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GAMES

Ich habe einen Stalker, der mir seine Game-Reviews auf WhatsApp schickt

Ich kenne ihn nicht wirklich, aber seine philosophisch-verkifften Messages und Kurzvideos bringen mich immer wieder zum Lachen.
Foto von VICE Media

Letzte Woche ist Just Cause 3 erschienen und die Informationskanäle meines Vertrauens—wie zum Beispiel der Giant Bombcast oder so manche Reddit-Hate-Threads—haben es schon lang und breit durchgekaut.

Aber keine Review zu diesem Spiel und keine Videospiele-Fachkraft kommt in Punkto Absurdität und purem Unterhaltungswert diesem einen Typen nahe, der mir seit einiger Zeit regelmäßig über WhatsApp Kurzvideos, Audiofiles und kryptische Sätze aus seinem Leben schickt.

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Alleine dieses Wochenende habe ich von diesem skurrilen Mittvierziger insgesamt 14 Videos und dutzende Nachrichten bekommen. Viele davon sind ziemlich verwirrend oder viel zu privat, was daran liegt, dass man Videospiel-Marathons meistens nicht im Nadelstreifanzug und komplett nüchtern macht. Und das Komischste daran ist, dass ich ihn—bis auf die hochfrequenten Gaming-Chats—eigentlich überhaupt nicht kenne.

Falls ihr euch also schon mal gefragt habt, wie es ist, einen WhatsApp-Stalker zu haben, der mit seinen furchtbaren Lets Plays viel spannender und unterhaltsamer ist als PewDiePie, dann ist dieser Artikel euch gewidmet.

Ursprünglich ist dieser freundliche Gamer irgendwann auf meinen Podcast Lust auf Zorn (gemeinsam mit dem Kollegen Lust) gestoßen und hat anscheinend eine geistige Verbindung gespürt. Danach hat er auch noch VICE Alps für sich entdeckt, was praktischerweise für einen nie endenden Quell an Stalking-Nachschub sorgt.

Seine Mails und die Nachrichten kamen mit einer fast schon beängstigenden Regelmäßigkeit, obwohl ich ihm nicht immer geantwortet habe. Es war wie ein Ein-Mann-Newsletter über Normcore und Feierabend-Philosophie, den ich nie wirklich abonniert hatte.

Dieser lustige Kerl ist natürlich kein komplett Fremder—woher hätte er denn sonst meine Nummer. Ich habe ihn mal persönlich auf der diesjährigen Gamescom getroffen, mich mit ihm und einem obdachlosen Jungen der YouTube-Generation betrunken und vermummt vor dem RTL-Turm posiert (also er, nicht ich).

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Foto zur Verfügung gestellt mit freundlicher Erlaubnis vom besagten WhatsApp-Game-Reviewer

Letztens bekam ich am späten Abend ein Video von ihm aufs Handy geliefert. Darin sieht man, wie er Beethoven hört, kifft und nebenher—akzentuiert von Bierschlucken—erzählt, dass sein letztes „Kraut" so aggressiv war und er das nicht mag, wenn „Sachen so sehr an die Tür klopfen". Alles sehr intim eigentlich.

Vor einiger Zeit filmte er einfach sein Gesicht aus mehreren Perspektiven und meinte, dass man „von oben am schönsten sei". Beim U-Bahn-Fahren in die Arbeit lösen bei mir diese Einblicke in völlig fremde Wohnzimmer und Köpfe schon sowas wie einen kleinen Mindfuck aus.

Diese Videos sind ein bisschen wie Facebook-Postings von Sinéad O'Connor zu lesen oder alte Videos von Charlie Sheen zu schauen. Es geht einen eigentlich nichts an, aber wenn es das Internet eben hergibt, wäre es doch dumm, es nicht anzunehmen. Falls jemand von euch ein praktisches Beispiel dafür brauchen sollte, was Post-Empire ist—ihr werdet wahrscheinlich kein besseres finden.

Die meisten ein- bis zweiminütigen Videos und Audioaufnahmen, die er mir immer schickt, verfolgen auch eine gewisse Dramaturgie (wenn auch nicht immer mit dem genialsten Dritten Akt).

Screenshot vom Autor

Monologe mit „Fotze" in All Caps oder Videos im Bademantel, aus dem oben die Brusthaare herausquellen, wären ja prinzipiell völlig OK zwischen alten Freunden, mit der Tinder-Liebschaft oder vielleicht innerhalb der Verwandtschaft. In dieser Beziehung stehe ich aber nicht mit ihm und weswegen jedes WhatsApp-Ping eine leichte Gänsehaut bei mir auslöst.

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Obwohl ich gar nicht so genau weiß, was es ist, das mich daran gruseln lässt. Immerhin betreibt er eigentlich nur denselben Online-Exhibitionismus, den andere öffentlich machen—aber eben auf genau eine Person im Publikum beschränkt. Vielleicht ist es Facebook für soziale Einsiedler, vielleicht ist es eine neue Form von Therapie. Vielleicht sollte ich mir einfach auch jemanden suchen, dem ich in verschlafenen Videos meine Gedanken über Batman erzähle und dabei wie ein zerknautschter Schundromanautor dreinschaue.

MOTHERBOARD: Es gab das Gerücht, dass Paris-Terroristen über Whatsapp kommuniziert haben.

Tatsächlich ist die Lo-Ki-Aufmachung und das Zerknautschte und Selbergemachte aber nichts, worüber ich mich lustig machen will—in Wahrheit ist der Unterhaltungswert dieser Videos gerade deshalb so hoch, weil er komplett auf die Inszenierung zu pfeifen scheint. Das bedeutet konkret: Dutzende WhatsApp-Videos, in denen er sein eigenes Bloodborne-Gameplay vom Fernseher abfilmt. Es sind mit ziemlicher Sicherheit die schlechtesten Let's Plays, die ich jemals gesehen habe; aber auch die beste Annäherung an Helge Schneider-Humor im Gaming.

Anlässlich des Releases von Just Cause 3 habe ich letzte Woche eine Audio-File bekommen, in dem er über Tageslicht in Next Gen-Spielen redet, während Torre Florims Song „Firestarter" im Hintergrund eiert—das atmosphärische Hippie-Lied zum Spiel. Er ist so ergreifend leidenschaftlich in seiner neuentdeckten Liebe zu Videospielen—er hat erst seit Sommer 2015 eine PS4—, dass seine Begeisterungsfähigkeit absolut ansteckend ist. Vielleicht habe ich deshalb noch nie darüber nachgedacht die Nummer zu blocken, was ich bei jedem anderen mit so einer hohen einseitigen Nachrichtenfrequenz sofort tun würde.

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Screenshot aus WhatsApp-Video vom Autor

Und damit ihr euch beim Lesen dieses Artikels nicht ganz so fühlt wie ich beim Schauen seiner Videos, hier noch seine kleine Kurz-Review als mundgerechter Infohappen zusammengefasst: Für meinen Gaming-Stalker ist Just Cause 3 die Krone aller AAA-Titel und fickt GTA V gleich doppelt und dreifach in die Ecke. Endlich könne man, wie vom Spiel so reißerisch versprochen, tatsächlich die ganze Welt anzünden.

Soviel also dazu. Bleibt nur die Frage, was das alles über Gaming und Selbstinszenierung und Filterblasen und Teilöffentlichkeiten und meinen Stalker und mich aussagt. Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass mein WhatsApp-Freund ein lieber Kerl ist. Wirklich. Als ich ihm erzählt habe, dass ich diesen Artikel schreiben werde, bekam er sogar ein schlechtes Gewissen, weil er sich für seine 6-stündigen Marathons mit Just Cause 3 krank schreiben lassen hat. Nett, oder?

Er ist wie Michi Buchinger oder Pringles und seine Videos sind wie ein Webcam-Kammerspiel, das sehr wenig zeigt, obwohl es darin um sehr vieles geht—wie zum Beispiel darum, wie wir uns in sozialen Medien inszenieren und die Frage, für wen wir eigentlich unsere Postings ins Netz stellen.

Die Antwort ist gar nicht so einfach. Aber der Weg dorthin ist für mich jedenfalls mit seinem Videotagebuch gepflastert. Und sobald er seinen eigenen Channel auf YouTube Red hat, hört ihr wieder von mir.

Josef auf Twitter: @theZeffo