Krieg, Hunger, Resignation: Kriegsfotograf Andrew Quilty dokumentiert den Alltag in Afghanistan
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Krieg, Hunger, Resignation: Kriegsfotograf Andrew Quilty dokumentiert den Alltag in Afghanistan

"Der Optimismus von 2013 ist verschwunden."

Vor ein paar Jahren glaubte der Australier Andrew Quilty, seinen Traumjob gefunden zu haben. Der Fotograf arbeitete in seiner Heimat für eine der großen Tageszeitungen und seine Bilder zierten regelmäßig deren Titelseite. Das war vor Afghanistan.

Vor vier Jahren besuchte Quilty mit einem Journalistenkollegen das vom Krieg zerrüttete Land. Was eigentlich als kurzer Ausflug geplant war, dauert bis heute an. Er dokumentiert ein Land, das jahrzehntelang unter Konflikten litt und immer noch mit den Nachwehen des US-Einmarsches von 2001 zu kämpfen hat. Das Wiedererstarken der Taliban erlebt er aus erster Hand.

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Vor Kurzem hat US-Präsident Donald Trump seine neue Strategie für Afghanistan bekanntgegeben. Er will nicht weniger, als die Taliban vernichten, die Terrormiliz IS besiegen und Pakistan als Rückzugsort für Extremisten untauglich machen. "Wir wollen keine Nationen mehr aufbauen", sagte der US-Präsident während seiner Rede, "sondern Terroristen töten."

Deutschland hat Abschiebungen nach Afghanistan vorläufig ausgesetzt, nachdem bei einem Sprengstoffanschlag am 31. Mai nahe der deutschen Botschaft in Kabul mehr als 150 Menschen getötet worden waren. Straftäter, Gefährder und Menschen, die ihre Identität nicht preisgeben wollen, werden aber auch derzeit dorthin zurückgeschickt.


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"Als ich Ende 2013 zum ersten Mal hier eintraf, herrschte unter den Afghanen ein gewisser Optimismus", sagt Quilty. Er spricht mit uns per Skype vom Garten seines Hauses in Kabul aus. Die Internetverbindung ist brüchig. Im Hintergrund scharren Hühner, man hört Hubschrauber kreisen.

"Aber wenig später passierten zwei Dinge, die diesen Optimismus verschwinden ließen. Die Präsidentschaftswahl 2014 wurde von weitläufigen Betrugsvorwürfen begleitet, was schließlich zu einer 'Einheitsregierung' zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen führte", erklärt er. "Ende 2014 ging außerdem die Zahl der ausländischen Kampfeinsätze zurück. Die Taliban wurden stärker."

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Für VICE erinnert sich Quilty an die Geschichten hinter den Bildern, die ihm in den vier Jahren besonders in Erinnerung geblieben sind. "Afghanen sind den Krieg gewohnt, aber sie sind müde geworden", sagt er. "Der Optimismus von 2013 ist verschwunden."

Ein Soldat der Afghanischen Nationalarmee (ANA) schaut während eines Gefechts durch das Loch in einer Schulmauer auf eine Taliban-Stellung in Chah-i-Anjr (auch bekannt als Changir). Der Ort dient der ANA als Basis für die Frontlinie im Nad-Ali-Distrikt. Er ist nicht weit von Lashkar Gah entfert, der Hauptstadt der Provinz Helmand. Weiße Talibanflaggen kann man hier in weniger als 100 Metern Entfernung sehen. ANA und Taliban liefern sich täglich Gefechte. Die meisten Einwohner in dieser Gegend haben ihre Häuser aufgegeben. Der Basar ist wie ausgestorben.

6. April 2016: Gul Ahmads Mutter hat ihren Sohn mit einem Schal bedeckt. Er ist stark unterernährt und wird im therapeutischen Ernährungszentrum des Boost Hospitals in Lashkar Gah behandelt. Das Krankenhaus wird von Ärzte ohne Grenzen (Medicins Sans Frontieres – MSF) betrieben. Der Hilfsorganisation zufolge sind Mangel- und Unterernährung chronische Probleme in Afghanistan. In den meisten Fällen werden die Kinder allerdings nicht direkt wegen Unterernährung eingeliefert, sondern weil ihr Körper es nicht mehr schafft, Infektionen abzuwehren. Vielen fehlt es an notwendigen Nährstoffen. Viele afghanische Säuglinge haben Mangelerscheinungen, weil die Mütter ihre Kinder mit gekauften Fertigbreis oder sogar Tee statt Muttermilch füttern. Schuld daran sind mangelnde Informationen und die fehlende Bildung der jungen Mütter.

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2014: Mädchen hinter einem Laken im Flüchtlingslager von Gulan. Das Tuch trennt Mädchen und Jungen in einer Schule des Lagers, die vom Norwegian Refugee Council (NRC) betrieben wird. Momentan besuchen etwa 2.000 Kinder die Schule in dem Lager. Sie gehören zu den Tausenden Flüchtlingen, die im Juni 2014 aus Nord-Wasiristan geflohen sind, als das pakistanische Militär nach mehreren schweren Anschlägen im eigenen Land eine Offensive gegen aufständische Gruppierungen wie die Taliban begann. Der Nordwestern Pakistan ist ein Rückzugsort für viele islamistische Gruppierungen.

Der Sanitäter einer Kommandotruppe behandelt einen Soldaten mit einer Schusswunde am Kopf. Ihr Stützpunkt war von Taliban angegriffen worden. Mithilfe eines Wirrwarrs aus Stützpunkten hielt eine Einheit der afghanischen Armee 15 Kilometer vor Helmands Hauptstadt Lashkar Gah Kämpfer der Taliban in Schach. Die Islamisten waren in den zwei Wochen davor mehrere Kilometer in Richtung Hauptstadt vorgerückt. Während eines Talibanangriffs, den Journalisten von Foreign Policy miterlebten, verließen viele ANA-Soldaten aus Angst ihre Wachpositionen und suchten Schutz in den Gebäuden des Stützpunkts, bis die Sondereinsatzkräfte und Kommandos anrückten und den Angriff abwehrten. Die Sondereinsatzkräfte befanden sich, als das Foto aufgenommen wurde, seit einer Woche dort und erzählten, dass sie bis zu dreimal am Tag von den etwa 100 Taliban angegriffen werden.

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29. Dezember 2013: Bewohner der Provinz Ghor wärmen sich kurz vor Sonnenaufgang an einem Feuer, es sind acht Grad unter Null. Im Hintergrund sieht man ihre provisorischen Hütten und Zelte. Sie befinden sich an einer Hauptstraße am nördlichen Rand von Herat in Westafghanistan – nur wenige hundert Meter vom US-Konsulat entfernt. Die etwa 660.000 Binnenflüchtlinge in Afghanistan haben ihre Häuser aus verschiedenen Gründen aufgegeben, Kämpfe, Dürreperioden oder Überschwemmungen haben sie zur Flucht gezwungen.

29. März 2016: Schüler in einem Klassenzimmer. Die Schule im Nad-Ali-Distrikt der Provinz Helmand wird von Soldaten der ANA beschützt, die vom Dach aus Ausschau halten. Die Zahl von Schülern und Lehrern nimmt jedoch stetig ab und regelmäßig sind Kampfgeräusche in der Nähe zu hören. Von den Taliban kontrollierte Dörfer befinden sich nur wenige hundert Meter entfernt. Nach Jahren relativer Stille in dem Distrikt hält die Hilfspolizei Afghan Local Police (ALP), unterstützt von der ANA, inzwischen eine dürftige Frontlinie gegen die ständig näherrückenden Taliban. Die ALP befindet sich dabei in einer mehr als misslichen Lage. Sie kann aufgrund der Bedrohung durch die Taliban ihre Waffen nicht einfach niederlegen. Aber sie ist viel zu schlecht ausgestattet, um den Dörfern, in denen sie selbst leben, einen adäquaten Schutz zu bieten.

2015: Verwundete Soldaten bei Kundus.

Foto: Andrew Quilty für die New York Times

2016: Männer der Afghanischen Nationalpolizei ruhen sich aus und rauchen in einem Checkpoint in Chah-i-Anjir, der sich gerade mal 50 Meter von einem Stützpunkt der Taliban entfernt befindet.

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Ein paar Jungs fahren mit dem Taxi auf den Koh e Asamai hoch, einen Berg an den Ausläufern von Kabul. Wegen der Sendemasten, die sich darauf befinden, wird er auch Fernsehberg genannt.

18. November 2015: Najibah versucht, ihre achtjährige Tochter Zahra zu trösten. Beide weinen vor dem Grab ihres Mannes und Vaters, südlich von Kundus. Der 43-jährige Baynazar war 2015 während der Eroberung von Kundus durch die Taliban auf dem Heimweg von der Arbeit durch Schüsse verwundet worden. Er kam zur Behandlung ins nahegelegene MSF-Traumazentrum. Während seiner zweiten Operation, am Morgen des 3. Oktobers, wurde das Krankenhaus von einem amerikanischen Kampfflugzeug angegriffen. Es starben mindestens 30 Menschen – darunter MSF-Mitarbeiter, Patienten und Pfleger. Dutzende weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Die USA haben die Verantwortung für den Angriff übernommen und führen ihn auf menschliches Versagen und technische Probleme zurück. Viele Fragen blieben bis heute jedoch ungeklärt. Bislang wurden Disziplinarmaßnahmen gegen 16 Militärangehörige im Zusammenhang mit dem Vorfall eingeleitet, rechtliche Schritte dürfte allerdings niemand befürchten. Baynazar hinterließ seine Frau – Najibah –, zwei Söhne – Samiullah, 19, und Khalid, 6 –, sowie die Töchter Raiana, 10, und Zahra, 8.

Foto: Andrew Quilty | Oculi für TIME

3. Mai 2014: Das Bild wurde aufgenommen, etwa 24 Stunden nachdem zwei Erdrutsche mehr als 2.000 Einwohner des Distrikts Argu in der bergigen Provinz Badachschan unter meterhohen Schlammlawinen begraben hatten. Der erste Erdrutsch begrub etwa 300 Häuser und alle, die sich in ihnen, auf den Straßen oder bei einer Hochzeitsfeier im Ort aufgehalten hatten. Der zweite Erdrutsch ereignete sich, während Helfer mit Schaufeln und bloßen Händen nach Überlebenden gruben. Die Bergungsmission wurde schließlich abgeblasen, weil es keine Bagger gab, die für diese gigantische Aufgabe nötig gewesen wären. Mohammad Karim Chalili, einer der zwei afghanischen Vizepräsidenten, reiste mit einer Handvoll Minister aus Kabul an, um vor Ort sein Mitgefühl für die Opfer des Unglücks auszudrücken. Vor dem Schauplatz des Erdrutschs schauen die Männer in den Himmel zum ANA-Helikopter, der den Vizepräsidenten über die Unglücksstelle fliegt.

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Foto: Andrew Quilty für die New York Times

7. August 2015: Ladenbesitzer nach einem Anschlag vor ihren Geschäften. Die Explosion eines mit Sprengstoff beladenen Lastwagens hat die Fenster und Türen ihrer Läden zerstört. Bei dem Anschlag, der sich in den frühen Morgenstunden im Osten Kabuls ereignete, starben 15 Menschen, Hunderte weitere wurden verletzt. Es sollte nur der erste von drei Anschlägen sein, die sich in den folgenden 24 Stunde ereigneten.

Andrew Quilty für Australian Broadcasting Corporation

16. August 2015: Ein Beamter der Afghanischen Nationalpolizei durchsucht einen Mann, der einen afghanischen Pass beantragen will. Bereits vor Sonnenaufgang hat sich vor Afghanistans einziger Passbehörde in der Hauptstadt Kabul eine lange Schlange gebildet. Inzwischen werden jeden Tag Tausende Pässe beantragt und ausgestellt. Immer mehr Menschen wollen das Land verlassen, denn die Sicherheitslage verschlechtert sich stetig und die Jobaussichten sind miserabel.

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