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Popkultur

'Até ver a luz' ist ein Banlieue-Heimatfilm

Du hast gedacht Gentrifizierung in der Schweiz sei schlimm? Bahia da Cunhas Film setzt "Reboleira" ein Denkmal—bevor es plattgewalzt wird.

Filmscreens zur Verfügung gestellt von filmcoopi

Die Nacht gehört nicht metrosexuellen (Was ist schon wieder das neue Trendschlagwort dafür?) Twilight-Vampiren. Die Nacht gehört melancholischen Menschen, die grade erst aus dem Gefängnis kommen oder nur so am Rand auch Dealer sind. Zumindest die Nacht im Lissabonner Viertel Reboleira.

Der Lausanner Regisseur Basil da Cunha kam nach Reboleira auf der Suche nach einer zahlbaren Wohnung. Was er sah, hat er noch nie gesehen: „Reboleira ist eine Stadt in der Stadt. Ohne Durchmischung wie in Lausanne."

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Viele Leute dort haben keinen Job, auch schon lange vor der Krise. „Viele machen nichts. Es sind immer 200 bis 300 in der Strasse. Und ich hab gemacht, was alle machen: Tagelange Tours von Bar zu Bar, Freunde treffen. Man grüsst sich 20-, 30-mal am Tag."

Fotos zur Verfügung gestellt von Bahia da Cunha

Reboleira sei ein Ort gewesen, der Regeln folgt, die es so nicht mehr gibt. Das Quartier selbst gehört der Vergangenheit an: Reboleira steht vor dem Abriss. Radikal-Gentrifikation, die uns Schweizer Urban People zu verwöhnten Altbau-Zaren macht. Aus dem Banlieue wird ein Edelviertel—Aufwertung fast-forward. Und niemand interessiere sich dafür, wo die jetzige Bevölkerung hingeht.

Basil wollte aber keine quengelnden Opfer zeigen. Nein, er wollte einem Ort, der ihn beeindruckt, ein Denkmal setzen. Und da Basil zufällig Filme macht und seine ersten Kurzfilme direkt in Cannes gezeigt wurden, konnte er all seine Lissabonner Nachbarn und Bartour-Kumpel für einen Spielfilm zusammenbringen.

Foto von filmcoopi

„In meinen Filmen haben immer Freunde von mir gespielt. Ich arbeite nur im Freundeskreis", erklärt uns Basil sein Cast. Im Film heissen Basils Freunde Mix, Sombra (Schatten) oder Eisenmann. Wer nur mit Freunden Filme macht, muss sensibel sein, muss nah an den Schauspielern sein und erzählen, was die Schauspieler umtreibt.

Von den Darstellern geht „Até ver a luz" definitiv aus, so schwafelt etwa Eisenmann den ganzen Film über davon, wie viele Frauen schon von seinem Armstumpf verwöhnt wurden. Basils Film ist voll von dieser weirden Art Feingefühl, roughem Hiphopper-Feingefühl.

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Bahia da Cunha

Dealer werden nicht als Monster vorgeführt, sondern als Berufsgruppe. Mit Clooney-Coolness fragt die Kamera: Du bist also Dealer—what else? Nur deine Tante regt sich darüber auf, dass du durchs Fenster reinkommst und die Kugel kannst du dir selbst aus dem Arm operieren, du bist ja erwachsen.

Stell dir vor es ist Gentrifizierung und niemand braucht den Zeigefinger. Stell dir vor es ist Banlieue und niemand heult wie schlimm es ist. Laut Basil leben die Leute in Reboleira nach dem Claim „Aqui nao ha miserias." (Hier gibt es kein Elend.) Kein Platz für Klagen, blosses Leben. In den Tag, nein, in die Nacht hinein. Und so harrt Nachtschatten Sombra in Wasserspeier-Posen auf dem Dach, stellt sich Vorwürfen, erlebt die Gewalt einer Ordnung, die der Vergangenheit angehört.

filmcoopi

Sombras Haus- (oder besser: Keller-)Tier, ein Leguan, will Licht. Er ist wechselwarm, er braucht den Tag und deshalb übersteht der Leguan—eine Interpretation, die mir Basil bejaht hat—die neue Zeit, in der Nachtkreaturen keinen Platz mehr haben. Für eine neue Zeit, in denen das alte Reboleira von reflektierenden Glasfassaden geprägt ist und Gangleader in andere Gebiete ausweichen müssen. Die Gangleader finden sicher eine neue biologische Nische, um ihren Lakaien Drogendiebstahl vorzuwerfen. Diese Tatsache ist so stabil wie die kommenden Obere-Mittelklasse-Bauten in Reboleira oder die Zürcher Klötze an der Europaallee.

Até ver a luz startet heute in den Deutschschweizer Kinos!

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