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#MeinfalscherFreund

So überraschend warnt die bayerische Regierung vor Crystal Meth

Bayern will die Art von Leuten erreichen, zu der du vermutlich auch gehörst – und dafür gibt es gute Gründe.

Es gibt Freunde, die ständig Hilfe anbieten, aber dann doch nie Zeit haben. Es gibt Kontaktanfragen auf Karrierenetzwerken wie XING und LinkedIn, die sich als unangemessene Flirtversuche entpuppen. Und es gibt Kollegen und Kommilitonen, die dir vermeintlich bei nächtlichen Überstunden helfen oder dir die Methodik-Vorlesung erklären, tatsächlich aber dein Leben zerstören. So stellt es zumindest das bayerische Gesundheitsministerium dar. Mit einer neuen Kampagne warnt die Regierung in Bayern jetzt vor der Droge Crystal Meth. "Mein falscher Freund" heißt die Aktion und startet mit zwei Videos, die definitiv keine deutsche Miniversion von Breaking Bad sind.

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Im ersten sieht man einen jungen Familienvater, der im Job mal wieder als Letzter im Büro zurückbleibt. Vielleicht bearbeitet er den Finanzplan für Frau Maiers Kunsthandel-Fond, der schnell fertig werden muss. Als der Mann – er dürfte Ende 20, Anfang 30 sein – gerade unvollendeter Dinge das Licht ausknipsen will, kommt ein weiterer Krawattenträger hinzu. Er wirkt so dynamisch, als wolle er nicht nur Frau Maiers Finanzplan, sondern gleich die ganze Aktienwelt revolutionieren. Das Projekt ist schnell erledigt, es bleibt sogar noch Zeit für einen Diskobesuch und einmal Freidrehen im Einkaufswagen auf dem Parkplatzdach.

Die Protagonistin des zweiten Videos ist eine Studentin. Die Schwarz-Weiß-Optik der Aufnahmen verrät bereits, dass es sich hier nicht um das nächste Musikvideo von Julia "Komm-wir-machen-mal-das-Fenster-auf" Engelmann handelt. Stattdessen verzweifelt die Frau im Hörsaal und vermisst allem Anschein nach ihren Ex-Freund. Aufmunterung kommt von einer Kommilitonin, die sie nicht nur beim Lernen und Joggen motiviert, sondern ihr auch noch genügend Selbstvertrauen für den nächsten One-Night-Stand einflößt. Aber ups, Kondom vergessen, schwanger geworden.

Beide Videos enden dramatisch: Der Mann verliert Familie und Job, die Frau trägt ein schwerkrankes Kind im Bauch. Schuld sind in beiden Fällen ihre "falschen Freunde", die sich als menschgewordenes Crystal Meth entpuppen: Sie haben allein in den Köpfen der Protagonisten existiert und sollen den Rausch symbolisieren.

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Bilder von zerrissenen Familien und Menschen, die mit weit aufgerissenen Augen erkennen, dass sie Mist gebaut haben, gehören zum Standard-Anti-Drogen-Repertoire. Die Spots erzeugen trotzdem einen ähnlich kalten Schauer beim Zuschauer wie der demente Saturn-Opa mit seiner VR-Brille. Selbst wenn man weiß, dass es um Crystal geht, überraschen die Bilder. Denn erstens bricht das bayerische Gesundheitsministerium mit gängigen Crystal-Meth-Klischees zwischen Breaking Bad, Chemsex und zerfallenen Gesichtern. Zweitens kann Crystal Meth auch Paranoia auslösen, das macht "Mein falscher Freund" deutlich.

Aber muss man tatsächlich gut situierte Durchschnittsmenschen vor den kleinen Kristallen warnen?

Ja, muss man. Die Droge ist überall in Deutschland verbreitet, selbst Manager und Bundestagsabgeordnete konsumieren sie. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung geht in ihrem aktuellen Bericht von 106.000 Personen aus, die im letzten Jahr Crystal Meth konsumiert haben. Das ist mehr als einer aus tausend Deutschen. Da das meiste Crystal allerdings aus Tschechien kommt, ist der Konsum in Bayern und Sachsen am höchsten. Gerade junge Deutsche nehmen Crystal Meth zur Leistungssteigerung – genau wie die beiden Figuren aus der Kampagne. Und zumindest das erste Video deutet an, dass der Büroarbeiter die Droge nicht von einem schmierigen Straßendealer, sondern von seinem Vorgesetzten erhält.

Mit der Ausbreitung nehmen die Todesfälle zu, genauso wie Crystal-Schwangerschaften: Schon vor zwei Jahren musste im sächsischen Dresden fast jede Woche ein Baby behandelt werden, das an den Folgeschäden des mütterlichen Konsums litt: einer dauerhaft verkleinerten Gehirnmasse etwa oder einer akuten Vergiftung schon bei der Geburt. Auch deshalb haben Beratungsstellen in Thüringen und Brandenburg gerade ihre Leistungen ausgeweitet.

Die Bayern kämpfen somit nicht allein gegen die Droge. Beide Videos und zahlreiche Postkarten, die das Gesundheitsministerium nun verteilen will, verweisen auf die Webseite mein-falscher-freund.de . Hier werden anonyme unverbindliche Beratungs- und Hilfsangebote verlinkt. Das ist gerade in Bayern wichtig, da Politik und Polizei Drogenkonsumenten im Freistaat ansonsten mit einer rigorosen und stigmatisierenden Null-Toleranz-Politik begegnen. Bislang mit wenig Erfolg.

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