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Popkultur

Ich habe alle Mario-Barth-DVDs am Stück geschaut

"In neun Stunden habe ich mehr Furz- und Lautkackwitze gehört als die abgewrackteste Kneipenmatrone in Pforzheim-Oststadt in ihrem ganzen Leben."

Da kann man ruhig mal klatschen | Foto: imago | Star-Media

Mario Barth scheiße zu finden, das war für mich bis jetzt eine ähnlich selbstverständliche, instinktive, niemals hinterfragte Entscheidung, wie nie mehr nach Marokko zu fahren oder keine Robbenbabys mit nagelgespickten Keulen zu erschlagen. Allerdings, dachte ich neulich in einem unerklärlichen Krampfanfall von Gerechtigkeitsliebe, hatte ich tatsächlich noch nie mehr als fünf Minuten des Barth'schen Werks und Wirken am Stück gesehen—ich kannte eigentlich nur die schwerst erträgliche Kennste-kennste-Marotte, seinen Signature-Simplizismus. War meine vollumfängliche Ablehnung dann nicht dasselbe, als würde ich Goethe verachten, weil ich eben nur die allzeit von halbgebildeten Eierköpfen dahergeleierten allfällig bekannten Zitate aus dem Faust kannte, die—gemessen an seinem Gesamtwerk—doch ziemlich gimpelhaft daherkamen? Ich beschloss, mich also einmal ernsthaft und sorgfältig in das Mario-Barth-Gesamtwerk einzuarbeiten. Die beste Methode erschien mir dabei, sämtliche seiner auf DVD verfügbaren Bühnenprogramme hintereinander anzuschauen. Knapp neun Stunden würde das dauern.

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Ich Idiot, ich Trottel, ich Depp.

"Popstar, kennta? Popstar? Overground und Preluder, kennta die?" So geht es los bei Männer sind Schweine, Frauen aber auch, und weil das Programm von 2005 stammt, ist das endlich mal eine berechtigte Barth-Frage: Heute kennt diese Castingshowfraggles ja tatsächlich keiner mehr. Ich leider schon. Angeblich, so geht die dampfhumorige Nummer, sei Barth mit den Bands auf Tournee gewesen und habe fast nichts verstanden, weil die jungen Leute komisch redeten, und zwar so: "Freaky, bouncy, movie." Das ist ungefähr so nah an der Realität wie ein kaltschweißiger Mittfünfziger, der "yolo" sagt, um sich an junge Menschen ranzuschmieren, aber Barth aalt sich in dieser dünnen Brühe wie eine verdorrte Robbe in einer Sonnencremelache: "Den ganzen Tag nur freaky movie! Und dann sagt er, er geht schillen. Schillen!" Ich ahne, dieser Barthathon war eine ähnlich gute Idee wie mein mit Selbstbräuner und einer Schablone aus Frischhaltefolie selbst appliziertes Temporary Tattoo seinerzeit.

Dem Jugendsprach-Komplex folgen ein paar antiquarische Witzchen über den bekloppten Frosch, den besoffenen Elch und das Jamba-Monatspaket. "Scheiß Klingeltöne" heißt die Nummer laut Tracklist. Und dann werde ich auch schon hineingezogen in die sieben Stadien der Mario-Barth-Rezeption.

Abscheu

"Es wird noch unangenehmer, weil er halt auch irgendwann schwitzt", sagt meine Schwester, die, ähnlich dumm wie ich, eingewilligt hatte, mir Gesellschaft zu leisten. Noch ist Barths orangefarbenes Shirt proper und manierlich, die Jeans dazu ist neu, aber auf alt gemacht, nämlich am Arschteil so abgewetzt, als sei ihr Träger auf einem extrem raufelligen Esel in das Berliner Tempodrom eingeritten wie der Herr Jesus am Palmsonntag. Die Halle ist voll, und ich spüre wachsende Abscheu gegen das grundsätzliche Konzept, das hier abläuft: Zwei Stunden ganz bewusst den semi-lustigen Alltag ausblenden, um dann mal richtig abzulachen, hoho, und dann wieder zurück ins Elend. Das Karnevalsprinzip, der kontrollierte, unschädlich dosierte Ausbruch, damit nach der sanften Triebabladung das brave Schafsleben wieder weitergehen kann.

Jetzt aber erst einmal ein paar sachte Homowitzchen auf Kosten von Detlef D! Soost, dem "dicken Tanzlehrer aus dem Osten", der zu den Overground-Jungs immer gesagt habe: "Ihr seid so tight, wenn ich mit euch fertig bin, dann burnts." Was Barth so übersetzt: "Ihr seid so eng, wenn ich mit euch fertig bin, dann brennt's bei euch." Riesenhallo in der Halle.

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Dann beginnt das, wofür man Mario Barth kennt, auch wenn man ihn nicht kennt: Die ewige Vergewisserungsfragerei, das Seid-ihr-mit-mir-Verhör, die verbale Zwangseinhenkelung fürs anschließende Massenschunkeln. "Schon mal jemand mit der Bahn gefahren?", "Schlechte Wegbeschreibung, kennta?", "Mütter, kennt ihr Mütter?", "Menstruation, kennste?".

Ich hasse persönliche Ansprache, erst recht so viele direkte Fragen. Ich möchte nichts mehr kennen, ich beschließe, einfach alles zu leugnen.

Hass

Das ging zügig: Nur dreieinhalb Stunden später, und ich hasse bereits alle Menschen (und die meisten Tiere). Es ist wirklich schlimm. Ich möchte nie wieder Menschen lachen sehen.

Und es ist schrecklich langweilig, aber alle meine Vorurteile bestätigen sich aufs Tumbeste. So gut wie alle Witzversuche basieren tatsächlich auf einem denkbar stumpfen Männer-vs.-Frauen-Konstrukt: Der Mann schwitzt im Sommer im Stau, denn er ist normal. Der Frau aber ist ein bisschen kühl und sie macht die Heizung an, denn sie ist schwierig und kapriziös. Wenn Barth den Part der Frau spielt, führt er eine Art Ententanz auf, allerdings so, als seien seine Oberarme mit Pattex am Rumpf festgeklebt, dazu verstärkt er den ziegigen Gesamteindruck durch eine theatralische Quietschestimme. Alles ist grob und dumm. Barth exerziert eine Nummer nach Sie-sagt-aber-er-versteht-nix-Schablone vor: "Bei Frauen heißt das Subtext, bei Männern heißt das: Sprachbehinderung."

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So. Witzig. Foto: imago | Star-Media

Damit es bei der Frustverdauung der Zuschauer besser flutscht, kommt dann ein bisschen Fäkalplauderei: "Beim ersten Date dachte ich, ich habe Bauchkribbeln. Die Wahrheit war: Ich musste kacken."

Ich habe noch nicht einmal die Hälfte des anvisierten Pensums geschafft, da ist mir völlig klar, dass ich nicht durchhalten werde. Ich versuche, Zeit zu schinden, angemessenerweise mit einem unnötig ausführlichen Toilettengang. Als Extra-Schikane gegen mich selbst läuft allerdings auf der Toilette das jüngste Bühnenprogramm, das es bis jetzt nur auf CD gibt, in Dauerschleife. "Frauen geben ja nie zu, wenn sie was nicht kennen, hahaHAHAHA!", dröhnt es mir entgegen. Außerdem hält meine Schwester hinterlistig die DVD an, sobald ich das Wohnzimmer verlasse. Und so verpasse ich leider nicht die schlimmste Nummer: Barth stellt pantomimisch eine sexuelle Frauenbesteigung von hinten dar, um einen eklatanten Unterschied zwischen den Geschlechtern zu verdeutlichen: Wenn Männer geil werden, schaltet bei ihnen das Gehirn aus, während Frauen, vom Bumsvorgang ungerührt, unablässig fragen: "Schatz, hast du mich auch wirklich lieb?"

Entfremdung

Es ist mutmaßlich Nacht geworden, aber ich habe das Zeitgefühl verloren. Fühle mich fremd und alleine, jedenfalls völlig offensichtlich von meinen Geschlechtsgenossinnen im Barth-Publikum isoliert, auf die allmählich meine volle Verachtung umschwenkt: Wie sie da sitzen und jubeln und krähen und schluckvogelartig nicken vor lauter Zustimmung, während Barth einen dampfenden Klischeeaufguss nach dem anderen ausschüttet: "Ich glaube, ich spreche für alle Männer hier im Saal, wenn ich …", "Wir sind halt Männer, IST so".

Ich denke an etwas Schönes, beziehungsweise, weil mir nichts Schönes einfällt, an etwas weniger Schlimmes, und versuche, die Barth-Rhetorik in ihre Stilmittel zu zerpflücken, das hat mich früher immer so schön beruhigt, wenn mich Sprachscheusale und Dampfdummheit aufregten. Wiederholung eines Wortes am Satzende, das Stilmittel Conversio, kennste, kennste? Oder ist es doch eine Geminatio, weil es sich ja um eine Verdoppelung handelt?

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Kennste, kennste, kennste?

Pennste, pennste, pennste?

Selbstauflösung

Natürlich schlafe ich zwischendurch ein, ich bin eine alte Frau, ihr könnt euch schon mal drauf einstellen, dass es ab 30 steilklippenmäßig abwärts geht. Ich werde davon wieder wach, dass Barth "Ba-dö-zim-ma-schränckchen" sagt und die Leute rasen, als habe eben ein Affe im Ringelshirt seine erste fehlerfreie Abschrift der Bibel fertiggetippt. Meine Schwester hat meine Schlafpause schlau genutzt und ist gegangen, der Hund ist noch da und zappelt im Schlaf. Es geht jetzt um einen Besuch beim Fabrikverkauf. Seine Freundin will eine Handtasche kaufen, er fragt, wofür sie die denn brauche. "Die kann man so halten", quietscht er ihre Antwort. Die Halle rast.

Durch das kurze Weggetretensein habe ich völlig die Orientierung verloren, wie tief drin im finsteren Witze-Wald ich herumirre, oder ob ich vielleicht bald das Gröbste überstanden habe. Dauernd muss ich mit den Booklets hantieren und bringe die Programme durcheinander, was leicht passieren kann, denn sie heißen: Männer sind Schweine, Frauen aber auch!, Männer sind primitiv, aber glücklich!, Männer sind peinlich, Frauen manchmal auch! sowie Männer sind schuld, sagen die Frauen.

Ich bilde mir ein, mit fortschreitendem Programm eine verstärkte Bücklingshaltung bei Barth festzustellen, wenn der Szenen nachspielt, so endlos übertrieben in Mimik und Gestik, als müsse man sie nicht nur aus den hintersten obersten Reihen der Berliner O2 World, sondern auch vom Mond sehen können. Und er wird zunehmend selbstverliebt, lacht immer mehr über sich, legt immer wieder autoritär den Finger auf den Mund, damit niemand in den nächsten Spitzenwitz reinkichert: "Warte, warte, WARTE! So, pass auf, pass auf, PASS AUF! Pass auf, der Knaller kommt erst noch!"

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Ich fühle mich matt, denn ich habe in wenigen Stunden mehr Furz- und Lautkackwitze gehört als eine abgewrackte Kneipenmatrone in ihrem ganzen Leben. Die körperlichen Witze, das sind die schlimmsten. Mir ist unangenehm, wie oft Barth über harte Brustwarzen spricht: "Die hatte SO Hupen und SO Nippel, knüppelhart, damit hätteste Glas schneiden können."

Unangenehm sind auch die zunehmenden Aggro-Schwinger gegen die vermeintlichen Eigenheiten der besseren Leute: Es genügt als Pointe, dass der Kumpel jetzt mit seiner neuen Freundin immer ÜBER DEN MARKT schlendert. "Jetzt kocht er im Dialog! Ich will beim Fressen meine Ruhe haben!" Jede bürgerliche Geste wird grobschlächtig eingeschlammt: "Er trinkt jetzt Rotwein mit Kor-ken-zie-her!" Die Menschen wischen sich Lachtränen aus den Augen.

Angst

Gegen vier Uhr plötzlich schlimm Angst bekommen: Wenn Mario Barth seine Fans dazu aufrufen würde: Würden dann die Avocado-Toast-Frühstückslokale und Philharmonien brennen?

Empathie

Es ist am frühen Morgen, als ich plötzlich sherlockartig eine verwischte Fährte aufnehme. Ich stecke mitten im vierten Programm fest, es geht natürlich wieder um seine Freundin. "Die hat studiert", sagt Barth, im Gegensatz zu ihm, er habe ja nur Realschulabschluss: "Sie ist The Brain, ich bin der Doofe." Kurz also die Idee: Freut er sich deshalb so kindisch darüber, wenn sie nicht weiß, wie eine Rückfahrkamera funktioniert, oder sie die Spülmaschine nicht richtig bedienen kann, dass er es zappelnd wie ein Juckpulveropfer einer ganzen Halle erzählen muss? Stellt er Frauen darum so gerne als dumme Hühner dar, weil er sich der eigenen unterlegen fühlt?

Oder glaubt er vielleicht doch einfach nur ganz schlicht und sehr fest, dass die Welt wirklich so ist, wie er sie erzählt? Mir ist es egal, ich habe sie fast überstanden, die sieben Hömma-Hömma-Höllenkreise. Gähne fast milde beim nun mutmaßlich letzten Flatulenzwitz: "Wer hat hier schon gefurzt? Statistisch jeder sechste. Du, Mäuschen? Schon einen rausgeknattert?"

Akzeptanz

Gut, das war jetzt gelogen. Nach allerausführlichstem Barth-Studium bleibt nach gut acht Stunden vor allem Unverständnis. Ich kapiere den Witz nicht und will ihn natürlich auch nicht verstehen. Eventuell ist es aber gut, dass man das mal gesehen hat, dass man weiß, worüber die große Masse so lacht, vielleicht auch nicht, ich bin mir da nicht sicher. Wie das aber immer so ist, wenn man einem Stahlbad zwar mit Brandblasen, aber doch lebend entstiegen ist: Ich fühle mich matt, aber unverwundbar.