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Popkultur

Ich habe einen Tag Kika geguckt, um herauszufinden, warum Alice Weidel ihn abschaffen will

Die AfD-Politikerin bezeichnete das öffentlich-rechtliche Jugendangebot als "billige Staatspropaganda". Trägt der Kinderkanal wirklich zur "Islamisierung des Abendlandes" bei?
Alle Fotos: Eva L. Hoppe

Es ist nicht leicht, 2018 AfD-Politiker zu sein. Klar, die Neue Rechte sitzt nun als drittstärkste Partei im Bundestag und wer sich länger als fünf Minuten in einem sozialen Medium seiner Wahl aufhält, versteht auch warum. Trotzdem: Als Verfechterin von Rassismus, Sexismus und ausgesprochen dämlichen Tweets hat die Alternative für Deutschland viele Feinde. Und jetzt ist auch noch der Kinderkanal dazugekommen.

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Nach einem kontrovers diskutierten Beitrag über die junge Liebe zwischen einem Syrer und einer Deutschen und einem Video, in dem Heranwachsende mit Migrationshintergrund versuchten, einen BH zu öffnen, war es Alice Weidel zu viel. "Kika sofort vom Netz nehmen!", forderte sie in einem Facebook-Post. Schließlich ginge es nicht, dass Pubertierenden vermittelt werde, dass es OK sei, "sich von denen an den Brüsten herumfummeln zu lassen, die noch nicht so lange hier leben". "Wenn schon fummeln, dann mit Deutschen!" wäre der wahrscheinlich ehrlichere Claim gewesen.


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Eine Frage wirft ihr Beitrag aber tatsächlich auf: Handelt es sich beim Kinderprogramm der Öffentlich-Rechtlichen wirklich um "billige Staatspropaganda"? Arbeiten Wiki und die wilden Männer an der Islamisierung des Abendlandes? Es gab nur einen Weg, es herauszufinden – ich musste einen Tag lang Kika gucken.

8:30 Uhr – 10:00 Uhr: Kleinkinderkanal mit Peter Altmaier

Mein Morgen startet mit fadem Kaffee und Meine Freundin Conni, einer Geschichte über die Magie der Freundschaft. Oder so. Die Sendungen, die am frühen Morgen auf Kika laufen, richten sich an sehr junge Kinder. Die, die noch nicht in die Schule müssen und deswegen vor dem Fernseher geparkt werden, während ihre Eltern ihre Überforderung in sehr starkem Kaffee ertränken. Deswegen dauert kaum ein Format länger als ein paar Minuten, die vermittelten Inhalte bleiben übersichtlich.

Meine Freundin Conni handelt davon, dass alles einfacher wird, wenn man zusammenarbeitet. Der Wind ist so stark, dass er dem kleinen Jakob seinen Flugdrachen und dessen Mutter den Schal entreißt. Der Familienvater behauptet, beides einfangen zu können, läuft aber so langsam, dass er mit dieser Aussage vor allem sich selbst belügt. Die Situation löst sich erst auf, als Conni und ihre Freundin einschreiten und durch die Macht der #girlpower (und mit Hilfe ihrer eigenen Flugdrachen) den Tag retten.

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Auch im Anschluss geht es darum, der sehr jungen Zuschauerschaft Wissen fürs weitere Leben zu vermitteln – von einer staatlich gewollten Umerziehung würde ich dabei trotzdem nicht sprechen. Löwenzähnchen erklärt in einem Dialog zwischen dem Berner Sennenhund namens Keks und einem Biber, wie letztere Tierart lebt. (Der AfD dürfte dabei gefallen, dass der männliche Biber für den Unterhalt seiner plüschigen Familie zuständig ist, während die Biber-Frau mit den Kindern in der Biberburg darauf wartet, dass er ordentlich Holz nach Hause bringt.) Poppy Katz hingegen zeigt, wie verschiedene Tierarten selbst dann noch friedlich miteinander interagieren können, wenn jemand die Fernbedienung verloren hat. Bei den Teletubbies ist auch 2018 noch eitel Baby-Sonnenschein, und Dinotaps zeigt computeranimierte Dinosaurier, denen immer irgendetwas Dummes passiert. Bis auf die Tatsache, dass der eine Dino ein bisschen aussieht wie Kanzleramtschef Peter Altmaier, entdecke ich keine Staatspropaganda.

Ein Problem könnte es aus Perspektive der Rechtspopulisten geben: Sämtliche Formate lassen sich auf den Merkel’schen Grundsatz "Wir schaffen das" herunterbrechen. Damit vermitteln sie natürlich ein komplett gegensätzliches Weltbild als jenes, das die AfD verbreitet, in dem es keine Lösungen gibt, sondern nur furchteinflößende, fremdbestimmte Hindernisse.

Potential, das Abendland zu gefährden: 2/10

10:00 Uhr – 13:00 Uhr: Die Hölle ist eine Low-Budget-Computeranimation

Ich befinde mich bei Kaffee Nummer drei und stelle erleichtert fest, die offensichtlichen Kleinkinderformate hinter mir zu haben. Tiere, die mir singend die Welt erklären, gibt es allerdings nach wie vor. Au Schwarte beispielsweise zeigt, wie ein unterdurchschnittlich gut computeranimiertes Schwein in einem beigen Wollpulli eine Rockband gründet und dabei lernt, wie wichtig es ist, ehrlich zu sein und die eigenen Träumen zu verfolgen. Bei Der Kater mit Hut taucht der erste nicht-weiße Mensch des kompletten Vormittags auf, ansonsten konzentriert sich die Sendung allerdings darauf, das Wachstum von Bäumen und das Konzept des Winterschlafs in schmissige Songs zu verpacken.

Aus AfD-Sicht deutlich interessanter dürfte Wickie und die starken Männer sein. Ausschließlich weiße Menschen, klare Hierarchien, keine nervigen Frauen, nordische Mythologie – die Serie hat auch in ihrer CGI-Neuauflage alles, was die neue Rechte geil findet. Nur, dass die "starken Männer" eben ziemlich dämlich sind, und regelmäßig von einem androgynen Jungen gerettet werden müssen. "Wenn du mal in der Patsche sitzt, helfen nicht Muskeln, sondern Grips", lautet das Fazit einer Folge. Versuchen die Öffentlich-Rechtlichen etwa so, Geschlechterrollenbilder zu unterwandern?

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Foto: Eva-Luise Hoppe

Auch in Garfield, dem ersten Format, das mir nicht mit dem Holzhammer zwischenmenschliche Werte und Wandtattoo-Weisheiten einprügeln möchte, könnten "Staatsfunk"-Truther einiges hineininterpretieren. Wenn man sich als AfD-Anhänger mit der Rolle des Hundes oder mit Garfields Besitzer identifiziert – zwei Charaktere, die sich ständig von der gewitzten, faulen Katze verarschen lassen müssen –, dann könnte man darin eine Metapher für vermeintlichen Asylschwindel oder die wahren Intentionen "der da oben" sehen. Aber auch nur dann.

In Erinnerung bleibt von diesen drei Stunden ein Zitat des blauen Zeichentrick-Hasens, der zwischen den einzelnen Sendungen immer wieder eingeschoben wird: "Auf der Welt sein ist wie ein riesiges Geburtstagsgeschenk." Ja, Kikaninchen, das kann man vielleicht so sagen, aber Glück schafft keine Protestwähler.

Potential, das Abendland zu gefährden: 3/10

13:00 Uhr – 16.00 Uhr: Egal ob Terrorist oder Klassenstreber – Hauptsache weiß

Der Nachmittag ist das eigentlich interessanteste Zeitfenster im Kika-Programm, schließlich handelt es sich hier um die Zeit, in der Kinder und Jugendliche nach Hause kommen und sich nach einem anstrengenden Schultag vom Fernsehprogramm berieseln lassen. Der perfekte Zeitpunkt also, um die junge Generation mit verrückten Ideen wie "Nächstenliebe", "Gleichberechtigung" und "Weltoffenheit" zu infiltrieren.

Stattdessen gibt es allerdings TKKG. Die sympathische Detektivserie, deren Protagonisten zunehmend hellhäutiger werden und die seit jeher ein Problem mit Racial Profiling hat. Es geht um einen Terroranschlag auf einen Zug, ein überaus aktuelles Thema also, mit dem auch die AfD gerne hausieren geht. Weil allerdings jede einzelne Figur in dieser Serie weiß ist (die einzige Variation ist "sehr, sehr weiß" bei Hobby-Ermittler Karl), werden auch sämtliche Straftaten – Erpressung, Einbruch, Sachbeschädigung, Brandstiftung – von Biodeutschen verübt.

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Auch bei Die Pfefferkörner – einem weiteren Kinder-lösen-Kriminalfälle-Format – sind alle Menschen weiß, dieses Mal sind es allerdings echte Menschen. Stimmt es also vielleicht gar nicht, dass nur Menschen mit Migrationshintergrund kriminell sind, wie uns die Alternative für Deutschland seit Jahren eintrichtert? Ist es nicht der Kinderkanal, sondern die AfD selbst, die Propaganda verbreitet? Oder ist es genau das, was uns die Öffentlich-Rechtlichen glauben lassen wollen?

Erst bei Schloss Einstein tauchen mit Orkan und seiner Freundin Daphne zwei Personen mit möglichem Migrationshintergrund auf. Trotzdem sind auch hier alle weiß, deren Gefühle und Geschichten im Mittelpunkt stehen. Die Konflikte, die stattfinden, bewegen sich im Wohlstands-Speckmantel: "Wieso redest du mit dem Jungen, in den ich verliebt bin?"; "Kannst du mir die Antworten für die Matheprüfung besorgen?" Nichts scheint essentiell, vor allem aber gibt es keinerlei Bezüge zur gesellschaftspolitischen Lage Deutschlands. Nicht einmal implizit.

Nach rund sechs Stunden Kika habe ich nicht gelernt, dass die Islamisierung der Gesellschaft unmittelbar bevorsteht, wünschenswert ist oder nur Intimität mit Menschen mit Migrationshintergrund Sinn macht – oder was auch immer Alice Weidel gesehen haben möchte. Stattdessen wurde mir der Eindruck vermittelt, dass unsere Gesellschaft zu 98 Prozent aus weißen Menschen besteht, Tiere sehr gerne singen und am Schluss immer alles gut wird, wenn man nur zusammenarbeitet und ehrlich ist.

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Potential, das Abendland zu gefährden: 2/10

16:00 Uhr – 19:00 Uhr: Bonjour Tristesse

Ich beschließe, eine kurze Pause einzulegen und mich um Erwachsenendinge zu kümmern – Einkaufen, Kochen und eineinhalb Stunden auf dem Fitnessstudio-Laufband sämtliche Entscheidungen bereuen, die ich jemals getroffen habe. Das späte Nachmittagsprogramm des Kinderkanals besteht nämlich nahezu ausschließlich aus neu aufgelegten Disney-Klassikern wie Peter Pan und Das Dschungelbuch, oder US-Wohlfühlserien, in denen Streichelzoos eröffnet und Tagebücher vollgeschrieben werden. Daran dürfte sich selbst der besorgteste Bürger nicht stören.

Potential, das Abendland zu gefährden: ?/10

19:50 Uhr: logo!

Nach all den spielerisch aufbereiteten Informationen über unsere Gesellschaft und die Welt, in der wir leben, folgt mit logo! am Abend die aus politischer Sicht wichtigste Sendung des Tages. Wie verpackt der Kinderkanal tagesaktuelle Nachrichten aus Wirtschaft und Politik? Wenn ARD und ZDF mit ihrem Jugendangebot den Plan verfolgen, die junge Generation zu linken Social Justice Warriors umzuerziehen, dann sollte es sich hier am deutlichsten zeigen.

Die Themen – deutsche Automobilhersteller sponsern Abgasversuche an Tieren und Menschen, eine mögliche Zucker-Steuer in Deutschland, die längste Seilbahn der Welt in Bolivien, bahnbrechende Funde menschlicher Knochen in Israel – werden jeweils kurz und eher oberflächlich angeschnitten, dafür aber verständlich und neutral aufbereitet. Unklar bleibt nur, von wem genau der Moderator spricht, wenn er beispielsweise erklärt, dass "viele" sich über den Dieselskandal aufregen würden.

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Womöglich hatte ich den falschen Tag erwischt – und somit einfach nicht die richtigen Themen, um dem Kinderkanal umfassende "Gehirnwäsche" nachweisen zu können. Versteckt sich die "billige Staatspropaganda" vielleicht in der Online-Mediathek? Während bei KIKA Live zwei Moderatoren in Ski-Challenges gegeneinander antreten, besuche ich die Website von logo!, um herauszufinden, wie der Sender über die AfD und ihre Lieblingshassthemen berichtet.

Ein Erklärstück zu sexueller Belästigung zeigt nicht nur Männer als mögliche Täter, sondern auch Frauen. Beiträge zu Rassismus in den USA oder dem Erfolg der AfD sind nüchtern, knapp und auf größtmögliche Verständlichkeit ausgelegt. Das Interview, das ein logo!-Moderator und ein Kinderreporter vor der Bundestagswahl mit Ex-Parteichefin Frauke Petry führten, lässt sich ebenfalls nicht als unfair bezeichnen. Dem Nachrichtenformat für Kinder scheint es primär um belegbare Fakten zu gehen, nicht um meinungsschwangere Einordnung. Das könnten Rechtspopulisten als Angriff auf die eigenen Positionen verstehen, aber eben auch nur dann, wenn die Realität an sich dein Feind ist.

Potential, das Abendland zu gefährden: 4/10

Nach einem Tag Kinderkanal kann ich sagen: Wenn dieser Sender irgendwann mal abgeschaltet wird, dann nicht, weil er seiner jungen Zuschauerschaft abwaschbare Wohlfühlwerte wie Freundschaft oder eine positive Lebenseinstellung vermittelt. Das wirkliche Problem, liebe Alice Weidel, sind nicht die wenigen Kinder mit Migrationshintergrund, die zwischen den ganzen weißen Mittelschichts-Kids gezeigt werden. Das wirkliche Problem sind diese verdammten singenden Tiere.

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