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Defne E.: Wir waren eigentlich mit unseren beiden Kindern auf einem Osterurlaub in Italien. Wir wollten nach Venedig und Verona, ein wenig ausspannen vom Alltag. Am Sonntag haben wir uns den ganzen Tag Venedig angesehen und sind dann am Abend ziemlich müde ins Hotel. Um ein Uhr nachts wurden wir von bewaffneten Männern aufgeweckt. Die Polizei ist mitten in der Nacht in unser Hotelzimmer gekommen, während wir schliefen. Sie waren sehr unfreundlich und haben meinen Mann ohne irgendwelche Erklärungen mitgenommen. Das war natürlich ein absoluter Schock für uns alle. Was wird Ünal vorgeworfen?
Türkische Medien und Behörden behaupten, dass Ünal in Zusammenhang mit der Geiselnahme eines Staatsanwalts in Istanbul letzte Woche stehen würde. Das steht auch in einigen italienischen Medien. Das ist völlig absurd und dient offenbar nur dazu, eine Auslieferung an die Türkei zu rechtfertigen. Die türkischen Medien haben dabei einen besonderen Trick gefunden: sie haben den Namen meines Mannes leicht verändert, damit es keine Klagen geben kann, aber die Botschaft gedruckt werden kann.
Offiziell beschuldigt die Türkei Ünal jetzt wegen Taten aus dem Jahr 1995. Diese Anklage war allerdings pure Verleumdung und reichte für die österreichischen und deutschen Behörden nicht einmal für die Umsetzung des türkischen Haftbefehls. Es wäre wahnsinnig, wenn Italien Ünal deshalb ausliefert. Dein Mann war früher in der Türkei politisch aktiv. Was ist damals geschehen?
Ünal ist ein politisch denkender Mensch, der keine Ungerechtigkeit mag. Die politische Situation in der Türkei ist nicht zu akzeptieren, mit den Menschenrechten wird gespielt. Wer sensibel ist, muss gegen diese Diktatur aktiv werden. Die türkische Regierung aber duldet das nicht. Ünal wurde für fünf Jahre ins Gefängnis gesteckt und dort wie viele andere schwer gefoltert.
Nach dem Gefängnis durfte er sein Medizin-Studium nicht beenden und hätte auch nicht als Arzt arbeiten dürfen. Er war auch in Gefahr, wieder verhaftet zu werden. Er ist dann nach Österreich geflüchtet und wurde hier als politischer Flüchtling anerkannt. Später hat dann die Türkei diesen neuen Haftbefehl gegen ihn aufgelegt, der jetzt der Grund für die Verhaftung in Italien ist. Wo ist Dein Mann jetzt? Hast Du Kontakt zu ihm?
Derzeit sitzt er in einem Gefängnis in Mestre bei Venedig. Die italienischen Behörden erlauben mir keinen Kontakt zu ihm. Ich weiß nicht, wie es ihm geht und was gerade passiert. Ich durfte ihm auch keine privaten Sachen und kein Geld zukommen lassen. Wir haben jetzt aber einen italienischen Rechtsanwalt. Ich hoffe, dass ich ihm nun zumindest ein paar persönliche Dinge zukommen lassen kann. Gibt es Kontakt zu Behörden in Österreich?
Die österreichischen Behörden sind derzeit sehr hilfreich. Sie glauben uns und unterstützen uns sehr. Am Donnerstag ist Haftprüfung, dort soll auch der österreichische Generalkonsul anwesend sein. Wir hoffen, dass das helfen wird. Was bedeutet die Verhaftung beruflich für Ünal?
Derzeit stehen seine KollegInnen voll hinter Ünal. Das Spital, in dem Ünal arbeitet, hat uns auch einen Brief geschickt, dass Ünal immer freundlich, korrekt und zuvorkommend ist. Aber natürlich ist die Situation nicht leicht. Wie geht es euch nun?
Wir stehen natürlich alle unter Schock, das ist ein Albtraum. Die kleine Tochter ist fünf Jahre alt, sie hat die ganze Zeit geweint. Sie ist jetzt bei Verwandten. Die große Tochter hat alles mitgemacht, sie musste in Italien auch übersetzen. Das alles ist natürlich eine extreme Belastung. Viele FreundInnen und Verwandte unterstützen uns allerdings auch in dieser schweren Lage. Kannst Du Ünal als Mensch beschreiben?
Er versucht, nach all den Erlebnissen in der Türkei das Leben zu genießen. Er mag seinen Beruf, er liest sehr gern, sein größtes Hobby sind aber die beiden Kinder. Wir sind nun seit zwölf Jahren verheiratet, er ist der perfekte Mann und Vater. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der Kinder so sehr liebt. Die türkischen Behörden wollen unser Glück zerstören. Ich werde alles tun, damit das nicht passiert. * Name von der Redaktion geändert. Ihr könnt mit Michael auch auf Facebook in Kontakt treten.