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Warum spiele ich 'Pokémon Go' eigentlich?

Am Karlsplatz gibt es "Zubats", an der Wienzeile viele Wasser-Pokémon und beim Westbahnhof habe ich sogar einen "Schiggy" entdeckt – trotzdem habe ich keine Ahnung, was das alles eigentlich bringt.
Bild von VICE Media

Es ist fast schon eigenartig, wie das Gehirn funktioniert. Mein Schulwissen ist durch mangelnde Anwendung und diverse Exzesse zum Großteil aus meinem Oberstübchen verdunstet. Namen von Bekannten machen nur selten den Umweg über das Kleinhirn und wenn ich nicht angestrengt nachdenke, bin ich oft nicht mal sicher, was ich heute zu Mittag gegessen habe. Und dennoch erinnere ich mich zur Zeit an hunderte Namen von Pokémon, Klassenbezeichnungen und Stats.

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Pokémon Go, das Ingress-artige Handyspiel, das dich in deinem Umfeld die bunten kleinen Viecher jagen lässt, hat laut Forbes Magazine in Punkto täglicher User schon fast Twitter überholt. Auch mich hat dieser Hype erreicht, der sich irgendwie zu einem eigenartigen Selbstläufer entwickelt hat, nach dem Motto: "Alle reden über Pokémon Go, schnell, wir müssen auch was zu Pokémon Go machen!"

Aber seitdem sich dieses Spiel auf meinem Handy eingenistet hat, leuchten meine Synapsen auf wie ein Feuerwerk. Der Grund ist pure Nostalgie. Nur zur Info, es ist kein gutes Spiel und selbst für wahre Fans der alten Anime-Monsterlein bietet es eher leere und bedeutungslose Gameplay-Freuden. Aber die Augmented Reality dieser App macht Wiens Bezirke zu einem einzigen Pokémon-Zoo, den man wie jeden niedlichen Zoo natürlich plündern will; und so treibt es auch mich willenlos aus dem Haus, über den Gürtel und den Graben bis hin zum Ring und die Arena am Karlsplatz.

Bilder von VICE Media

Hier, im Umkreis der Kirche, die Rechte gern mit einer Moschee verwechseln, gibt es zum Beispiel "Zubats", "Rossanas", "Traumatos" und "Taubsis"—letzteres ist mir sogar an meinem Arbeitsplatz am Schreibtisch begegnet. In der Gegend vom Westbahnhof habe ich hingegen "Nebulaks", "Myraplas", "Kleinsteins", "Paras" und sogar ein "Schiggy" entdeckt! Entlang der Wienzeile waren es passenderweise einige Wasser-Pokémon.

Wie das Spiel, das offiziell noch nicht mal bei uns erschienen ist, funktioniert, wissen dank der Tausend Artikel zum Thema inzwischen vermutlich alle: Man hält sein Handy hoch, sucht die Viecher und fängt sie mit einer flinken Fingerbewegung über den Touchscreen ein. Unmittelbar danach setzt dann das große Grübeln ein, was eigentlich deine tatsächlichen Ziele sind—im Spiel und im Leben—und man fängt an, die Sinnhaftigkeit dieses reinen Spot-Fests ein bisschen zu hinterfragen.

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Eine Sache zumindest ist fix: Die Pokémon sind viele. Da die knubbeligen Kreaturen eigentlich nie wirklich von der Bildfläche verschwunden sind (da waren Spiele wie PokémonJukebox, PokémonFerienlager, PokémonTraumradar und nicht zu vergessen die Fernsehserie mit 19+ Staffeln sowie fast 20 Filme), ist ihre Zahl über mehrere Generationen stetig gewachsen. Als es dann plötzlich mehr als 151 Pokémon gab, Digimon und den ganzen Scheiß, hatten viele Fans weniger Zeit und weniger Interesse. Die Dinger verlorenin der Quantität einiges an ihrem Mysterium—oder ich bin einfach zu alt dafür geworden.

Aber jetzt hat der technische Fortschritt den meisten Menschen ein Smartphone in die Hand gezaubert und Nintendo erkannte die Chance auf eine lukrative "Pokémonaissance". Der japanische Spaßkonzern wagte den Sprung auf den App-Markt (schon mit MiiMobile) und jetzt brennen wegen PokémonGo weltweit den Servern die Platinen durch. Nostalgische Millennials rund um den augmented-realen Erdball entdecken gerade ihren Pokémon-Jagdtrieb neu und werden von ihrem digitalen Sammler-Instinkt tatsächlich motiviert, sich endlich ein bisschen mehr zu bewegen, was bestimmt so manche Personal Trainer-App neidisch stimmt.

In Europa muss man leichte Umwege gehen, um auf die App zugreifen zu können, da diese wie gesagt (noch) nicht offiziell verfügbar ist. Zwar sind über ganz Wien schon vereinzelte Arenas verteilt, die man für eines der drei Teams in Beschlag nehmen kann, aber an diesem Punkt endet die Interaktion auch schon. Keine Kämpfe zwischen unbekannten Trainern oder Freunden, kein mühsames Up-Leveln deines Lieblingsmonsters. Dein Starter-"Glumanda" kann mit etwas Glück durch ein zufälliges "Glurak" am Straßeneck ersetzt und für einfache Entwicklungspunkte eingetauscht werden. Vorbei ist es mit der emotionalen Bindung und liebevollen Aufzucht deiner Monster.

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Zufällig ist mein "Traumato" einer der stärkster Kämpfer, weil es in meiner Gegend einen eklatanten Überschuss an diesem Typ gibt und ich sie für EXP verwurste—beziehungsweise "an den Professor schicke". Aus den Augen, aus dem Speicher. Mich würde interessieren, wo eigentlich die Unmengen an Geo-Tracking-Daten landen, die man im Hintergrund beim Spielen abgibt.

Deine Kreaturen bleiben jedenfalls völlig charakterlos. Was früher eigentlich genau der Reiz an ihnen war—warum vergleichbare Augmented-Reality-Spiele bei identer Hirnlosigkeit nicht den selben Suchtfaktor und Hype vermitteln konnten, ist wahrscheinlich eins der Mysterien des Games.

Sicher spielt die ursprüngliche Faszination von Pokémon eine große Rolle; und auch das Triggern unseres Jagd- und Sammel-Instinkts schadet der Beliebheit bestimmt nicht. Zusätzlich wurde aber auch aus gutem Grund nur die erste Generation an Monstern für das Experiment gewählt, um Kinder aller Alterstufen zurück in ihren Bann zu ziehen. Events wie der Pokémon Go Nightwalk Nightwalk beim Stefflbeweisen, dass die Rechnung aufgeht.

Nostalgie ist einfach der beste Selling-Point unserer Zeit und lässt vergangenheitsversessene Spätpubertierende schnell die völlig unsinnige Spielmechanik vergessen—zumindest lange genug, um einen kurzfristigen Medien-Hype auszulösen. Und jetzt muss ich wieder raus. Hier in Rudolfsheim-Fünfhaus wird ein "Mew" angezeigt!

Felix auf Twitter:@Everyday_Tweet