Die wahren Langstrassen-Experten stehen hinter diesen Laden-Theken
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Drogen

Die wahren Langstrassen-Experten stehen hinter diesen Laden-Theken

Schirm-Fredi, Imperial Reisen, Werners Head Shop: Die Menschen der legendärsten Langstrassen-Läden erzählen ihre Geschichten zur berüchtigsten Strasse der Schweiz.

In der 'Langstrassen-Woche' widmen wir uns einzig und allein der schillerndsten Strasse der Schweiz. Alle bisherigen Beiträge findest du hier.

Es gibt Dinge, die lassen sich nicht einfach im Internet kaufen. Für manches muss man auch mal tagsüber an die Langstrasse gehen, wenn die meisten Bars und Clubs noch gar nicht geöffnet sind und die Läden, die im Trubel der Nacht untergehen, ihre Ware an den Mann bringen. Tagsüber – eine Zeit, an der viele Auswärtige wohl noch gar nie an der Langstrasse waren – wirkt diese durchaus so ruhig, dass man sich fragt, woher der Ruf einer kleinen Reeperbahn überhaupt stammt.

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Viele der Läden an der Langstrasse existieren schon seit Jahrzehnten. Bevor die Gentrifizierung oder das Internet die kleinen Läden dahinrafft (immer öfter verdrängen zahlungskräftige Ketten, die ein vielfaches an Miete zahlen können, die alten Geschäfte), zog ich los und stattete einigen dieser legendären Läden einen Besuch ab. In all den Jahren hinter dem Tresen wurden die Angestellten und Inhaber quasi zu Langstrassenexperten – und erzählten mir ihre ganz eigenen Geschichten.

Schirm-Fredi

Tom liebt die Langstrasse und so wie Tom hinter dem Tresen strahlt, muss ihn auch die Langstrasse lieben. Seit sechs Jahren arbeitet er bei Schirm Fredi und verkauft Handtaschen, Koffer und natürlich Schirme. Am liebsten ist er im Geschäft an der Langstrasse im Kreis 5, hat aber auch schon im Laden im Shopville und im Geschäft an der Langstrasse im Kreis 4 gearbeitet, das dort bald schon seit 50 Jahren steht. Tom gefällt die Diversität an der Langstrasse. Viele seiner Kunden seien Sri-Lanker, die eine grosse Community im Kreis 5 bilden. Seit Kürzerem kämen auch viele Somalier. Im Kreis 4 kämen dafür mehr Prostituierte oder Leute mit schwierigen Biographien in den Laden, bei denen brauche er besonders viel Einfühlvermögen. "Meine Kunden, beste Kunden", fasst es Tom mit einem breiten Grinsen im Gesicht zusammen.

Im Sommer verkauft Tom hauptsächlich Koffer, während im Winter Regenschirme über die Theke gehen. Doch die veraltete Fassade des Laden trügt: Schirm Fredi repariert nicht nur als einziger Laden in Zürich Koffer, sondern hat auch vom Flughafen Zürich den offiziellen Auftrag, für beschädigte Koffer Gutachten zu erstellen und diese gegebenenfalls zu reparieren. Das übernimmt Tom gleich selbst, der seinen Job wirklich gern zu haben scheint, so wie er von seiner Arbeit schwärmt, während er mit mir spricht. Genauso wie seine Kunden: "Ich liebe alle Leute, egal woher sie kommen", ruft er mir beim Rausgehen nochmal zu. Die Langstrasse liebt dich auch, Tom!

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Andy's Fischershop

Irgendwann hatte Andy genug von seinem Job als Maschinenmechaniker. Als ein Freund den Anglerladen neben dem Bermudadreieck (die Gegend um die berüchtigten Rotlichtlokale Sonne und Chillis) an der Molkenstrasse aufgeben wollte, übernahm er den Laden kurzerhand. Seit 27 Jahren sieht Andy, wie sich die Langstrasse vom Arbeiterquartier zur Partymeile entwickelt. "Das Quartier verändert sich hier sehr schnell in letzter Zeit. Die traurigen Drogengeschichten sind heute viel weniger geworden, oder zumindest nicht mehr so sichtbar – dafür türmt sich jetzt der Partydreck", erzählt Andy.

Nochmal würde er hier keinen Laden aufmachen wollen. Trotzdem schätzt er die viele Laufkundschaft, die seinen Laden während dem Ausgang sehe und so auch mal tagsüber vorbeikomme. Zeit nimmt er sich für jeden Kunden und erklärt einer Mutter mit ihrem Kind auch mal geduldig, wie die Angelprüfung funktioniert und bestückt den Nachwuchsangler gleich mit dem passenden Starterkit.

Imperial Reisen

An der wahrscheinlich wildesten Ecke der Langstrasse, der Piazza Cella, gleich gegenüber der gefühlt rund um die Uhr geöffneten Piranha-Bar, hat Sadi ihr Reisebüro. Eigentlich ist der Laden ein Reisebüro-Comicladen – eine wahrscheinlich einmalige Kombo. Da Sadi nicht die ganze Geschäftsfläche braucht, hat sie den Laden kurzerhand mit einem befreundeten Comichändler geteilt und verkauft hier seit elf Jahren Flüge und Pauschalreisen. So kommt es mindestens einmal die Woche vor, dass Magic-Nerds ihre Sammelkartenduelle im Laden ausspielen, während Sadi ihre Kunden überzeugen möchte, sich nicht vor Terrorgefahr in die Hose zu machen und nach Nordafrika oder die Türkei zu verreisen.

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Als ich frage, warum sie ihr Büro gerade an diese Ecke gezügelt hat (zuvor war sie 23 Jahre in Birmensdorf), überlegt sie nicht lange: "Wegen der ganzen Nutten. Nach drei Monaten müssen die meisten wieder gehen und dann brauchen die alle auch einen Flug". Einen guten Riecher für das Geschäft hat Sadi jedenfalls, die, wie sie sagt, sieben Sprachen spricht. Sich selbst bezeichnet Sadi als Reisefachexpertin und nicht als "irgendeine Reisebürotussi". Sadi hat einen guten Draht zu den Leuten vor ihrem Laden, bleibt aber trotzdem streng: Prostituierte schätzt sie zwar ("Wer soll denn sonst all diese hässlichen Lumpen da für uns befriedigen?"), aber nicht vor ihrem Laden. Als eine Latina lautstark vor ihrem Laden telefoniert, reicht ein Satz auf Spanisch und die Ordnung vor der Piazza Cella ist wieder hergestellt. Kein Problem für beide, man kennt sich ja schliesslich beim Namen. "Ich bin sowas wie ihre Puffmutter – und wahrscheinlich die einzige weibliche Chefin hier", sagt mir Sadi.

Ein Problem hat Sadi aber mit vielen Frauen aus Osteuropa, die hier immer öfters anschaffen. "Ich möchte, dass auch Nutten Stil haben. Wie die Asiatinnen, die heute ganz verschwunden sind oder die Latinas. Die Osteuropäerinnen haben eine grosse Klappe und sehen scheusslich aus", erklärt sie. Es kam auch schon vor, dass Kunden mit Tausendernoten aus Cola-Flaschen mit doppeltem Boden bei ihr zahlen – Direktflug am nächsten Tag auf die andere Seite der Welt. Und trotzdem behandle Sadi alle Kunden gleich. Schliesslich unterliege sie wie ein Arzt auch der Schweigepflicht, meint Sadi. Dazwischen sorgt sie auf der Piazza Cella für Ordnung – denn solange man sich zu Verhalten wisse, dürfe man auch Spass haben, meint Sadi.

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Bitli's Music & Gameshop

Beat schliesst gerade die Türe seines Ladens auf, als ich mir sein Schaufenster ansehe. Die Schachteln mit den Brettspielen darin sind so ausgebleicht von der Sonne, dass ich erst dachte, der Laden sei bereits zugegangen. Sein Music & Gameshop ist, wie es der Name schon sagt, zweigeteilt: links CDs mit Blues, Jazz, Funk und Soul – rechts Brettspiele aller Art. In der Mitte türmen sich auf einem Festtisch Ausverkaufsartikel. Ausser mir ist niemand im Geschäft.

Beat eröffnete den Laden an der Langstrasse im Kreis 5 vor 16 Jahren, als er keine Lust mehr hatte auf seinen Chef in seinem Job bei einem Musikverlag. Zuerst verkaufte er nur CDs, als das Musikgeschäft später einbrach, begann Beat auch Brettspiele zu verkaufen – eines seiner grössten Hobbys. Als ich ihn frage, ob in Zeiten von billigen Smartphone-Spielen überhaupt noch jemand Brettspiele kaufe, erklärt er mir, dass Brettspiele seiner Meinung nach nie aussterben würden. "Sie heissen nicht umsonst Gesellschaftsspiele und Gesellschaft braucht jeder mal – glaube ich jedenfalls", meint Beat. Durch sein gutes Verhältnis zum Vermieter zahlt er eine bezahlbare Miete und kann von seinem Geschäft leben.

Den Standort Langstrasse hat Beat bewusst gewählt: Er mag das Multikulti-Feeling hier, dass hier der Anzugträger auch mal dem Obdachlosen begegnet. "Hier ist die Schweiz anders, sowas gibt es im ganzen Land kein zweites Mal", sagt Beat. Dass die Langstrasse immer gezähmter wird, sieht er mit zweierlei Gefühlen. Ihm gefallen die neuen, innovativen Design-Läden. Trotzdem wünscht er sich, dass die Langstrasse auch in Zukunft ein ungezähmtes Stück Schweiz bleibt.

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Werners Head Shop

Wenn ein bestimmter Laden an der Langstrasse Kultstatus hat, dann ist es Werners Head Shop. Seit 34 Jahren betreibt er seine Filialen auf beiden Seiten der Langstrassenunterführung – auch am Limmatquai und in Chur verkauft Werner Raucherbedarf. An die Langstrasse ging er, weil dort die Ladenflächen früher am günstigsten waren. "Die Langstrasse galt als minderwertig. Heute schätze ich die unkomplizierte Atmosphäre hier", erklärt Werner. Er selbst sagt, das Rezept für seinen Erfolg sei, dass er immer trendorientiert geblieben sei. Tatsächlich wirkt Werners Head Shop wegen all den Farben mehr wie eine Spielzeugabteilung als ein Kiffer-Shop mit Klappmessern und Riesenbongs.

Der Laden läuft gut, besonders stolz ist er auf sein eigenes CBD-Gras, das gerade ziemlich gefragt sei. Trotzdem wäre Werner lieber, wenn die Schweiz Cannabis mit einem Lizenzsystem für Shops legalisieren würde. CBD-Gras vergleicht er mit einem Whiskey, der nur drei Prozent Alkohol hat – es sei einfach nicht dasselbe. In der Zeit um die Jahrtausendwende, als in Zürich durch eine Unklarheit im Gesetz Gras als Duftsäcke verkauft wurden, stürmten auch schon mal Polizisten seinen Laden und beschlagnahmten sein Duftsacklager. Auch heute gefällt Werner die Langstrasse immer noch, trotz den ganzen Veränderungen der letzten Jahre. "Was früher das Niederdorf war, ist heute die Langstrasse. Jede grosse Stadt braucht ihr Ausgangsquartier und das ist gut so", meint Werner während er an seiner E-Zigarette zieht.

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