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Dieser Journalist hat sieben Jahre bei Neonazis in den USA recherchiert

Hammerskins, Ku-Klux-Klan, Nationalsozialisten: Im Interview verrät der Autor von 'Everything You Love Will Burn', wie Rechtsextreme zu stoppen sind.
Mitglieder der Neonazi-Organisation National Socialist Movement treffen in New Jersey auf Antifaschisten | Foto mit freundlicher Genehmigung von Vegas Tenold

Vegas Tenold ist ein großer, kahlköpfiger Norweger. Mit diesem Aussehen kann man sich gut unter Neonazis mischen – und genau das hat er getan. Der Investigativ-Journalist schrieb alle Adressen auf der Website der amerikanischen Neonazi-Bewegung National Socialist Movement (NSM) an und bat um Interviews. Ein paranoider Typ, der sich "Lieutenant Duke Schneider of the SS" nannte, lud ihn zum Kaffeekränzchen nach New York ein – und schließlich auch zu einer Demo in Trenton, New Jersey, die in die Geschichte eingehen sollte.

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Die Demo von 2010 heißt in den rechtsextremen Kreisen der USA "The Battle of Trenton". Chaos brach aus zwischen Neonazis und Gegendemonstranten. Diese Demo gilt auch als Startschuss für viele gewaltsame Auseinandersetzungen, in die weiße US-Rassisten seither involviert sind. Tenold verbrachte die folgenden sieben Jahre mit extremistischen Gruppen wie dem NSM, den Hammerskins und dem Ku-Klux-Klan. Außerdem dokumentierte er den Werdegang von Matthew Heimbach, der im Vorfeld zu Trumps Wahl eine Studierendenvertretung für Weiße gründete.

Über seine Jahre als Embedded Journalist hat Tenold ein Buch geschrieben: Everything You Love Will Burn: Inside the Rebirth of White Nationalism in America. VICE spricht mit Tenold über den Reiz des Rechtsextremen, den tödlichen Neonazi-Aufmarsch in Charlottesville und darüber, wie man Faschismus ohne Gewalt bekämpft.

VICE: Wie lockt diese Bewegung immer neue Fußsoldaten an?
Vegas Tenold: Ich denke, größtenteils trifft das alte Klischee zu: Die Leute wollen sich zugehörig fühlen. Teil von etwas Größerem sein. Die Welt ist groß und verwirrend. Menschen sind aus diversen Gründen arbeitslos, es gibt wenig soziale Mobilität. Wir haben heutzutage viele große Probleme, und die Lösungen sind alle komplex. Da ist es sehr attraktiv, wenn jemand sagt: "In Wirklichkeit sind die Juden und Mexikaner schuld." Damit haben sie auf einmal ein heldenhaftes Ziel – wenn du glaubst, Menschen deiner Hautfarbe würden verfolgt, bist du nicht irgendein Arbeitsloser, sondern ein Krieger.

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Hätte der weiße Nationalismus weniger Zulauf, wenn Politiker sich mehr um die Probleme der Arbeiterklasse kümmern würden?
Rassistischen Extremismus wird es immer geben, weil die Menschen so sehr von Egoismus angetrieben sind. Ich komme aus Norwegen, dem womöglich reichsten Land der Erde, und bei uns gibt es trotzdem Nationalisten und ähnliche Arschlöcher. Aber die verheerende Lage der amerikanischen Mittelschicht, der Mangel an sozialen Sicherheitsnetzen – diese Dinge verstärken Botschaften wie: "Du hast nur wenig, und das Wenige, das du hast, holen sich jetzt die Mexikaner." So können sich Nationalismus und Hass verbreiten. Wären Bildung und Gesundheitsversorgung gewährleistet, könnte man solche Ideologien leichter bekämpfen.

"Ihre Argumente sind schwach. Wir können sie mit Worten besiegen."

In deinem Buch schreibst du, dass die amerikanische Antifa die Rechte mehr geeint hat als Matthew Heimbach – der die Neonazi-Gruppe Traditionalist Youth Network gegründet hat. Sollten die Antifaschisten Typen wie Heimbach nicht mehr angreifen?
Ja, ich finde, sie sollten das lassen. Erst einmal muss ich sagen, dass die Antifa keine homogene Gruppe ist. Ihre Mitglieder setzen also ohnehin verschiedene Methoden ein. Aber in den vergangenen Jahren hatten die Rechtsextremen einen großen Moment, und das war nicht Donald Trumps Wahl zum Präsidenten. Es war der Faustschlag, den Richard Spencer abbekam. Klar, ich verstehe schon, warum das reizvoll ist. Einem Neonazi eine zu verpassen, klingt sicher erst mal sehr befriedigend. Aber von diesem Schlag haben sie sich alle getroffen gefühlt. Dadurch konnte Spencer sich als ein Krieger-Prediger etablieren. Heute krempelt er seine Hemdsärmel hoch, bevor er eine Rede hält. Er ist zum Anführer geworden, dabei war er früher nur irgendein Blogger. Es hat die Truppen geeint.

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Aber wenn man sie nicht einschüchtert und bedroht, was dann? Sollen wir sie ignorieren?
Es gibt eine viel bessere Methode, um mit diesen Typen umzugehen. Es braucht keine Gewalt. Hör dir mal an, was Richard Spencer und Matthew Heimbach sagen – ihre Argumente sind schwach. Wir können sie mit Worten besiegen. Wenn wir sie angreifen, stellen wir sie automatisch als existentielle Bedrohung für die zivilisierte Gesellschaft dar, und das ist vielleicht etwas übertrieben. Wir müssen zeigen, dass wir stärker sind, bessere Ideale haben und dass wir mit friedlichem Protest alles erreichen können. Wir brauchen uns nicht auf ihr gewalttätiges Niveau zu begeben.

Aber was ist mit Gegendemos? Hätte man die Neonazis in Charlottesville einfach machen lassen sollen?
Schwer zu sagen. Denn wir müssen ja schon deutlich zeigen, dass wir ihre Einstellung nicht akzeptieren. Ich habe keine eindeutige Antwort, nur eine Anekdote: Ich war mit Richard Spencer in Washington, D.C., Kaffee trinken. Wir sitzen in einem kleinen Kaffee in Campusnähe, und Richard sagt laut grauenvolle Dinge, beispielsweise, dass man Frauen das Studieren verbieten sollte. In der Nähe sitzen junge Studierende an einem Tisch, ein paar davon Frauen. Ich merke, dass sie ihm zuhören. Auf einmal kommt eine junge Frau, vielleicht 20, zu uns rüber und sagt: "Entschuldigung, aber für wen zur Hölle halten Sie sich eigentlich? So was können Sie nicht sagen." Dann hat sie ihn mit Argumenten und Worten zerrissen, während er vor unseren Augen so klein mit Hut wurde. Nach drei, vier Minuten sagte sie: "Ich bin fertig mit Ihnen. Ich habe keine Lust mehr, mit Ihnen zu reden." Wir hatten vorgehabt zu gehen, weil die Parkuhr ablief, aber als ich ihn fragte, sagte Richard: "Wir können jetzt nicht gehen. Sie wird glauben, sie hätte gewonnen."

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Es hatte so eine Macht, gerade weil das eine Frau war und er so frauenfeindliche Meinungen vertrat. Es war wie in Der Zauberer von Oz, als jemand Wasser auf die Hexe gießt und sie schmilzt. Er schmolz, und dabei wurde niemand verletzt – außer sein Ego. Man muss den Bullshit dieser Leute entkräften.

In deinem Buch sehen wir, wie Heimbach immer weiter nach rechts driftet. Warum hat er sich deiner Meinung nach so entwickelt?
Wenn du rechtsextrem bist, kannst du nur noch weiter nach rechts. Zumindest in den USA ist es illusorisch, dass man mit den ultranationalistischen Rechtsextremen anbandeln und dann noch andere politische Gruppen erreichen kann. Matthew wollte lange Zeit noch beides. Er wollte den Leuten zeigen, dass Neonazis gar nicht so schlimm sind. Da hat er sich wohl verschätzt – ja, die Leute haben für Trump gestimmt, aber ausgewiesene Neonazis sind den Menschen weiterhin noch zu extrem. Die ohnehin schon Rechtsextremen von sich zu überzeugen, ist viel einfacher. Wer Anführer einer großen Gruppe werden will, konzentriert sich irgendwann automatisch auf die leichte Beute.

Du hast sieben Jahre damit verbracht, diesen Typen zuzuhören. Aber es wirkt nicht, als hätten sie einen umsetzbaren Plan. Schenken wir ihnen vielleicht zu viel Aufmerksamkeit?
Ja und nein. Ich finde schon, dass es schlimmere Formen von Rassismus in den USA gibt – und das Land selbst steht auf einem Fundament der White Supremacy. Aber es ist immer wichtig, Rassismus, Vorurteile und Angst zu verstehen, egal welche Form sie annehmen. Jeff Schoep, der Anführer des National Socialist Movement, hat mir vor Jahren gesagt, dass die richtige Person mit den Ansichten seiner Bewegung auch politische Ämter erreichen könnte. Ich dachte mir: "Der Typ schnüffelt doch Kleber, wenn er das glaubt." Aber eigentlich hat er damals schon Trump beschrieben, ich habe es nur nicht kommen sehen.

Hier erfährst du mehr über Vegas Tenolds neues Buch.

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