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Özil ist vielleicht ein Idiot, aber ihr seid trotzdem Rassisten

Man kann seine eigenen rassistischen Vorurteile nicht mit Özils Fehltritten aufwiegen. Auch dann nicht, wenn er Erdoğan zu seinem Trauzeugen machen sollte.
Mesut Özil ist genervt
Mesut Özil als er noch für den DFB auflief || Foto: imago | ZUMA Press

Wenn der Kanzleramtschef sich äußert, dann muss schon was passiert sein. "Das macht einen natürlich traurig", sprach Helge Braun, CDU, kürzlich in ein Mikrophon und guckte dabei betroffen. Ging es um AKK-Witze beim Karneval? Den schwächelnden BVB? Oder um arme Hundewelpen, die irgendwo an der Autobahn ausgesetzt wurden? Nicht ganz.

Die Bild-Reporterin, die das Mikrophon hielt, und der Kanzleramtsminister unterhielten sich über den aktuell womöglich dümmsten Fußballer Deutschlands: Mesut Özil.

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Natürlich lehnt man sich mit einer solchen Aussage ziemlich weit aus dem Fenster, man könnte sagen: Jemanden als dumm zu bezeichnen, ist eine Beleidigung. In Özils Fall allerdings, geht es weniger um IQ-Punkte oder den Schulabschluss, sondern um die Art und Weise, wie er es schafft jeden Menschen zu verprellen, der ihm noch etwas Gutes wollte. Denn davon gibt es jede Menge. Bis vor kurzem gehörte auch ich dazu.


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Vergangene Woche meldeten türkische Medien, dass der Despot Recep Tayyip Erdoğan auf Özils Hochzeit erscheinen und sogar sein Trauzeuge werden soll. Eine Zeitungsente? Wird Özil dazu gezwungen? Ist seine Familie in Gefahr? Hat er eine Wette verloren? Anders ist es kaum zu erklären, dass sich der in einem Londoner Villenviertel residierende Fußballer aus Gelsenkirchen, trotz all der Aufregung um sein Foto mit Erdogan kurz vor der Weltmeisterschaft 2018, auf so etwas einlässt.

Özil legitimiert den Staatschef nicht nur weltweit, er heroisiert ihn sogar, in dem er ihn an seinem Ruhm teilhaben lässt. Das ist verwerflich.

Wenn Özil wirklich denkt, mit einer derartigen Trotzreaktion die Angriffe auf ihn kontern zu können, hat er rein gar nichts verstanden. Dann hat er sich tatsächlich "verdribbelt", "ein Eigentor geschossen", "die rote Karte kassiert" und sich "ins Abseits gestellt", wie es im journalistischen Fachjargon so gerne heißt. Denn beim Thema Erdogan geht es nicht (nur) um persönliche Animositäten zwischen Özil, Deutschland und der Bild. Der Spieler des FC Arsenal scheint bis heute nicht begriffen zu haben, dass er durch seine Auftritte und Aktionen einen Mann hofiert, der massenhaft politische Gegner, Journalisten und unliebsame Bürgerinnen ins Gefängnis werfen lässt. Von seinem Feldzug gegen die Kurden ganz zu schweigen. Özil legitimiert den Staatschef nicht nur weltweit, er heroisiert ihn sogar, in dem er ihn an seinem Ruhm teilhaben lässt. Das ist verwerflich.

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Durch sein Engagement bei Real Madrid und nun bei Arsenal London, hat Özil eine Followerstärke, die seinesgleichen sucht. Fast 24 Millionen Menschen folgen ihm auf Twitter, über 19 Millionen auf Instagram. Das ist eine ziemliche Hausnummer. Özils Statements sind also weder Privatsache noch eine rein türkisch-deutsche Angelegenheit. Die ganze Welt schaut zu. Und jene, die ihn vor einem Jahr entschlossen verteidigt haben, stehen nun dumm da und müssen sich fragen, ob sich das alles gelohnt hat. Seine Kritiker jubilieren unterdessen. Sie fühlen sich als Sieger.

Ist Özil also tatsächlich einfach nur ein überempfindlicher junger Mann, der sich all die rassistischen Anfeindungen einbildet?

Nein! Sein selten dämliches Verhalten hat überhaupt nichts mit der Tatsache zu tun, dass er in Deutschland seit jeher behandelt wurde wie ein Mensch zweiter Klasse. Natürlich wurde er rassistisch beleidigt. Natürlich hat die Bild eine Kampagne gegen ihn gefahren. Und natürlich ist es verständlich, wenn ein Mensch, dessen Leben hauptsächlich aus Fußball spielen und Playstation zocken besteht, auf solche koordinierten Attacken mit Unverständnis und Frustration reagiert.

Ob die Vorwürfe gegen den unsäglichen und früher schon durch rassistische Aussagen aufgefallenen DFB-Chef Grindel ("Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel"), die nicht aufhörenden gellenden Pfiffe der Stadionbesucher oder die eigenen Mannschaftskameraden, die ihm in den Rücken fielen – Özil kommt sich vollkommen zu Recht drangsaliert vor. Er wurde schon immer so behandelt, wie es auch vermeintlich deutlich kopflastigeren Menschen wie Einstein widerfuhr, der einmal gesagt haben soll: "Wenn ich mit meiner Relativitätstheorie Recht behalte, werden die Deutschen sagen, ich sei Deutscher, und die Franzosen, ich sei Weltbürger. Erweist sich meine Theorie als falsch, werden die Franzosen sagen, ich sei Deutscher, und die Deutschen, ich sei Jude." Willkommen im Leben von Nicht-Almans.

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Sollte Erdogan tatsächlich Özils Trauzeuge werden, ist das ein "Fickt euch alle" in Richtung der Medien und des DFB. Clever geht anders, logisch. Dennoch sollte klar sein, dass die Rassisten in diesem Land deswegen weder gewonnen noch Recht behalten haben.

Gerade die Bild hatte sich über Jahre darauf spezialisiert, einen der mit Abstand besten Spieler der Nationalmannschaft schlecht zu reden. Nachdem dank der AfD und den öffentlichen Debatten, bereits sämtliche sprachlichen und moralischen Barrieren gefallen waren, probierte man sich an Özil aus. Der sogenannte Deutschtürke wurde offen und ohne jegliche Hemmungen fertig gemacht. Tag für Tag, Woche für Woche. Die Reaktionen blieben nicht aus. Die vergleichsweise hohe Zustimmung für Erdoğan unter Deutschen mit türkischer Herkunft, war eben auch ein Ergebnis der Özil-Affäre. Nicht etwa das unglückliche Foto, sondern der Umgang der Deutschen damit hat Wahlkampf gemacht.

Sollte Erdogan tatsächlich Özils Trauzeuge werden, ist das ein absichtlicher Affront. Ein "Fickt euch alle" in Richtung der Medien und des DFB. Clever geht anders, logisch. Dennoch sollte klar sein, dass die Rassisten in diesem Land deswegen weder gewonnen noch Recht behalten haben. Özil ist offenbar ein Idiot. Oder ein Opfer seiner selbst. Aber er ist auch Opfer einer rassistischen Kampagne. Seine unfairen Kritiker sind Rassisten, denen das Handwerk gelegt gehört .

Wer dies noch anzweifelt, musste sich nur eine Umfrage in der Bild-Zeitung vor wenigen Tagen genauer anschauen. Dort wurde gefragt, ob die Spieler Hummels, Müller und Boateng zu Recht aus der Nationalmannschaft geworfen wurden. Bei Müller und Hummels lagen die Ergebnisse der Befragung ungefähr bei 50/50. Beim Schwarzen Spieler Boateng hingegen, laut diversen Experten und objektiven Fans derzeit der beste der drei genannten Spieler, sprachen sich knapp 70 Prozent für den Rausschmiss aus. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

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