FYI.

This story is over 5 years old.

Bis so guet

Wo bleibt das Latte Macciatio-Verbot?

In der Schweiz gibt es so viele dämliche Verbote, dass das Latte Macchiato-Verbot schon längstens fällig ist.

(Foto: Daniel Gasienica)

Jüngste Ereignisse, wie etwa das Burkaverbot im Tessin, die robocopartige Niederwerfung des Tanzfestes in Winterthur, oder das laufende Verfahren gegen die Basler Stadionaktivisten zeigen, dass der Trend der „Repressalien“ seit dem Mittelalter immer noch hoch im Kurs steht. Es gibt zwar durchaus einen Allgemeinplatz, den die Liberalisten-Reliquie Deregulierung marktschreierisch verteidigt, aber dennoch verlangt von uns unentwegt irgendein neues Abstimmungscouvert ein dickes JA neben ein weiteres Verbot zu setzen. Da stellt sich die Frage, woher diese Bereitschaft, sich in einem Land, in dem man sich gerne einmal mit seiner direktdemokratischen Freigeistigkeit brüstet, immer mehr bevormunden zu lassen, denn eigentlich kommt.

Anzeige

Ein genauer Blick auf das bisschen Bünzli in jedem von uns schwenkt etwas Licht auf die Diskussion. Als eine auf Höflichkeit sorgfältig bedachte Gesellschaft, haben wir uns im Laufe der Jahre natürlich so einige Verhaltensregeln aufgebrummt. Und im Wissen dessen, stossen wir uns immer wieder auf die Gratwanderung zwischen Toleranz und Ignoranz, wobei die latent verdrängte Gewissensprüfung problemlos zur Selbstbild-Bestätigung vermarktet wird: „Erlaubt ist, was nicht stört“, oder „Abstand ist Anstand“ lauten die Parolen.

Ironischerweise schreibt der Verhaltenskodex stillschweigend vor, sich möglichst nicht direkt beim mutmasslichen Delinquenten zu beklagen. Ein bekanntes Resultat dessen ist die Lästerhurerei, die wie ein Virus ihren Einzug in den Gesprächsstoff unserer Sippenschaft hält. Und so verbringt man schnell einmal die Zeit damit, sich von seinen Freunden volllabern zu lassen, was ihnen unerhörtes im 4er Abteil der S-Bahn passiert ist – in welchem sich ja ohnehin nicht mehr als zwei Parteien hinsetzen dürften, wie eigentlich weit und breit bekannt sein sollte. Oder man erspäht so eine, sich dem Sittencredo verschriebene Zorntirade beim üblichen überfliegen seiner Facebook-Wall. Das Stichwort: „Omg de näbed mir schmatzt so luut“ bettelt nur so um die Like-Bestätigung aller anderen Verfechter des digitalen Prangertums. Es ist doch offensichtlich angenehmer, Unannehmlichkeiten vorweg mit Verboten zu unterbinden, anstatt den mühsamen Weg der Mediation einzuschlagen.

Anzeige

Es gibt aber durchaus Verbote, die verdammt noch mal schon längst an der Tagesordnung hätten sein müssen. Wer einmal in seinem Leben in den Genuss gekommen ist, in einem Restaurant im schicken Kreis 5 zu servieren, kriegt die Ausbrüche des Bünzlis in hämischen, klein- bis mitteldosierten Ausbrüchen zu spüren, wann immer jemand dieses eine, verhexte Getränk bestellt. Dieser milchgewordene Teufel, dieser „Crocs“ der Heissgetränke, der Laktoseintoleranzinator: Der Latte Macchiato.

 Kriege ich das grosse Grausen zu spüren: Latte Macchiato, hier rechts oben im Bild.

Offenbar kapieren manche Leute nicht, dass der Latte die Analogie zum Zerschneiden der Spaghetti ist und genau so stilfrei bewertet werden kann wie die Schnippo-Bestellung in einer toskanischen Trattoria. Neben der Stilfrage hat der weit verbreitete Konsum des Getränks natürlich auch einen tiefer liegenden Aspekt. In Berlin etwa hat sich das Milchgesöff schon seit längerem zum Symbolträger der verpönten Macbook-Bohème der aufgewerteten Stadtviertel gemausert.

Dass dieses dreischichtige Heissgetränk nicht nur Abseits des guten Geschmacks liegt, allerdings auch für die Gentrifizierung im Allgemeinen steht, gibt mir Anlass genug für mein Ressentiment. Der einzige Grund, weshalb ich noch keine Latte Macchiato-Initiative lanciert habe, besteht darin, dass es mir lediglich an der Beherrschung des Populismus und einem hübschen Haufens dubioser Spendengelder fehlt. Zwar weiss ich, dass eine Latte-Prohibition weder die Gentrifizierung stoppen, noch unser Land in puncto Stil und Lifestyle einen besseren Ort auf Erden machen würde, aber andererseits hat auch keines der in den letzten Jahren eingeführten Verbote unser Land zu etwas Besserem gemacht.

Anzeige

Da es glücklicherweise noch nicht verboten ist, am Wochenende die Sau raus zu lassen, empfehlen wir euch folgendes, um euch den inneren Bünzli vorübergehend auszutreiben:

Am Donnerstag nehmen wir den Expresszug nach Wien und suchen den Schuppen, der es gewagt hat, unserem stadbekannten Unruhestifter Puber eine Ausstellung zu widmen.

Freitag gehen wir ins Plaza, wo „2MANYDJ's“ gehörig für too much Party sorgen. Oder ihr schaut euch eine Dokumenation über Istanbul an, organisiert wird dieses Filmvergnügen durch die Autonome Schule Zürich.

Dann kommt der Samstag. Ihr könntet in die Zukunft gehen. Dort ist Peace Club angesagt.

Am Sonntag ergeben wir uns dem Trend, dem Nebel und der Temperatur, und kochen mit unseren Freunden eine Kürbiscremesuppe. Lass Wärme in dein Herz.