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Organisierte Kriminalität

Der Berliner Senat hat keinen blassen Schimmer von kriminellen Geschäften arabischer Clans

Haftbefehle, Ermittlungsverfahren, Korruption oder Rauschgifthandel? Der Innensenat hat keine Zahlen dazu.
Foto: imago | Agentur 54 Grad

Spätestens seit der Erfolgsserie 4 Blocks wissen selbst tugendhafte Schülersprecher aus Tübingen, dass arabische Großfamilien die Berliner Unterwelt kontrollieren. Die kriminellen Aktivitäten von Toni Hamady und seiner Sippe reichen von Schutzgelderpressung über Rauschgiftdelikte bis hin zu schwerer Körperverletzung und Mord. Aber sind Berliner Clans in der Realität ebenso skrupellose und kalkulierende Geschäftsmänner wie die Hamadys? Wie steht es um die Kriminalität Berliner Clans in Wirklichkeit? Die Antwort auf eine Anfrage des CDU-Abgeordneten Peter Trapp zeigt: Der Berliner Senat weiß nicht im Geringsten, was die Clans genau treiben und welchen Umfang ihre Geschäfte haben.

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So zumindest lesen sich die Antworten des Innenstaatssekretärs Torsten Akmann (SPD) auf die Fragen: wie eine lange Liste von Verfehlungen. Demnach liegen der Senatsverwaltung für Inneres und Sport weder Erkenntnisse vor, welche Geldsummen kriminelle Clans jährlich umsetzen, noch wie hoch ihre Immobilienvermögen sind. Über Fälle von Einschüchterungen gegenüber Presseorganen, Politik, Polizei und Rettungskräften werde "keine Statistik geführt". Fälle von Korruption? Sind nicht bekannt. Tätigkeiten und Investitionen in legalen Wirtschaftsbereichen wie dem Baugewerbe oder der Gastronomie? Nada. Illegale Tätigkeiten wie Handel mit Betäubungsmittel? Keine Zahlen. Weder Ermittlungsverfahren und noch Haftbefehle der vergangenen zehn Jahren werden statistisch erfasst.


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In der Popkultur wird die organisierte Kriminalität arabischer Clans seit Jahren zelebriert, das zeigen Serien wie 4 Blocks oder der Rummel um den Abou-Chaker-Clan und Bushido. Und ganz weit hergeholt scheint das nicht: Die Berliner Polizei klagte vergangenes Jahr selbst darüber, von Großfamilien unterwandert worden zu sein. Berlin gilt als Zentrum der Clan-Kriminalität: Der Deutschen Polizeigewerkschaft zufolge operieren 15 bis 20 Clans in Berlin, von denen "etwa zehn in herausragender Weise kriminell sind". Die drei Hauptschlagadern Neuköllns – die Hermannstraße, die Karl-Marx-Straße und die Sonnenallee – gelten als Brutstätten der Bandenkriminalität.

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Die Ahnungslosigkeit des Senats überrascht, hat das Landeskriminalamt doch ein eigene Dienststelle, die sich dem Problem widmen soll. Das LKA 4 ist nach eigenen Angaben für organisierte Kriminalität, qualifizierte Banden-, Eigentums- und Gewaltkriminalität, Rauschgift- und Arzneimittelkriminalität sowie Menschenhandel und Schleusungskriminalität zuständig. Zudem macht sich das Dezernat explizit die "täterorientierte Kriminalitätsbekämpfung" zur Aufgabe. Das heißt: Die Dienststelle will eigentlich gezielt gegen Kriminalität aus bestimmten Regionen vorgehen – etwa aus Vietnam, GUS-Staaten oder eben dem arabischsprachigen Raum. Doch wie es scheint, hat das LKA 4 dem Innensenat keine Erkenntnisse aus ihrer Arbeit mitgeteilt.

Vor allem steckt dahinter aber ein statistisches Problem: In vielen Fällen schafft die Polizei es nicht, Delikte arabischen Clans zuzuordnen, weil die Tatverdächtigen entweder die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder staatenlos sind. Zudem erfasst die Polizei lediglich Straftaten der "organisierten Kriminalität", nicht aber speziell Verbrechen arabischer Clans oder der Mafia.

Und: Viele Taten können nicht aufgeklärt werden, weil Angehörige von Großfamilien "Druck auf Beteiligte" ausüben, wie der Pressesprecher der Senatsverwaltung für Inneres, Martin Pallgen, gegenüber VICE erklärte. Demnach werde durch die verminderte Aussage- und Kooperationsbereitschaft möglicher Zeugen auch die Tataufklärung behindert. Was der Innensenator immerhin weiß: Laut Akmann gehen neun der "51 Ermittlungskomplexe" im Bereich der organisierten Kriminalität in Berlin auf arabischstämmige Tatverdächtige zurück.

Damit der Senat Erkenntnisse über die "echten Hamadys" sammeln könnte, bräuchte er einheitliche Kriterien für Straftaten arabischer Clans. Der Bereich organisierter Kriminalität müsste zudem untergliedert werden, weil nicht jedes Mitglied eines Clans auch die entsprechende Staatsbürgerschaft hat. Bis dahin müssen sich kriminelle arabische Großfamilien auf der Sonnenstraße keine Sorgen machen, dass die Berliner Politik allzu genau über ihre Machenschaften Bescheid weiß.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels stand, dass es auch im Film "Ummah – Unter Freunden" um kriminelle, arabische Clans gehe. Das ist falsch, der Film zeigt, wie ein V-Mann in Neukölln versucht, zurück ins Leben zu finden, und sich dabei mit Muslimen anfreundet. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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