Europawahl 2019

7 Dinge, die du nach der Europawahl wissen solltest

Schuld an schlechten Wahlergebnissen sind laut CDU Rezo und die Erstwähler. Die PARTEI holt in Berlin mehr Stimmen als die FDP. Und nur weil im Osten viele die AfD wählen, leben dort nicht nur Vollidioten.
Katharina Barley und Robert Habeck
So sehen Verliererinnen (Katarina Barley, SPD) und Sieger aus (Robert Habeck, Die Grünen) aus || Collage bestehend aus: 

Barley: imago / Thomas Trutschel |
Habeck: imago / Florian Gaertner 

Die Grünen jubeln, die SPD heult, die CDU schimpft und über die AfD wollen wir eigentlich nicht reden. Gestern ging die Europawahl zu Ende. Wir haben alles gesammelt, was du heute zur Europawahl wissen solltest.

1. Die CDU gibt den Jungen die Schuld – wem sonst?

Das Hirninnere eines altgedienten CDUlers muss ein faszinierender Ort sein. Da fantasiert er sich eine Jugend zusammen, einen klimaprotestierenden Pulk, aufgestachelt von Rezo und den linksgrünen Medien, die einfach nicht machen, was er will: die CDU wählen! Nur 11 Prozent der Erstwähler haben sich bei der Europawahl am Sonntag für die CDU entschieden.

Thomas Bareiß, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, twitterte am Tag nach der Wahl: "Wenn die #Erstwähler mal ihr eigenes Geld verdienen und selber spüren wer das alles bezahlen muss, sieht die #Wahl vielleicht auch wieder anders aus. Ich bin sicher, dass schlussendlich die #Vernunft siegt." Die Vernunft. Also die CDU. Interessant!

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Und wem könnte man noch die Schuld geben, außer den ach so dämlichen Erstwählern? Richtig, der eigenen Parteijugend, der Jungen Union! In einer Wahlanalyse, die von der Parteispitze noch in der Nacht versendet wurde, heißt es: Am schlechten Ergebnis sei unter anderem die JU Schuld, weil sie die ganze Partei nach rechts gezerrt hätte.

Dabei hatte die JU im Wahlkampf nur gemacht, was sie als Parteijugend machen soll: spitzer und lauter sein, als ihre Mutterpartei. Die Jusos sind linker als die SPD, die JU rechter als die CDU. Der JU-Vorsitzende Tilman Kuban sagte in der Welt: "Wer auf YouTuber mit einer elfseitigen Hausarbeit antwortet, sollte lieber vor der eigenen Haustür kehren, als seinen Nachwuchs zu beschimpfen."

2. Die PARTEI ist in Berlin erfolgreicher als die FDP

Die Europawahl ist ein Fest für kleine Parteien, denn anders als im Bundestag gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde, an der sie scheitern können. Ein paar tausend Stimmen können schon reichen, um ins EU-Parlament einzuziehen. In diesem Jahr ziehen aus Deutschland Politiker und Politikerinnen der Tierschutzpartei, der ÖDP, der Familienpartei und der Neugründung VOLT ins Parlament nach Brüssel.

Richtig abgeräumt hat Die PARTEI von Martin Sonneborn. In Berlin bekam Die PARTEI mehr Stimmen als die FDP. In ganz Deutschland so viele, dass es am Ende für zwei bis drei Mandate reichen wird. Die dritte Kandidatin heißt Lisa Bombe. Sie wurde nur wegen ihres Namens aufgestellt und will eigentlich gar nicht nach Brüssel, wie sie VICE im Interview gesagt hat.

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Yanis Varoufakis wäre hingegen gerne nach Brüssel gegangen. Der ehemalige griechische Finanzminister, der sich während der Euro-Krise 2015 in Lederjacke und Motorradhelm mit Wolfgang Schäuble battelte, hat es allerdings nicht geschafft. Seine Partei Diem25 bekam zu wenig Stimmen für ein Mandat.

3. Der SPD gehts schlecht, Deutschland wird bunt und der Osten blau

Nach jeder Wahl sieht man im Fernsehen (oder bei Twitter) eine Karte, die zeigt, wie in einzelnen Regionen und Städten gewählt wurde: Früher, also ungefähr, als eure Eltern so alt waren wie ihr heute, war die Karte zur Hälfte rot und zur Hälfte schwarz. Heute hat sie bunte Flecken.

Zwar ist die Karte größtenteils eingeschwärzt, aber die Union ist abgestürzt. Gewonnen hat sie nur, weil die anderen schlechter waren. Die SPD zum Beispiel. Der geht es richtig dreckig. Ihre Wahlergebnisse waren so niedrig wie zu Zeiten, als Deutschland noch einen Kaiser hatte. Und zusätzlich hat die SPD an diesem Wochenende noch ihre wirklich allerletzte Hochburg verloren: Bremen. Dort regiert die SPD seit über siebzig Jahren. Jetzt hat zum ersten Mal ein CDU-Kandidat die meisten Stimmen bekommen.

Die Gewinner dieser Wahl sind Die Grünen. Auf der Deutschlandkarte sieht man viele grüne Flecken – das sind die großen Städte wie München, Köln, Dortmund. Oder Leipzig, das ist allerdings eine Ausnahme im Osten. Der ist auf der Karte nämlich fast vollständig blau. Das heißt: Da hat die AfD die meisten Stimmen bekommen. Das ist ein Warnsignal, denn im Osten stehen Landtagswahlen an.

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In Thüringen, Brandenburg und Sachsen wird im Herbst gewählt. Dabei ist allerdings längst nicht mehr die wichtigste Frage, ob die AfD wirklich die stärkste Kraft werden wird. Das wird sie wohl. In Sachsen sehr wahrscheinlich, in Thüringen und Brandenburg vielleicht. Die wichtigere Frage ist: Welche Partei kippt als erstes und koaliert mit der AfD?

Es ist deshalb nicht cool und edgy, jetzt alle Ostdeutschen neandertalerig zu finden. Sich über AfD-Wählende lustig zu machen, bringt der Partei nur noch mehr Stimmen ein. Unterstützt lieber die Demokratinnen und Demokraten vor Ort, die haben es dort echt schwer.

4. Europa wird rechter – aber nicht so rechts wie befürchtet

In Italien ist die Lega Nord von Matteo Salvini die stärkste Kraft. In Frankreich hat Marine Le Pen den liberalen Messias Emmanuel Macron entzaubert. In Ungarn und Polen siegten die Rechten und in Großbritannien (die nur teilnahmen, weil sie den Brexit nicht rechtzeitig hingekriegt haben) gewann eine Partei, die es bei der letzten Europawahl noch gar nicht gab. 31 Prozent wählten bei der Europawahl die Partei von Brexit-Vater Nigel Farage, die nur ein Ziel hat: raus aus der EU, egal wie, hauptsache bald.

Aber war die EU-Wahl wirklich die "Schicksalswahl", wie Apokalyptikerinnen wie Andrea Nahles befürchtet hatten? Droht die EU nun im rechten Sumpf unterzugehen? Nein. Die große Mehrheit der Sitze im EU-Parlament geht nach wie vor an demokratische Parteien.

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5. EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber braucht Hilfe, wenn er Chef der EU-Kommission werden soll

Zwar ist die EVP, also die Vereinigung der europäischen Konservativen, die stärkste Kraft dieser Wahl. Und ihr Spitzenkandidat Manfred Weber könnte der neue Chef der EU-Kommission werden. Aber dafür braucht er die Unterstützung von Grünen oder Liberalen. Allein mit den Stimmen der EVP und denen der europäischen Sozialdemokraten reicht es nicht. Weber hat übrigens mal in einer Bierzeltband namens Peanuts gespielt – und ist überhaupt gar kein übler Typ.

6. Die echte Gewinnerin der Wahl: die Wahlbeteiligung

Bei der letzten Europawahl im Jahr 2014 wählte nicht mal jeder Zweite. Dieses Mal waren es in Deutschland 61,5 Prozent. In fast jedem europäischen Land stieg die Wahlbeteiligung. In Belgien wählten sogar 90 Prozent der Menschen. Dort gibt es allerdings auch eine Wahlpflicht.

Aber – Rumäninnen und Rumänen, die in Deutschland leben, konnten teilweise gar nicht wählen. Sie müssen in ihre Botschaften und Konsulate gehen, um ihre Stimme abzugeben. Das führte zu Problemen: In Offenbach etwa gab es zu wenig Wahlkabinen. Was wohl kein Zufall ist, sondern von der Regierung in Rumänien beabsichtigt. Weil sie nicht will, dass die Rumänen im Ausland ihre Stimme für die EU abgeben. Die Menschen, die draußen in der Hitze warteten, wurden wütend, einige begannen damit, sich zu prügeln. Der Wahlleiter rief die Polizei. Teilweise schlossen die Wahlbüros für die Rumänen in Deutschland – bevor sie ihre Stimme abgeben konnten.

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7. Wer übers Wetter spricht, gewinnt Wahlen

Als Menschen vor der Wahl gefragt wurden, welches politische Thema die Wahl entscheiden wird, sagten die meisten: Klima. Und tatsächlich: Die großen Gewinner der Wahl sind Die Grünen. In Deutschland haben 22 Prozent der Wahlberechtigten sie gewählt, doppelt so viele Menschen wie 2014. Besonders junge Wählerinnen und Wähler und diejenigen, die zum ersten Mal wählen durften. Hätten nur Menschen unter 60 Jahren gewählt, wären Die Grünen übrigens die stärkste Kraft in Deutschland geworden.

Update – 27. Mai 2019, 15:30 Uhr: Wir alle lieben Leipzig, aber die Landeshauptstadt Sachsens ist es natürlich nicht. Trotzdem haben wir das in einer ersten Version dieses Artikels behauptet. Wir entschuldigen uns bei allen Dresdenerinnen und Dresdenern und haben den Fehler ausgebessert.

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