FYI.

This story is over 5 years old.

News

Was macht man, wenn plötzlich lauter Flüchtlinge im Skatepark sitzen?

Man bringt ihnen Skaten bei, findet Julian Kleister aus Stahnsdorf. Dabei braucht er allerdings eure Hilfe.

Die deutsche Bundesregierung geht mittlerweile davon aus, dass 2015 um die 400.000 Asylanträge in Deutschland gestellt werden—doppelt so viele wie letztes Jahr. Das bedeutet, dass überall mehr Flüchtlinge präsent sein werden—und dass sich immer mehr Menschen überlegen müssen, wie sie darauf reagieren wollen.

Menschen wie die gestern verhafteten Mitglieder der rechtsextremen „Oldschool Society" haben sich offenbar entschieden, auf die gestiegene Zahl von Schutzbedürftigen zu antworten, indem sie Anschläge auf Asylheime verüben oder Flüchtlinge zusammenschlagen. Aber obwohl sie damit nicht alleine stehen—die Zahl solcher Angriffe hat sich 2014 verdoppelt—, lehnt die Mehrheit der Deutschen offene Gewalt gegen Flüchtlinge entschieden ab.

Anzeige

Das heißt aber nicht, dass in der Bevölkerung nicht ein gewisses Misstrauen gegenüber den Flüchtlingen herrscht. Auch wenn es keine Zahlen gibt, die das belegen, fürchten Anwohner in ganz Deutschland, dass mit den Flüchtlingen auch Kriminalität in die Nachbarschaft einzieht.

Auch der 28-Jährige Julian Kleister aus Stahnsdorf bei Potsdam war zunächst skeptisch, als er erfuhr, dass direkt neben seinem geliebten Skatepark ein neues Asylheim errichtet werden soll. Aber anstatt sich irgendeiner Bürgerbewegung gegen das Heim anzuschließen, ging Kleister einfach auf die Bewohner zu—und fand heraus, dass die vor allem ein Problem haben: Sehr viel freie Zeit, sehr wenig zu tun. Daraus entstand die Idee, vor allem den Jüngeren das Skaten beizubringen. Damit auch jeder mitmachen kann, hat Julian auf Facebook eine Skateboard-Sammlung gestartet. Ich habe mit ihm gesprochen, um herauszufinden, wie sein Sinneswandel zustande kam.

Julian Kleister in Aktion, Foto: Axel (Starsky) Kleinhans

VICE: Hallo Julian. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Julian Kleister: Also, ich habe mich ja vor sechs oder sieben Jahren ziemlich für den Skatepark in Stahnsdorf eingesetzt, und da steckt natürlich viel Herzblut drin. Jetzt wurde 200 Meter Fußweg davon ein Asylantenheim errichtet. Aus Teltow hatte man da eine Menge schlechter Sachen gehört, Vorurteile, und dass die alles kaputtmachen. Da war natürlich die Angst, dass das im Skatepark auch passiert, und dem wollten wir ein bisschen entgegenwirken.

Anzeige

Warum habt ihr gedacht, dass Flüchtlinge da was kaputtmachen?
Man hat ja gesehen, dass sich da extrem viele Leute aus dem Heim rumtreiben und ihnen sehr langweilig ist. Und wer Langeweile hat, der baut zwangsläufig irgendwann auch Scheiße—schmeißt Müll in die Schüssel, macht da Feuer, was auch immer. Wir hatten halt alle so ein bisschen Panik, und vor allem die Jüngeren haben sich da nicht mehr so hingetraut.

Die Bowl in Stahnsdorf, Foto: Julian Kleister

OK, und wie kam es dann, dass du dann doch auf die Flüchtlinge zugegangen bist?
Die Leute, die in dem Heim leben, die sind halt da, da kann man nichts machen. Ich denke, wenn man denen gleich so feindselig gegenübertritt, dann fangen sie erst recht an, Scheiße zu bauen.
Dann hatte ich noch zwei, drei alte Skateboards bei mir im Auto und habe die denen in die Hand gedrückt, und dann haben die sich da vergnügt. Dann hat man ein bisschen geholfen, gezeigt, wie es geht. Viele Leute kennen das ja gar nicht. Gerade in Afghanistan oder so, da ist das ja noch nicht so verbreitet.
In so einer Bowl ist das einfach so: Es fährt immer einer drin, bis er hinfällt oder absteigt, dann ist der nächste dran. Das musst du den Leuten halt nahebringen, und dann funktioniert das auch. Ich glaube, es gibt auch nichts Besseres, als das Skaten zur Integration zu nutzen. Sport verbindet, und wenn das denen Spaß macht, dann wollen ja alle das Gleiche.
Immer wenn ich jetzt da bin, kommen sie gleich angerannt und wollen Skateboard fahren—was momentan noch ein bisschen schwierig ist, weil die Bretter ja nicht auf Bäumen wachsen.

Anzeige

Also hast du eine Sammlung gestartet?
Ich habe dann über Facebook einen Aufruf gestartet und nach alten Brettern gefragt—der Beitrag wurde deutschlandweit geteilt. Heute habe ich eine Lieferung aus Stuttgart bekommen. Ich hoffe, dass das letztendlich reicht.

Sind alle in der Gegend mit der Aktion einverstanden, oder gab es da auch Anfeindungen?
Ich hatte am Anfang ein bisschen Bedenken wegen Leuten, die absolut dagegen sind und dann Leute daran hindern wollen, so was zu tun—weil die die ja eh nicht hier haben wollen. Es gibt aber eher vereinzelte Leute, die dagegen sind, weil die das Gefühl haben, dass man sich da dann Leute ranzieht, die dann das ganze Ding belagern, so dass man dann selber keine Möglichkeit mehr hat zu fahren. Ist aber Schwachsinn, denke ich, an einem gutbesuchten Sonntag sind auch eine Menge Leute da.

Wie viele Skateboards habt ihr jetzt schon gesammelt?
Ich habe jetzt neun komplette Skateboards, zwei Paar Inline-Skates und ein paar Fahrräder. Ansonsten habe ich noch sieben oder acht Bretter ohne Achsen oder Rollen und hoffe, dass da noch ein paar Sachen kommen. Wichtig ist auch Schutzausrüstung so wie Helme oder Schoner. Vielleicht muss man auch mit der Heimleitung sprechen, damit man da ein paar Gelder kriegt, um ein paar Sachen zu kaufen.

Unsere Epicly Later'd-Folge mit Eric Koston:

Hast du irgendeine Hilfe von der Stadt bekommen?
Am Anfang habe ich gedacht, es ist am besten, wenn man das direkt über die Gemeinde Stahnford regelt. Das war aber ein bisschen schwierig—die Idee ist super angekommen, aber Eigeninitiative kommt da halt nicht. Ich hab die Kontaktdaten von dem Sozialarbeiter bekommen, und das war's dann eigentlich. Aber egal: Mir macht das halt Spaß, und wenn man was Nützliches mit seinem Hobby verbinden kann, dann ist das doch klasse.

Wo kommen die Leute im Heim eigentlich her?
Das ist komplett Multikulti da drin. Die Kinder, die ich bis jetzt kennengelernt habe, kommen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, und aus der russischen Ecke. Aber hauptsächlich die ersten drei.

Wie redest du mit denen?
Tja, mit Händen und Füßen. Obwohl man sagen muss, dass gerade die Kids erstaunlich schnell Deutsch lernen. Der eine Junge ist jetzt zwei Monate hier, und mit dem kann man sich schon fast normal unterhalten. Dadurch, dass die zur Schule gehen und Kontakt mit anderen Kindern haben, geht das bei Kindern schneller als bei Erwachsenen. Ansonsten habe ich es auch schon mit dem Google-Übersetzer probiert—wenn man weiß, wo die herkommen.

Wie geht es jetzt weiter?
Gestern habe ich mit dem Sozialarbeiter vom Bund darüber gesprochen, der ist auch sehr angetan. Dem habe ich auch schon erzählt, dass wir schon ein paar Erfahrungen mit den Kids vor Ort gesammelt haben, und das wird sehr, sehr gut angenommen. Die Resonanz ist sehr groß. Am 23.5. werden wir voraussichtlich einen Workshop-Tag mit denen machen, mit Grillen und allem. Ich hoffe mal, dass da viele Leute kommen!