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Polizeigewalt

Die Polizei hat 150 Linke stundenlang in einem Zug festgehalten

Ein Video zeigt, wie Polizisten rabiat verhindern, dass die Antifaschisten gegen Neonazis demonstrieren.
Symbolfoto: imago | Winfried Rothermel

Dass man als antifaschistischer Demonstrant auf einer Demo schon einmal mit der Polizei aneinandergerät, damit kann man rechnen. Dass man es noch nicht einmal schafft, bis zur Demo zu kommen, weil die Polizei schon in der Nachbarstadt anfängt, auf einen einzuprügeln, damit eher nicht. Genau das ist aber am Samstag einer Gruppe von 150 Linken im rheinland-pfälzischen Wörth passiert. Eigentlich wollten sie mit dem Zug von Karlsruhe aus ins 20 Kilometer nord-westlich gelegene Kandel fahren, um dort eine rechte Kundgebung zu stören. Dann stieg in Wörth die Polizei dazu. In den Waggon, der frei war, wollten die Beamten aber nicht. Stattdessen quetschten sie sich lieber zu den Linken. Das Ergebnis: völlig überflüssige Prügeleien in der Zugtür und ein Video, das die Polizei nicht gut aussehen lässt.

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Seitdem ein Flüchtling in Kandel 2017 seine 15-jährige Ex-Freundin erstochen hat, halten Rechte dort immer wieder Mahnwachen ab, um pauschal gegen Ausländer zu hetzten. Alain wollte sich dem entgegenstellen. Er ist Student, lebt in Stuttgart und ist bei der LINKEN aktiv. Er war einer der Demonstranten, die es am Samstag im Regionalzug mit der Polizei zu tun bekamen. Gemeinsam mit ein paar Freunden hatte er vor, von Stuttgart über Karlsruhe nach Kandel zu fahren. Doch schon am Stuttgarter Hauptbahnhof habe er das Gefühl gehabt, von Zivilpolizisten bis zum Gleis begleitet zu werden. "Völlig überflüssig", sagt er am Montag zu VICE. "Wir waren friedlich und ein bunter Haufen. Wir gehörten ganz offensichtlich nicht zum schwarzen Block." Trotzdem habe die Polizei, als die Gruppe am Bahnhof Karlsruhe umstieg, einen Freund von Alain festgenommen. Dabei haben die Demonstranten auch dort keinen Stress gemacht, sagt Alain. Den Rest der Gruppe, immerhin 150 Menschen, ließ die Polizei aber unbehelligt in den RE in Richtung Kandel steigen.

Richtig wild wurde es erst, als der Zug auf dem Weg nach Kandel in Wörth hielt, und somit den Rhein, die Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz, überquert hatte. Dort haben rund 30 Polizisten bereits auf dem Gleis gewartet, vor dem Bahnhof standen mehrere Kastenwagen. "Alle Polizisten hatten ihre Helme unter den Arm geklemmt", sagt Alain. "Als die Türen aufgingen, setzten sie die dann auf."

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Offenbar wollten die Beamten in dem mit Neonazi-Gegnern vollgestopften Zug mitfahren. Dass die darauf wenig Bock hatten, kann man sich vorstellen. "Trotzdem sind wir extra noch dichter zusammengerückt, um für die Polizei den letzten Wagen freizumachen", sagt Alain. Ganz am Ende des Zuges wollten die Polizisten aber wohl nicht mitfahren. "Wo wir einsteigen, entscheiden immer noch wir", habe ein Polizist zu Alains Mitdemonstranten gesagt. Und wo die Polizei einsteigen wollte, das waren die Waggons, in denen sich die Demonstranten bereits eng aneinanderdrängten. Dass das nicht gut enden würde, wirkt im Video, als sei es den Beamten ziemlich egal gewesen. Die Demonstranten filmten, wie die Polizisten ihre Schlagstöcke zücken, auf die Zuginsassen einprügeln und immer wieder Menschen aus den Türen zerren, sie auf den Boden und mit dem Gesicht auf den Bahnsteig drücken. Immer wieder schreit ein Fahrgast fassungslos: "Leute, hier reinzuprügeln, hilft überhaupt nichts!" Nach einer Weile haken sich die Linken bei einander unter und schreien im Chor: "Haut ab, haut ab." Doch auch das ändert nichts daran, dass der Zug nach wenigen Minuten unter Kontrolle der Polizei steht.

"Das ging alles ziemlich schnell. Nach ein paar Minuten standen in allen Türen Polizisten und wir waren in unseren Waggons eingesperrt", sagt Alain. "Der Zugführer schaltete den Motor aus, es gab keine Klimaanlage. Es wurde schnell richtig eng und heiß." Erst nach eineinhalb Stunden habe die Polizei die Fahrgäste einen nach dem anderen aus dem Zug steigen lassen. Bei jedem Einzelnen haben sie den Personalausweis kontrolliert und Rucksäcke durchsucht. Als Alain und seinen Freunden endlich gestattet wurde, weiterzufahren, waren über drei Stunden vergangen. "Als sie fertig waren", sagt er, "war der Spaß in Kandel natürlich lange vorbei."

Noch am Tag zuvor hieß es in einer Presseerklärung des Polizeipräsidiums Rheinpfalz zu der anstehenden Gegendemonstration: "Ziel der Polizei ist es, allen Teilnehmern die friedliche Ausübung ihrer Versammlungsfreiheit zu ermöglich." Das steht, das muss man nach dem Vorfall in Wörth wohl sagen, doch in ziemlichem Gegensatz zu dem, was auf den Video zu sehen ist. Auf eine Anfrage von VICE reagierte die Polizei bisher nicht.

Anfang Mai wollen Rechte in Kandel erneut eine Mahnwache abhalten. Alain hat vor, sich wieder in den Zug zu setzen, um ihnen als Gegendemonstrant das Leben schwer zu machen. "Hoffentlich klappt es diesmal", sagt er.

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