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Blutiger Protest gegen Russlands Homo-Propaganda-Gesetz

Berliner Drag Queen hat sich wegen Putins Homo-Propaganda-Gesetz den Mund zugenäht.

Eigentlich ist Barbie Breakout DJane und Maskenbildnerin, doch letzte Woche erlangte sie durch ein Protestvideo neue Aufmerksamkeit. Ungewöhnlich. Denn von sich selbst behauptet sie: „Eigentlich bin ich gar kein politischer Mensch.“

Im Video sitzt Barbie Breakout in einem einem kleinen schlecht ausgeleuchteten Kellerraum. Links und rechts von ihren Schultern beginnen bereits die Wände. Der einzige Farbklecks in diesem Bild sind ihre pinken Haare. Die 35 Jahre alte Drag Queen aus Berlin starrt ernst in die Kamera. Dann greift sie zu Nadel und Faden und beginnt ihren stummen Protest. Entschlossen sticht sie sich die Nadel durch ihre Unterlippe, danach durch die Oberlippe. Bis zum Ende des Videos nach etwa zwei Minuten wiederholt sie den Vorgang noch einige Male. Barbie Breakout verzieht dabei keine Miene. Selbst dann nicht, wenn das Blut anfängt über ihr Kinn zu laufen. Auf YouTube wurde das Video deshalb bereits mehrfach gelöscht.

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Nach etwa der Hälfte des Films erklärt ihre Stimme aus dem Off, warum sie sich den Mund zunäht: „Seit die russische Regierung unter Putin ihr Anti-Homo-Gesetz erlassen hat, sind Schwule, Lesben und deren Freunde Freiwild auf Russlands Straßen.“ Nachdem in Russland am 30. Juni dieses Jahres das Gesetz gegen „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“ in Kraft trat, können Leute, die sich gegenüber Minderjährigen positiv über Homosexualität äußern, verhaftet und bestraft werden. In ihrem Aufruf wendet sich Barbie auch an die Bundesregierung. Diese habe bislang nichts getan, um dem Einhalt zu gebieten. Das Auswärtige Amt hat bisher nur eine Warnung für Homosexuelle bei der Einreise nach Russland formuliert. Auf Vimeo hat sie das Video nun erneut hochgeladen.

Wir haben mit Barbie Breakout über ihre drastische Protestaktion gesprochen.

open your mouth deutsch

von

barbie breakout

auf

Vimeo

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VICE: Barbie, was hat dich zu deiner Protestaktion bewegt?
Barbie Breakout: Ich hab sehr lange und sehr viel im Internet geforscht und eben sehr viele erschreckende Sachen gesehen. Viele furchtbare Videos, in denen Jugendliche gequält oder Menschen auf der Straße gejagt werden. Irgendwann hat es mir einfach gereicht. Ich kam an den Punkt, an dem ich dachte, ich platze, wenn ich nicht irgendwas tue. Einfach bloß weitere Facebook-Petitionen unterschreiben wollte ich auch nicht. Die Idee kam dann ziemlich spontan.

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Eine wirkliche Vorbereitung hattest du also auch nicht.
Ich habe vorher noch versucht, steriles Nähzeug zu besorgen, das gab's aber nicht. Sowas ist schwieriger zu bekommen, als man denkt. Ich war sogar in drei Apotheken, aber ich hätte wohl eher bei einer Praxis nachfragen sollen. Dann hab ich mir gedacht, du hast dir auch schon Ohrlöcher gestochen. Also hab ich die Nadel heiß gemacht und in Alkohol gelegt.

Und wie geht es deinen Lippen heute?
Den Lippen geht’s fantastisch. Da ist alles wieder super verheilt.

Als DJane kommst du sicherlich viel herum. Warst du selbst schon mal in Russland?
Wir waren vor etwa eineinhalb Jahren mit dem GMF in Moskau. Wir wurden eingeladen, da in einem schwulen Club aufzutreten. Das war für uns super. Ich hatte zwar vorher totale Angst, war dann aber überrascht, dass es da gar nicht so grausam war, wie ich mir das vorgestellt hatte. Allerdings muss auch gesagt werden, dass ich mich da mit meiner doch schon sehr schwulen Art und meinem tuntigen Gang ziemlich zurückgenommen habe. Das ist aber auch schon eine Weile her, als ich dort war.

Hast du dort auch selbst Schwulenfeindlichkeit mitbekommen?
Ich hab selber nichts erlebt, aber ich habe vieles erzählt bekommen. Zum Beispiel, dass sich andere Transen nicht trauten, im Taxi aufgetranst zur Arbeit zu fahren. In Deutschland ist das ganz normal. Die werden da dann gerne mal an den falschen Orten rausgeschmissen oder sogar angegriffen.

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Durch das Video hast du eine Menge neugewonnene Aufmerksamkeit bekommen. Wie willst du diese auch zukünftig für den Kampf gegen Homophobie in Russland einsetzen?
Ich werde weiterhin den Blick auf das Thema lenken und an verschiedenen Aktionen arbeiten. Ich bin aber kein besonders politischer Mensch. Ich bin nicht sonderlich gut darin, jetzt den Sturm auf die Bastille zu organisieren. Das sollte man nicht erwarten, aber ich will weiterhin das tun, was ich kann.

Gibt es auch negative Erfahrungen mit dem neuen Ruhm?
Was mich ein bisschen irritiert, ist, dass dabei viel mehr Interesse auf meine Person gerichtet wird und gar nicht so sehr auf das, was ich damit erreichen wollte. Ich möchte gerne, dass die Leute sich die Videos und Links anschauen und sich darüber schlau machen, was da in Russland passiert, und sich nicht so sehr Gedanken darüber machen, ob ich noch alle Latten am Zaun habe.

Wie gehst du dagegen vor?
Dagegen kann ich nicht vorgehen. Ich habe allerdings manchen Medien bereits abgesagt, bei denen ich denke, die wollen daraus eine reißerische „Hier näht sich 'ne Transe den Mund zu“-Geschichte machen. Mir ist wichtig, dass auch auf die Sache hingewiesen wird und nicht nur auf's Video.

Du sagst, dir geht es vor allem um die gerechte Sache. Was läuft also alles schief in Russland?
Seit Putins Anti-Homo-Propaganda-Gesetz werden Homosexuelle in Russland wie Freiwild behandelt. Das heißt, sie werden öffentlich gefoltert und gedemütigt. Mehrere von uns sind sogar schon umgebracht worden. Und das wird alles polizeilich nicht so wirklich geahndet. Die Leute sind im Internet teilweise mit ihren eigenen Namen vertreten und verbreiten Videos. Ich habe gesehen, wie Teenager in einen Hinterhalt gelockt und dann öffentlich vollgepisst und gedemütigt wurden. Andere werden dazu gezwungen, ganz fürchterliche Dinge mit sich selbst anzustellen. Die Leute, die das hochladen, stehen da öffentlich mit ihren Namen und bleiben unbescholten. Das macht mich rasend! Dass die ganze Welt quasi zuschaut, sich schön auf die Olympiade in Russland freut, aber nichts tut. Ich find's absurd. Ich meine, in Deutschland ist jetzt Sommerloch und alle stürzen sich auf jede noch so kleine Nachricht, ob irgendwer jetzt einen Pickel am Arsch hat, aber dass in Russland Menschenrechte mit Füßen getreten werden, ist dann auf einmal doch nicht so interessant.

Putin hat angekündigt, das Gesetz solle nächstes Jahr während der Olympischen Winterspiele in Sotschi außer Kraft gesetzt werden. Wie schätzt du das ein?
Das zeigt, dass er unter Druck gerät. Wenn jetzt zu viel Druck im Hinblick auf die Olympischen Spiele  entsteht, gehen eventuell einige Sponsoren flöten. Die Spiele sollen schließlich auch eine Manifestation des freien Willens darstellen und Russland gut da stehen lassen. Wenn so viel auf dem Spiel steht, ist auch Putin bereit einzulenken. Dass das allerdings nur für die Olympischen Spiele gilt, ist absolut lächerlich.

In deinem Video kritisierst du auch die die Bundesregierung. Denkst du, das Thema findet in Deutschland noch zu wenig statt?
Ich finde, dass das Thema weltweit viel mehr stattfinden sollte. Bis jetzt ist Island das einzige Land, das sich deutlich von Russland distanziert hat. Der internationale Aufschrei müsste viel, viel größer sein. Es müsste viel strikter darauf reagiert werden, wie sich in Russland die Werte der Menschenrechte verschoben haben. In einem Land wie dem Iran werden auch Menschen gefoltert und getötet. Darüber ist man dann auch hier schockiert. Bei Russland ist das aber anders. Die sind uns viel näher und wir treiben Handel mit denen. Da fällt das dann alles nicht so ins Gewicht. Ich finde, das verdient alles wesentlich mehr schockierte Aufmerksamkeit.