwert sich über starke körperliche Schmerzen. Fuck, wir haben noch nicht einmal die Hälfte geschafft … Lustlos und ermattet legen wir den dritten Film ein. Bella wird sich ihrer eigenen Sterblichkeit bewusst und hat Angst vor dem Altern. Mit 18. Das ist so absurd, dass ich fast ein bisschen amüsiert bin. Sie möchte zu einem Vampir gemacht werden, aber Edward weigert sich, da er Angst um ihre Seele hat. Also jetzt ernsthaft. Es folgt ein langer, mühsamer Exkurs in das gruselige christliche Weltbild. Auch wenn es sich hier um eine Vampirgeschichte handelt, welche natürlich nicht die Realität widerspiegelt, wirkt diese Diskussion doch auffällig real. Hier werden zutiefst traditionelle Werte an das Publikum weitergegeben und niemand scheint sich daran zu stören. Mittlerweile bepöbeln wir nur noch den Bildschirm. Da Edward so besorgt um Bellas Seele ist, wird es auch keinen vorehelichen Sex geben. Sie wehrt sich nur wenig dagegen und fügt sich schnell in ihre Rolle als keusche graue Maus. Es passieren noch ein paar Belanglosigkeiten, die ich, um ehrlich zu sein, schon wieder vergessen habe. Bella ist mal wieder in großer Gefahr und muss von ihren Männern gerettet werden. Ein bisschen tut sie mir schon leid, da ihr oft nicht einmal gestattet wird, selbst zu laufen. Sie wird immerzu getragen, gehoben und scheinbar wahllos irgendwo abgesetzt. Wenn so das Rollenbild für junge Frauen von heute aussieht, dann gute Nacht.

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Mittlerweile ist es für mich fast unmöglich geworden, mich zu konzentrieren. Immer wieder spiele ich an meinem Handy herum, um mich etwas abzulenken, so dass meine Freundin irgendwann wütend auf mich ist und mir Handyverbot erteilt, da sie sich weigert, diesen Schrott allein durchmachen zu müssen. Nach dem dritten Film warte ich noch immer vergeblich darauf, dass mich das Twilight-Fieber packt. Ich bin müde und erschöpft. Ich hasse alles und jeden. Die seelischen und körperlichen Schmerzen werden fast unerträglich und ich frage mich ernsthaft, wieso ich diesen Scheiß hier eigentlich mache. Ich versuche krampfhaft, mich daran zu erinnern, was eigentlich im letzten Film passiert ist, aber es will mir nicht einfallen. Wie eine riesige klebrige Kitschwolke schweben die Erinnerungen der letzten Stunden durch mein Gehirn und bedecken jeden halbwegs vernünftigen Gedanken. Plötzlich kommt mir mein eigenes Leben sehr verrucht, wild und sexy vor. In der Lebenswelt von Stephenie Meyer, der Autorin der Twilight-Bücher, verdiene ich es also, geteert, gefedert, verbrannt und in die Hölle geschickt zu werden. Egal, Hauptsache, ich muss nicht den Rest meines Lebens mit so einem Typen wie Edward verbringen.

Mir ist schlecht. Ich möchte weinen. Ob es an den Filmen oder den Unmengen Junkfood liegt, die ich seit Stunden konsumiere, ist unklar. Fakt ist: Mir geht es nicht gut. Ganz und gar nicht.
Im vierten Teil wird ENDLICH geheiratet. Darauf haben wir doch alle gewartet—nicht. Die Hochzeit ist natürlich meeega-romantisch, die Flitterwochen sind ein Traum. Bella wirkt teilnahmslos wie immer und lässt sich von ihrem Ehemann über den Globus schleifen. Genervt sehen wir Kristen Stewart dabei zu, wie sie versucht, witzig zu sein. Natürlich scheitert sie. Als sie und Edward das Bett beim drögen Blümchensex angeblich zerstören, flippen wir beide aus. Etwas so Langweiliges haben wir noch nie gesehen. Wir verlangen sofort eine richtige Sexszene. Ich bin kurz davor, den Laptop gegen die Wand zu schmeißen.
Und da es total logisch ist, dass man von dem ersten Sex sofort schwanger wird, hat Bella noch während der Flitterwochen einen Braten in der Röhre. Überwältigt von so vielen Hormonen scheint sie jetzt vollständig den Verstand zu verlieren und möchte das Kind unbedingt behalten, gegen den Willen von Edward. Genau genommen ist dies die erste Entscheidung, die sie eigenmächtig trifft. Diese Aufmüpfigkeit bleibt allerdings nicht ungestraft, da sie an der Schwangerschaft fast stirbt. Selbstbestimmung ja, aber nur zu einem hohen Preis.

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Mechanisch starten wir den letzten Film. Wir versuchen wirklich, der Handlung zu folgen, jedoch fällt das nach so einer langen Zeit und so viel Brainfuck echt schwer. Matt und antriebslos verfolgen wir das Geschehen auf dem Bildschirm. Wir unterhalten uns fast gar nicht mehr, drücken fast nie auf Pause, wenn eine mal Pinkeln muss oder wenn jemand was nicht verstanden hat, sondern wollen den Scheiß so schnell wie möglich hinter uns bringen. Die Figur Bella, so wie wir sie bis jetzt kennen und hassen gelernt haben, verschwindet und wird durch ihre neue Rolle—Bella als Mutter und Vampir—abgelöst. Sie wird zur Übermutter stilisiert, die sich selbst opfert, um ihr Kind zu retten. Ihr ganzes Sein dient dem Erhalt der Familie. Dies berechtigt sie jetzt auch dazu, selbst Entscheidungen zu treffen und eigenmächtig zu handeln. Jedoch ist ihre Intention niemals egoistischer Natur, sondern dient grundsätzlich dem Schutz ihres Kindes und ihrer Familie. Ich bin trotzdem einigermaßen erfreut darüber, dass sie jetzt ein paar mal jemandem in die Fresse hauen darf. Trotzdem wird besonders im letzten Film ein eher gruseliges Bild konstruiert: Weiß, schön, formbar, übermenschlich, Mutter. Mir kommt das kalte Grauen. Bella verkörpert einen Idealtypus von Weiblichkeit, nach dem sich Frauen auf der ganzen Welt richten dürften. Aber an dem Leben von Bella, Edward und Co. ist aber rein gar nichts modern oder erstrebenswert.

Zwar spielt die Geschichte in der heutigen Zeit, jedoch werden zutiefst traditionelle Wertvorstellungen bedient. Es scheint plötzlich erstrebenswert zu sein, charakterlos und langweilig zu sein, sich dem nächstbesten Typen an den Hals zu werfen und sich am besten gleich nach der High School von ihm schwängern zu lassen. Die Filmreihe bedient ziemlich jedes konservative Klischee, welches irgendwo in der Welt da draußen rumschwirren mag. Wir haben die weißen Übermenschen, ein Konzept, was bei Nietzsche vielleicht noch ganz drollig war, jedoch heutzutage mit Vorsicht zu genießen ist. Ich möchte hier auch nicht die rassistischen Klischees des naturverbundenen Wilden unerwähnt lassen, welche durch die Wälder oder den Dschungel streifen und natürlich zu allem eine total alte Geschichte erzählen können. OK, ich habe erwartet, dass es schlimm wird. Aber so schlimm??? Es ist mir unbegreiflich, wieso gerade diese dröge, langweilige Geschichte der feuchte Traum von so vielen Frauen und Mädchen ist. Die Filme sind ganz klar auf ein weibliches Publikum ausgerichtet. Aus der Ich-Perspektive einer jungen Frau erzählt, schaffen sie ein hohes Identifikationspotential mit der Hauptrolle. Frauen werden so gut wie nie sexualisiert, dafür die Männer um so mehr (Team Jacob!). Trotzdem werden in den Filmen veraltete Rollenmuster, in welchen sich die Frauen unterzuordnen haben und ihr ganzes Handeln der Familie dient, aufgenommen und als erstrebenswertes Lebenskonzept vorgestellt.

Meine Freundin gibt auf. Sie fühlt sich nicht gut. Ich quäle mich durch die letzte Stunde und schließe nach einem unspektakulären Ende ermattet den Laptop. Mit glasigen Augen starre ich ins Nichts und träume von einer besseren Welt.
Irgendetwas ist heute Nacht in mir gestorben.