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Popkultur

Ist das Verbot von indymedia rechtswidrig?

Warum der Innenminister mit dem Verbot der Seite sogar gegen das Grundgesetz verstoßen haben könnte.
Foto: imago | Christian Mang

Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg hat für diesen Fall lange im Hintergrund gearbeitet. Er hat sich linksunten.indymedia.org sehr genau angesehen, um dann dem Bundesinnenminister Gründe zu liefern, die Seite zu verbieten. Deutschlands Konservativen und Deutschlands Rechten gefiel das. Das Verbot sei "überfällig". Und auch die AfD freut sich, dass de Maizière der "erneuerten Forderung nach Abschaltung nachgekommen ist". Nur: Darf das der Innenminister überhaupt?

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Die Anwälte von linksunten.indymedia.org halten das Verbot der Seite für fragwürdig. Sie wollen bei den zuständigen Gerichten gegen das Innenministerium vorgehen. Sie wehren sich vor allem gegen eine Annahme des Innenministeriums, dass linksunten.indymedia.org ein "Verein" sein soll. Denn nur als solchen kann das Ministerium die Seite einfach verbieten.

Vergangenen Freitag hatte die Polizei die Wohnungen der angeblichen "Vereinsmitglieder" in Freiburg durchsucht und ihnen mitgeteilt, dass ihre Aktivitäten ab sofort illegal seien. Deren Anwälte erklären in einer Pressemitteilung, wo sie das Problem sehen: "Aus den uns bislang vorliegenden Unterlagen ist nicht ersichtlich, wie das Bundesinnenministerium die Einordnung von linksunten.indymedia.org als Verein belegen will", schreibt der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der zusammen mit einem Team aus Anwälten die Beschuldigten vertritt.


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Es ist nicht das erste Mal, dass das Innenministerium Medien mit Rückgriff auf das Vereinsrecht verbietet, auch die rechte Seite "Altermedia" war so abgeschaltet worden. Dort musste aber nicht gerichtlich geklärt worden, ob das in Ordnung war. Denn die Betreiber wurden zudem als Teil einer "kriminellen Vereinung" angeklagt und verurteilt. Kriminelle Vereinigungen dürfen natürlich keine Webseiten betreiben, die Seite ging im Zuge des Urteils automatisch offline. Das ist bei linksunten.indymedia.org nicht der Fall, die Betreiber sind nicht als "kriminelle Vereinigung" angeklagt.

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Der Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Stephan Dirks hatte schon vor einigen Tagen die Frage aufgeworfen, ob linksunten.indymedia.org überhaupt ein Verein sei. Die Antwort darauf ist vor allem eines: kompliziert. Definitiv war linksunten.indymedia.org kein klassischer Verein, der irgendwo registriert war, niemand hat zusammengesessen und eine Satzung aufgeschrieben. Doch sei es möglich, etwas als Verein zu verbieten, wenn zwei oder mehr Person zusammen so etwas wie "organisierte Willensbildung" betreiben. Lapidar zusammengefasst bedeutet das, so Stephan Dirks: "Wenn mehrere Personen irgendwas zusammen machen, dann kann der Innenminister denen das auch verbieten." Eben weil das Vereinsrecht so unspezifisch ausgelegt werden kann, ist das problematisch. Die Frage ist: Kann das Bundesinnenministerium mit Hilfe des Vereinsrechts auch Medien verbieten? Stephan Dirks befürchtet, dass de Maizière damit das Grundgesetz umgehen will.

Die Probleme bei dem Verfahren sind zahlreich: Erstmal wird der Name der Domain linksunten.indymedia.org zum Vereinsnamen gemacht, was widersinnig erscheint. Es war ja eine offene Plattform, auf der jeder veröffentlichen konnte, wenn er wollte. Wie soll dort eine "gemeinsame Willensbildung" durch die Betroffenen stattgefunden haben?

Natürlich gab es strafbare Inhalte auf der Seite – Aufrufe zur Gewalt etwa. Das erlaubt dem Innenminister aber noch nicht automatisch, die Seite zu verbieten – nach diesem Kriterium müsste er auch Facebook oder YouTube verbieten. Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen meint: "Um gegen strafbare Inhalte auf linksunten.indymedia vorzugehen, hätte es weniger einschneidende Mittel gegeben." Vielleicht auch geben müssen: Denn der Bundesinnenminister darf laut Grundgesetz überhaupt keine Medien verbieten, deswegen der Umweg über das Vereinsgesetz.

Verbieten ist Ländersache, das dürfen nur die Landesmedienanstalten. Sie sind im Grundgesetz dafür vorgesehen, die Meinungsvielfalt zu sichern. Das hatte einen guten historischen Grund: die "Gleichschaltung" im Dritten Reich. Die Hürden dafür, ein Medium abzuschalten, wurden hoch angesetzt. Es braucht grobe Verstöße wie Gewalt- oder NS-Verherrlichung, Volksverhetzung, Darstellung von Propaganda verfassungsfeindlicher Organisationen. Das hat die die zuständige Landesanstalt für Kommunikation in Baden-Württemberg bis hierhin offensichtlich noch nicht festgestellt, sonst hätte sie linksunten.indymedia.org längst verbieten müssen.

Auch in anderer Hinsicht ist das Verbot bedenklich. In Deutschland sind Medien staatsfern organisiert. Das bedeutet, dass der politische Einfluss auf Medien und ihre Inhalte so klein wie möglich gehalten werden soll – auch und gerade dann, wenn es sich um Medien handelt, die dem Staat nicht passen. "Pressefreiheit gilt auch für unbequeme, ja selbst für schwer erträgliche Veröffentlichungen", sagte Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen gegenüber der Tagesschau.
Das hastige Verbot erweckt vor allem einen Eindruck: dass der Innenminister nach den gewalttätigen Protesten bei G20 unmittelbar vor der Bundestagswahl politische Erfolge braucht. Die Seite ist offline, de Maizière kann sich als tatkräftiger Law-and-Order-Mann inszenieren. "Von der 'Staatsferne' der Medien bleibt aber nicht viel, wenn der Innenminister jederzeit den 'Kill-Switch' drücken kann", sagt Anwalt Stephan Dirks. Ob das Verbot der Seite rechtens war, werden die Gerichte entscheiden müssen. Das dauert. Bis nach der Wahl. Und wer kann sagen, wer dann das Innenministerium besetzt?

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