Ein abstraktes Bild mit Fäden und Kugeln
Illustration: Andriy Onufriyenko/Getty Images
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Wie geheimnisvolle Riesengebilde unser Universum strukturieren

Aktuelle Beobachtungen zeigen, dass sich Galaxien über Milliarden Lichtjahre hinweg synchron miteinander bewegen. Die Ursache dafür könnte unser Wissen vom Universum umkrempeln.

Die Milchstraße, unsere Heimat, ist eine von Hunderten Milliarden Galaxien, die es im Universum gibt. Trotz ihres Variantenreichtums und der unfassbaren Distanzen, die oft zwischen ihnen liegen, haben Forschende beobachtet, dass sich manche Galaxien gemeinsam in sonderbaren und oft unerklärlichen Mustern bewegen. Als wären sie durch eine große, unsichtbare Kraft miteinander verbunden.

Bekannt ist, dass sich Galaxien, die sich wenige Millionen Lichtjahre voneinander entfernt befinden, gegenseitig durch ihre Schwerkraft beeinflussen. Forschende haben jetzt allerdings geheimnisvolle Muster zwischen entfernten Galaxien beobachtet, die weit über diese lokalen Einflussbereiche hinausgehen.

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Diese Entdeckungen lassen auf den rätselhaften Einfluss sogenannter großräumiger Strukturen schließen, die, wie der Name schon nahelegt, die größten bekannten Objekte im Universum sind. Die extrem lichtschwachen Strukturen bestehen aus Wasserstoff-Gaswolken und dunkler Materie. Sie bilden fadenartige Strukturen, sogenannte Filamente, und Knotenpunkte, die Galaxien in einer großen Wabenstruktur miteinander verbinden: dem kosmischen Netz. Wir wissen, dass diese Strukturen große Auswirkungen auf die Entwicklung und Bewegungen von Galaxien haben. Nach welchen Dynamiken das abläuft, haben wir bislang allerdings noch nicht verstanden.

Einige dieser Phänomene stellen unsere Grundannahmen über das Universum infrage.

"Deswegen studieren alle diese großformatigen Strukturen", sagt Noam Libeskind vom Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam. "Auf diese Art lassen sich die Gesetze der Schwerkraft und die Beschaffenheit von dunkler Materie, dunkler Energie sowie des Universums untersuchen und eingrenzen."

Warum bewegen sich weit voneinander entfernte Galaxien im Einklang?

Galaxien tendieren dazu, von Schwerkraft zusammengehaltene Haufen zu bilden, die zu noch größeren Superhaufen gehören. Die Erde zum Beispiel befindet sich in einem Arm der Milchstraße, die wiederum Teil der Lokalen Gruppe ist, einer Ansammlung mehrerer Dutzend Galaxien. Die Lokale Gruppe selbst ist Teil des Virgo-Superhaufens, der über 1.000 Galaxien umfasst und wiederum zur Laniakea-Struktur mit rund 100.000 Galaxien gehört.

In ihrer mehr oder weniger direkten Nachbarschaft beeinflussen Galaxien regelmäßig gegenseitig ihre Drehung und ihre Formen. Nicht selten kollidieren Galaxien oder eine verschlingt eine andere. Bei einigen Galaxien konnten jetzt allerdings dynamische Verbindungen über Entfernungen beobachtet werden, die zu groß sind, um sie mit ihren jeweiligen Gravitationsfeldern zu erklären.

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Zum Beispiel zeigte eine Studie, die im Oktober im Astrophysical Journal erschien, dass Hunderte Galaxien über mehrere zehn Millionen Lichtjahre hinweg synchron rotieren.

"Diese Entdeckung war neu und unerwartet", schreibt der leitende Autor der Studie Joon Hyeop Lee, Astronom am Korea Astronomy and Space Science Institute, in einer E-Mail an VICE. "Mir sind keine früheren Beobachtungen oder Vorhersagen aus berechneten Simulationen bekannt, die genau dieses Phänomen behandelt haben."

Die Autorinnen und Autoren der Studie untersuchten 445 Galaxien, die sich bis zu 400 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt befinden. Sie sahen, dass viele derjenigen Galaxien, die in Richtung der Erde rotieren, Nachbarn haben, die sich zur Erde hin bewegen, während die Nachbarn der Galaxien, die in die gegengesetzte Richtung rotieren, sich von der Erde wegbewegen.


VICE-Video: Zu Besuch im Untergrund-Labor, das nach Dunkler Materie forscht


"Der beobachtete Zusammenhang müsste mit den großräumigen Strukturen zu tun haben. Es ist unmöglich, dass sich Galaxien gegenseitig beeinflussen, die sechs Megaparsec, also rund 20 Millionen Lichtjahre voneinander entfernt sind", so Lee.

Der Astronom und seine Kollegen sind der Meinung, dass die synchronisierten Galaxien vielleicht in dieselbe Struktur eingebettet sind, die sehr langsam gegen den Uhrzeigersinn rotiert. Das könnte den Zusammenhang zwischen der Galaxierotation und der Bewegungsrichtung der entsprechenden Nachbarn erklären. Lee weist allerdings auch darauf hin, dass noch viel mehr Untersuchungen nötig seien, um die Beobachtungen und Ergebnisse seines Teams zu bestätigen.

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Auch wenn die synchronen Galaxiebewegungen neu sind, haben Forschende schon in der Vergangenheit sonderbare Verbindungen zwischen Galaxien in noch größeren Entfernungen beobachtet. 2014 entdeckte ein Team "eine gespenstische Ausrichtung" von supermassiven Schwarzen Löchern in den Zentren von Quasaren, den extrem hellen Kernen sehr alter Galaxien, die sich mehrere Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt befinden.

Unter der Leitung von Damien Hutsemékers, einem Astronomen der Universität Liège in Belgien, konnten die Forschenden die mysteriöse Synchronisierung im wenige Milliarden Jahre jungen Universum beobachten. Mithilfe des Very Large Telescope, VLT, in Chile verzeichneten sie die Polarisation des Lichts von 93 Quasaren, anhand derer das Team die Geometrie und Ausrichtung der schwarzen Löcher in ihren Zentren rekonstruierte. Ihre Daten zeigten, dass die Rotationsachsen von 19 Quasaren der Gruppe parallel waren, obwohl sie sich mehrere Milliarden Lichtjahre voneinander entfernt befanden.

Die Entdeckung, die auch in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht wurde, ist ein starkes Indiz dafür, dass großräumige Strukturen die Dynamiken von Galaxien im jungen Universum über große Distanzen beeinflusst haben.

"Es ist bekannt, dass sich die Drehachsen von Galaxien nach großräumigen Strukturen wie den kosmologischen Filamenten ausrichten, aber das geschieht in kleineren Maßstäben", schreibt Hutsemékers in einer E-Mail. Theoretische Studien, ergänzt er, hätten verschiedene Erklärungsansätze für dieses Phänomen geliefert.

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"Es gibt allerdings bislang keine Erklärung dafür, warum die Achsen von Quasaren an die Achse der größeren Gruppe angepasst sind, in die sie eingebettet sind", schreibt der Astronom.

Das Geheimnis der synchronisierten Galaxien könnte alles ändern

Das Geheimnis der synchronisierten Galaxien könnte eine unserer Grundannahmen über das Universum infrage stellen: das kosmologische Prinzip. Demnach sollte das Universum in extrem großem Maßstab gleichförmig und homogen sein. Die Wechselwirkung der Quasar-Achsen in dieser extremen Größenordnung würde jedoch eine ernsthafte Abweichung von dieser Annahme darstellen, wie Huteseméker und seine Kolleginnen in ihrer Studie schreiben.

Der Forscher mahnt allerdings, dass erst weitere derartige Strukturen entdeckt und studiert werden müssen. "Das ist notwendig, um bestätigen zu können, dass es sich um eine echte Anomalität handelt", sagt Hutsemékers.

Zurzeit lassen sich die Dynamiken hinter diesen Quasar-Ausrichtungen noch nicht richtig verstehen, weil es an der nötigen Beobachtungstechnik fehlt. "Was die großräumigen Strukturen angeht, warten wir im Grunde auf weitere Daten", sagt Hutsemékers. "Für den nächsten Schritt brauchen wir eine große Menge Polarisierungsdaten, die mit den aktuellen Instrumenten nicht leicht zu bekommen sind."

Zukünftige Radioteleskope wie das Square Kilometre Array könnten diese mysteriösen Angleichungen detailreicher untersuchen.

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"Das Tolle an der Wissenschaft ist, dass man ein Modell haben kann, das auf Tausenden Daten beruht. Wenn aber ein Teil nicht passt, beginnt alles Risse zu kriegen." – Noam Libeskind

Die Quasar-Ausrichtungen und die unerwartet synchronisierten Galaxien sind nicht die einzigen Beobachtungen, die die etablierten theoretischen Modelle des Universums ins Wanken bringen. Tatsächlich wird in der Kosmologie momentan hitzig darüber diskutiert, wie eng sich Zwerggalaxien an ihren großen Nachbarn ausrichten.

Diese Satellitengalaxien sind momentan der Stachel im Fleisch des sogenannten Lambda-CDM-Modells, das die Entwicklung des Universums seit dem Urknall erklärt. Simulationen, die auf diesem Modell beruhen, sagen eigentlich voraus, dass sich kleine Satellitengalaxien in zufälligen Laufbahnen um größere Galaxien herum anordnen.

Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts haben Beobachtungen allerdings gezeigt, dass ein großer Haufen Satellitengalaxien in der Umgebung unserer Milchstraße in einer einzigen akkuraten Bahnebene miteinander synchronisiert sind. Zuerst fragten sich die Forschenden, ob mit unserer Galaxie etwas Sonderbares vor sich geht, aber eine ähnliche Galaxien-Scheibe konnte um unsere Nachbargalaxie Andromeda herum beobachtet werden.

Wirklich ernst wurde es, als Astronomen 2015 dieses Phänomen zum dritten Mal bei Centauraus A beobachten konnten, einer elliptischen Galaxie, die sich mindestens 10 Millionen Lichtjahre entfernt von der Milchstraße befindet.

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Die Entdeckung "legt nahe, dass etwas mit unseren Simulationen nach dem kosmologischen Standardmodell nicht stimmt", heißt es in der dazugehörigen Studie, die 2018 unter der Leitung des Astronomen Oliver Müller von der Universität Straßburg in der Fachzeitschrift Science erschien.

"Bislang haben wir das bei den drei Galaxien in unserer Umgebung beobachtet", sagt Müller am Telefon. "Natürlich kann man immer sagen, dass es nur drei sind und entsprechend noch nicht statistisch ist. Aber andererseits haben wir es immer beobachtet, wenn wir über gute Daten verfügten. Es könnte also universell sein."

In einer anderen Studie von 2015 schlugen Libeskind und seine Kolleginnen vor, dass die Filamente des kosmischen Netzes die geordneten Galaxien vielleicht lenken, was wiederum zum Lambda-CDM-Modell passen könnte. Bislang gibt es allerdings noch keine konkrete Erkenntnis zu diesem Phänomen.

"Das Tolle an der Wissenschaft ist, dass man ein Modell haben kann, das auf Tausenden Daten beruht. Wenn dann aber ein Teil nicht passt, beginnt alles Risse zu kriegen", sagt Liebeskind. "Der Riss kann entweder gekittet werden oder das komplette Haus zum Einsturz bringen."

Die Zukunft der Galaxien-Forschung

Gerade weil noch so viele Fragen zu klären sind, haben Astronomen wie Marcel Pawlowski dieses Problem zum Hauptthema ihrer Forschung gemacht. Pawlowski ist Schwarzschild Fellow am Leibniz Institut für Astrophysik und Co-Autor der Studie, die 2018 in Science erschien. Pawlowski wartet schon sehnsüchtig auf die Daten der kommenden Generation extragroßer 30-Meter-Observatorien.

"Wir müssen unsere Forschung jetzt auf weiter entfernte Satellitensysteme ausweiten", sagte Pawlowski am Telefon. "Der Forschungsbereich hat durch die Debatte in der wissenschaftlichen Literatur große Fortschritte gemacht. Die beobachtbaren Beweise werden immer handfester."

Was auch immer am Ende dabei herauskommt, der Tanz der Galaxien ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der großflächigen Strukturen und damit der Beschaffenheit des Universums selbst.

"Mir gefällt dabei, dass wir noch in einer Art Pionierphase stecken", sagt Oliver Müller. "Das ist super spannend."

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