Sport

Wie ein Mädchen-Fußballteam eine Nachwuchsliga für Jungs dominiert

"Manche lachen sogar, wenn wir uns die Hände geben. Sie schreiben uns direkt ab, aber dann zeigen wir es ihnen." – Brooke, 12, Kapitänin des englischen SB Frankfort.
Eine Fußballspielerin des SB Frankfort im Zweikampf mit einem Jungen
Alle Fotos: Eve Watling

Bewegende Szenen bei der diesjährigen Fußball-WM: Gerade hatte Frankreich die Brasilianerinnen aus dem Turnier geschmissen, da gab die Starspielerin Marta ein Interview, in dem sie die jungen Fußballerinnen in Brasilien leidenschaftlich dazu aufforderte, niemals aufzugeben: "Der Frauenfußball wird nur durch euch überleben", sagte die Stürmerin, die mehr Tore bei Fußball-Weltmeisterschaften geschossen hat als irgendjemand anderes. Eine Gruppe junger Mädchen scheint diese Botschaft bereits zu leben.

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Die englische Großstadt Plymouth ist die Heimat des Fußballvereins SB Frankfort. Dessen U12-Mädchenteam hat vergangene Saison Geschichte geschrieben, als es bereits zwei Spiele vor Saisonende ungeschlagen die Meisterschaft in der "Devon Junior & Minor"-Jungenliga gewann. 75 Tore in 18 Spielen. Ein Klacks.

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Das Mädchenteam vom SB Frankfort

Die Mädels vom SB Frankfort durften in der Jungenliga antreten, um ihre eigene Entwicklung voranzutreiben. Für ihre eigene Liga waren sie nämlich bereits viel zu gut. "Uns geht es gar nicht so sehr darum, die Jungs immer zu schlagen", sagt die 12-jährige Kapitänin Brooke. "Wir wollen nur zeigen, dass wir auch was draufhaben und ebenfalls wichtig sind."

Natürlich kicken die Mädels nicht nur bei den Jungs mit, um sich fit zu halten. Nein, sie wollen oben mitmischen: "Das Gefühl nach einem Sieg ist toll", so Brooke weiter. "Wir wollen als Mädchen dann immer 'Da seht ihr's!' schreien. Aber wir benehmen uns natürlich. Für uns ist nicht wichtig, gegen wen wir spielen. Gegen Jungs ist es aber etwas anderes, weil wir es so den Leuten zeigen können, die sonst an uns zweifeln."

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Im Mai 2016 änderte der englische Fußballverband den Entwicklungsweg im Frauenfußball und führte für die Spieler und Spielerinnen zwischen 7 und 18 Jahren gemischte Ligen ein. "Als wir zum ersten Mal darüber sprachen, in einer Jungenliga anzutreten, gab es kaum Gegenstimmen. Die Mädels und ihre Eltern waren aber auf jeden Fall etwas nervös", sagt John Preston, der Co-Trainer von SB Frankfort. "Zum Glück herrscht bei uns ein so großer Teamzusammenhalt. Die Mädchen freuten sich auf die Herausforderung und meisterten sie mit Bravour."

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Anfang Juni bereiteten sich die Mädchen vom SB Frankfort auf ein wichtiges Sommerturnier vor, bei dem 20 Meisterteams aus 20 verschiedenen britischen Städten eingeladen waren. Quasi die Champions League des U13-Mädchenfußballs. Zu dieser Vorbereitung gehörte auch ein Freundschaftsspiel gegen ein U11-Jungsteam – das erste Match seit der Meisterschaft. Wir waren bei diesem Spiel dabei.

An der Seitenlinie steht an diesem Tag Preston neben James Brown-Tunnell, dem Cheftrainer von SB Frankfort. Der übernahm den Posten vor vier Jahren, weil es in der Gegend keine andere Mädchenmannschaft gab. "Ich habe einen 15-jährigen Sohn. Ihn zu trainieren, ist etwas komplett anderes, als die Mädels zu coachen", sagt Preston lachend. "Die hören dir nämlich wirklich zu." Nach dem Aufwärmen versammeln sich die Spielerinnen um den Chefcoach, der schon mit einer kleinen Magnettafel bereitsteht und die Taktik für das Spiel erklärt.

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Brooke (links) mit ihren Teamkameradinnen

Die Spielerinnen hören ihrem Trainer aufmerksam zu, als er die Aufgaben verteilt – tief zurückfallen, über den linken Flügel kommen, beim Konter aufpassen. Die Mädels nicken, sie haben alles verstanden. Die Stimmung ist ganz anders als noch vor ein paar Minuten, als sie über ihren Erfolg geredet haben.

"Frauenfußball ist besser, weil die Männer immer hinfallen!", sagt Brooke. Ihre Mitspielerinnen lachen.

"Die Jungs schauen immer super, wenn wir sie besiegt haben. Erst sind sie schockiert, dann ärgern sie sich, dann ist es ihnen peinlich. Sie unterschätzen uns, nur weil wir Mädchen sind", fügt Brookes Teamkameradin Ruby hinzu. "Vor dem Spiel halten sich die Jungs für unglaublich hart. Manche lachen sogar, wenn wir uns die Hände geben. Sie schreiben uns direkt ab, aber dann zeigen wir es ihnen."

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"Ich glaube, niemand geht davon aus, dass wir als Mädchen was draufhaben", sagt die SB-Spielerin Lexie. "Dann beweisen wir den Jungs, wie gut wir sind. Und die kommen damit nicht klar."

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Brown-Tunnell legt die Taktik dar

Wenn sich die jungen Spielerinnen die Fußball-WM anschauen, geht es ihnen dabei nicht nur darum, den Frauenfußball zu unterstützen. Es gehört zu ihrem Training. So lernen sie neue Aspekte des Spiels und der Technik und können sie direkt selbst umsetzen.

"Ich passe genau auf, welche Entscheidungen die Spielerinnen treffen und was ich vielleicht anders gemacht hätte", sagt Brooke. "Frauen lassen sich beim Spielen Zeit", ruft eine ihrer Teamkameradinnen dazwischen. "Bei den Männern geht es nur um Kraft."

Manchmal sind die taktischen Finessen der Nationalmannschaften aber auch Nebensache und die Mädels wollen nur ihren Lieblingsspielerinnen wie Nikita Parris, Steph Houghton oder Megan Rapinoe beim Kicken zuschauen. Sie glauben daran, es eines Tages ebenfalls so weit zu schaffen. "Sie inspirieren mich auf jeden Fall – schon allein, indem sie mir zeigen, wie unsere Zukunft aussehen könnte", sagt Brooke.

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Dass Mädchen in einer Jungenliga die Meisterschaft holen, hat es in Europa schon einmal gegeben: Nachdem sie in ihrer eigentlichen Liga komplett dominierten, wurde das Mädchenteam von Valencia bei den Jungs angemeldet. Eigentlich sollten die Spielerinnen durch die Partien gegen "haushoch überlegene Gegner" nur etwas dazulernen. Dann sicherten sich die Nachwuchsspielerinnen mühelos Platz eins.

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Valencias Trainer Miguel Angel Ortiz glaubt, dass seine Mädels einen Vorteil haben, weil sie mental schon weiter fortgeschritten sind als gleichaltrige Jungs. So haben sie ein besseres Verständnis für Taktik, Aufstellung und Technik. Die Dominanz der Mädchenmannschaft basiere nämlich auf der richtigen Strategie. Wie Ortiz erklärt, falle der körperliche Unterschied bei 12-Jährigen noch nicht so sehr ins Gewicht: "Das kommt erst später. Mädchen sind aber schon früher mental reifer, wodurch sie die taktischen Grundlagen des Fußballs besser verstehen." Erst wenn die Jungs in der Pubertät sind, mache der unterschiedliche Körperbau wirklich etwas aus. Bis dahin reiche das bessere Taktikverständnis der jungen Fußballerinnen aber aus, um ihre männlichen Gegner zu schlagen.

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Nicht nur Valencia lässt seine Mädchenmannschaft bei den Jungs mitspielen, um die fußballerische Entwicklung zu beschleunigen. Barcelona, Atletico Madrid und Athletic Bilbao haben ähnliche Programme eingeführt. Was in Spanien inzwischen normal scheint, ist in England allerdings ein Novum.

Als vielseitige Mittelfeldspielerin und Kapitänin von SB Frankfort gibt Brooke Steven Gerrard als ihren Helden an – sowohl auf als auch abseits des Spielfelds. "Ich war nervös, als man mir die Kapitänsbinde überreichte. Aber ich kenne meine Aufgaben", sagt sie. "Ich muss meinen Mitspielerinnen beibringen, immer positiv und stark zu bleiben. Ich muss mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn der Trainer redet, muss ich zuhören und den anderen Mädels zeigen, dass sie ebenfalls zuhören müssen."

An Selbstvertrauen mangelt es den Mädchen vom SB Frankfort jedenfalls nicht. Warum auch, sie haben ja bereits bewiesen, was sie draufhaben. "Mein größter Traum ist eine Profikarriere", sagt Brooke schließlich fast schon flüsternd. Dann leuchten ihre Augen plötzlich wieder auf: "Und Kapitänin beim FC Liverpool zu sein. Und bei der englischen Nationalmannschaft."

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