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Alle Macht in der Volksrepublik China gehört nun Xi Jinping

Was haben wir unterschwellig nicht alle für eine beschissene Angst vor China und seinem enormen Potential. Die einzigen, die sich keine großen Gedanken machen, sind die, die chinesische Politik verstehen.

Was haben wir nicht alle für eine beschissene Angst vor China. War es vor 50 Jahren noch die Angst vor Horden roter Büchlein schwingender Maoisten, ist es nun die Furcht vor Chinas enormem kapitalistischem Potential und welche Politik Xi Jinping in Zukunft verfolgen wird und wie er dieses große Land mit der für uns im Westen seltsam mysteriösen, undurchschaubaren kapitalistisch-kommunistischen Politik wohl auf der geopolitischen Landkarte positionieren wird. Die einzigen, die sich keine großen Gedanken machen, sind die, die chinesische Politik verstehen.

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Der heutige Machtwechsel an sich verlief im Grunde recht langweilig. Alle wichtigen Entscheidungen wurden bereits vor Monaten getroffen. Der Volkskongress, der oft als das chinesische Parlament bezeichnet wird, ist eigentlich nur ein einziges Theaterstück mit 2952 Statisten und gleichzeitig ein Zeugnis dafür, dass China auf seine ganze eigene und einzigartige Weise regiert wird.

Obwohl sich die chinesische Gesellschaft in den letzten drei Jahrzehnten auf dramatische Art und Weise gewandelt hat, ist die Struktur des politischen Systems, das der gute alte Mao eingeführt hat, noch immer intakt. Das System kombiniert maoistische und leninistische Ideen und Prinzipien der Organisation mit Elementen der chinesischen Tradition.

Die Machtpfeiler in China sind der Staat, die kommunistische Partei und die Volksbefreiungsarmee, deren Verflechtungen für das Verständnis chinesischer Politik wesentlich sind. Der Staat und die Partei sind zwar formal getrennt, doch in der Realität eng verzahnt. In der Verfassung der Volksrepublik China steht deshalb auch gleich recht weit am Anfang: „Alle Macht in der Volksrepublik China gehört dem Volk.“ Und bereits in der Präambel wird die Führung Chinas durch die Kommunistische Partei festgelegt und somit zementiert. Ziemlich vereinfacht und brutal heruntergebrochen, kann man das chinesische System auf ein paar Punkte reduzieren: Es ist ein Ein-Parteien-System und eine Diktatur ohne Diktator. Noch einfacher gesagt wird der Staat wie eine kapitalistische Firma geführt. Die Geschäftsführer wechseln sich ab und die derzeitigen Machthaber bereiten während ihrer Amtszeit die kommende Generation an Führern auf ihre Rolle vor. Wir im Westen haben mit diesem System natürlich ein paar Reibungspunkte, die auf unserer Vorstellung „Demokratie vs. Autoritarismus“ beruhen.

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Trotz allem hat Chinas politisches System in den letzten drei Jahrzehnten einige Veränderungen durchgemacht und bewiesen, dass das Land recht nahe an der besten Lösung ist, um einen solch gigantischen Staat zu regieren: eine herrschende und auserwählte Elite an der Spitze und Demokratie an der Basis, wobei dazwischen selbst mal politische Experimente ihren Platz finden. Auf lokaler Ebene haben die meisten Chinesen, da nur sie wirklich wissen, was ihre Kommunen benötigen, und dafür auch kompetenten Sachverstand haben, sogar recht viel Mitspracherecht und wählen deshalb auf dieser lokalen Ebene auch ihre politischen Führer. Auf das große Ganze gemünzt, und damit auf einen 1,3-Milliarden-Staat mit seinen gigantischen Ausmaßen, ist ein System, das jedem Bürger das Recht auf eine Stimme gibt, jedoch weitaus problematischer und ein absolutes Chaos wäre wahrscheinlich die logische Konsequenz.

Damit das Land, das grob gerundet 27 mal so groß ist wie Deutschland, überhaupt regierbar bleibt, werden Führungspersönlichkeiten übereinstimmend mit der chinesischen Kultur und Geschichte rein Anhand ihrer Fähigkeiten und ihrer Kompetenz (und wer am tiefsten in Ärsche kriechen kann) ausgewählt. Die Kommunistische Partei hat sich so in den vergangenen 30 Jahren von einer revolutionären Partei Stück für Stück zu der Partei einer herrschenden, aber dennoch durchlässigen Elite entwickelt und sich so den Gegebenheiten der Moderne und ihren Herausforderungen angepasst. Während die Chinesen ihr politisches System eher als Mittel ansehen, um größere Ziele für ihr Land zu erreichen, denken wir im Westen gerne, dass die Demokratie als Regierungsform irgendwie das Ende der Geschichte markiert. Einer der Gründe, weshalb wir gerne mal auf die dumme Idee eines Schwanzvergleichs der Systeme kommen und ab und an gutgemeinte, aber ignorante Ratschläge geben, wie das mit der Politik denn so funktioniert und auch in China zu funktionieren hat. Doch schaut man sich die Geschichte genauer an, muss man feststellen, dass bislang nur zweimal mit Demokratie herumexperimentiert wurde. Das eine Mal war die attische Demokratie, die ungefähr 150 Jahre gut ging. Das zweite Experiment ist noch im Gange und fußt auf den Prinzipien der Aufklärung, die besagen, dass der Mensch rational ist und unveräußerliche Rechte besitzt. Das hat unsere Moderne begründet und führte schließlich zu der Demokratie als Staatsform, in der wir uns aktiv beteiligen dürfen. Das hat bislang auch recht gut geklappt, doch wie auch die erste Demokratie in Athen schließlich zu Demagogie um der Wählerstimme willen führte und dadurch den Bach runterging, kranken auch wir an dem Problem, dass Politiker eher auf ihre Wiederwahl bedacht sind und Politik als Geschäftsmodell für ihr Auskommen entdeckt haben. So wird auch bei unseren Wahlen wieder ordentlich demagogisch dahergeredet und den Bürgern von Steuersenkungen und mehr Sozialleistungen alles versprochen, was die Wiederwahl sichert. China geht da seinen eigenen Weg. Die Führer Chinas erlauben der Bevölkerung sehr wohl, sich in die Belange des Landes einzubringen, und gestatten ihnen mehr Freiheiten, jedoch nur solange diese der Wirtschaft und nationalen Interessen dienlich sind. Die 1980er waren so eine Zeit, in der mehr Freiheiten im Land China dabei halfen, sich von den katastrophalen Auswirkungen und den ideologischen Ketten der Kulturrevolution zu erholen, doch dies führte auch zu den grässlichen Ereignissen am 4. Juni 1989 am Platz des Himmlischen Friedens.

Die Chinesen haben für den 4. Juni bereits einen furchtbaren Blutzoll entrichten müssen, doch die Alternative für China wäre ohne die durch den Staat 1984 erzwungene Stabilität im Land nicht zu dem wirtschaftlichen und finanziellen Aufschwung gekommen, der China auf Platz 2 der größten Industrienationen der Welt katapultiert hat.   In Manifestationen wie der eingeschränkten Meinungsfreiheit und der ungenügenden Achtung der Menschenrechte sind die Auswirkungen auch heute noch spürbar, doch man darf nicht vergessen, dass diese Werte aus einer europäisch geprägten Kulturgeschichte heraus geboren wurden und wir auch nur durch eine Menge Blut, Schweiß und noch mehr Tränen zu unseren moralischen Schlüssen gelangt sind. Als große Leistung Chinas sollte trotz allem angerechnet werden, dass es das Land geschafft hat, den Lebensstandard seiner Bürger in vielen Bereichen offensichtlich zu steigern. Die Gefahr für China und die Herausforderung für diesen progressiven und gigantischen Staatsapparat unter Xi Jiping wird es nun jedoch sein, das erreichte auch zu bewahren und fortzuführen. Durch den gestiegenen Lebensstandard werden sich die Lohnkosten wohl zwangsläufig erhöhen und dann verpissen sich Apple, Nike und alle die anderen an einen neuen Ort, wo noch immer 10-Jährige eine Milliarde Stunden pro Tag für einen Lohn von 50 Cent abreißen.

Fotos: Felix Nicklas