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​Ich wurde bei der Akademikerball-Demo festgenommen und es war eigentlich richtig nice

Zuerst Teil einer Sitzblockade, dann vorläufig festgenommen.
Titelbild von David Prokop

Diesen Gastbeitrag haben wir heute in unserer Mailbox gefunden. Es handelt sich dabei um die subjektive Nacherzählung einer Festgenommenen. Das heißt klarerweise nicht, dass andere Demonstrierende nicht auch andere Erfahrungen an diesem Abend gemacht haben. Hier findet ihr unsere gesamte Berichterstattung zum Akademikerball 2015.

Ich bin die Art von Demogängerin, die so zwischen schwarzer Block und nebenbei watschelnden Halbdemonstranten schon ein paar Mal heftig mitgrölt und immer wirklich nah am Geschehen dabei sein möchte. Ich habe schon in der Vergangenheit intensiv gegen diesen populistischen Idioten demonstriert—als eher friedfertiger Typ und bis jetzt ohne große Zwischenfälle. Im Laufe einer Demonstration werde ich eigentlich immer aber so richtig wütend, weil ich deren Hass einfach nicht verstehen kann.

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Bei den Protesten gegen den Akademikerball war ich Teil einer Sitzblockade. Wir saßen da alle einfach—sicher, wir haben auch in Chören geschrien, aber eigentlich saßen wir einfach nur da. Und plötzlich wurden wir einfach nur so mitgenommen. Die einen wurden sanfter als die anderen entfernt, aber nie jemand wirklich grob. Das Prozedere dauerte ewig. Eine Stunde allein, bis endlich alle Daten der 30 Sitzblockierenden aufgenommen und diese schließlich verfrachtet waren. In dieser Zeit mussten wir in einer Reihe stehen und haben die rechtlichen Grundlagen durchbesprochen und Kekse von Mitverhafteten gefuttert. Vorläufig festgenommen. Ich hab mich sogar ein bisschen gefreut, nachdem klar war, dass eine Verwaltungsstrafe nicht sehr viel mehr bedeutet, außer denen mal wieder ein paar Euros mehr in den Rachen zu werfen.

Im Polizeibus war es so kalt wie draußen. Nach einer weiteren Stunde frieren war ich dann richtig froh, endlich in einer warmen Zelle von fünf Quadratmetern zu sitzen und zu warten. Wir waren zu sechst, kannten uns alle flüchtig bis gar nicht.

Im Grunde war eigentlich alles nur ewiges Warten auf dass die Bürokratie ihren Lauf nimmt und wir dann einfach wieder gehen können, mit neu sortierten Rucksäcken und Geldtaschen. Mehr war es einfach nicht. Wir mussten nichts bereuen, nicht unsere Meinung überdenken—wir waren da, weil wir das so entschieden hatten. Nicht, weil wir etwas falsch gemacht haben und sie uns nun zu Recht rücken oder belehren mussten.

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Ich war die erste, die sie aus der Minizelle holten. Auf mein Kommentar, so eine Sonderbehandlung fast zu genießen, entgegnete mir die etwas grantige Kollegin im Dienst nur: „Tjo, die ersten werden die letzen sein". Dieselbe Polizistin hat dann auch die Leibesvisitation in einem für uns vorgesehenen Separee durchgeführt. Ich wurde vermessen und gewogen. Sie schrie den Kollegen draußen zu: „1,62 Meter, 57 Kilo!" Ich bestand darauf, dass es 56 waren. Waren es wirklich, also verbesserte sie sich mit einem Schmunzeln: „1,62 Meter, 56 Kilo!" Ich habe gemerkt, dass sie meinem Humor nicht widerstehen konnte und schon blühte sie zu einer wunderschönen, neckischen Blume auf. Wir verstanden uns, sie fand mich lustig und ich sie.

Foto von Kurt Prinz

Sie ließ mich dann schon fast alleine von Zelle zu Zelle gehen, weil's eh wurscht war. Ich musste noch kurz warten, bis sie mich ins richtige Kittchen nach oben schicken konnten. Auf ihrem Schreibtisch lag links mein Hab und Gut, rechts meine Zigaretten mit Feuerzeug. Nach der Nachricht, dass ich die Zigaretten mitnehmen und in der nächsten Zelle rauchen dürfte, fiel ich ihr fast um den Hals.

„Man darf da oben rauchen? Wie geil ist das denn bitte? Das hätte echt schlimmer kommen können."

„Richtiger Luxus da bei uns, gell?"

Nächste Station: fünfter Stock. Ich ging alleine. Oben fand ich eine Tür samt Klingel. Ich klingelte; es passierte nichts. Dann klingelte ich nochmal. Durch die Glastüre sah ich die Wärterin des 5. Stockes gemütlich auf mich zu spazieren. Sie stieß die Tür auf und bevor sie überhaupt: „Jojo, des geht ned so schnell." sagen konnte, unterbrach ich sie mit den Worten: „Man weiß ja nie, ob der Schas funktioniert." Sie lächelte. Das war sie, Wärterin Nummer Zwei, die ich um den kleinen Finger gewickelt hatte.

Ich denke für alle sprechen zu können, wenn ich sage, dass wir alle gestärkt aus diesem Gebäude spazierten.

Es tut mir leid, meine Mit-Rebellen, aber ich fand die Polizisten und Polizistinnen eigentlich alle durchwegs nett—teilweise auch unglaublich amüsant, weil völlig schräg. In der Gemeinschaftszelle angekommen, hatte ich eine halbe Stunde für mich alleine. Ich hab mich umgeschaut, die Kritzeleien an den Wänden überflogen und mich ebenfalls dort verewigt. Da waren diese klischeehaften Stricherl-Listen, wie viele Tage man noch absitzen müsse. Es waren immer maximal 2 Wochen. Ehrlich gesagt war ich sehr dankbar, in so einer Situation zu sein, derartige Eindrücke sammeln zu können. Bald waren wir dann eh wieder zu sechst in unserer Zelle, ich habe uns Stifte aufgetrieben, wir sind am Tisch gesessen in einer nette Runde und haben uns unterhalten, Geschichten ausgetauscht, den Abend und die Nacht Revue passieren lassen.

Für mich war eigentlich nichts scheiße. Es war warm, man konnte rauchen, ich hatte nette Gesellschaft. Dieses hierarchische System ging mir vorher schon am Arsch. Das hat sich nicht geändert. Pure stumpfsinnige Befehlsausführung. Ihr habt mein Mitleid. Was ich aber aus all dem mitgenommen habe, ist die unglaubliche Verbundenheit von der ersten Sekunde an.

Wir haben nichts daraus gelernt. Besser noch: Ich denke für alle sprechen zu können, wenn ich sage, dass wir alle gestärkt aus diesem Gebäude spazierten. Auf eine Menge jubelnder, netter, dir eigentlich fremden Menschen zu. Um 3 Uhr morgens ging ich aus dieser Tür, erfüllt von Freude, dass Nächstenliebe und Verständnis noch exisitiert und nicht kleinzubekommen ist. Solange Menschen Empathie empfinden und sich solidarisieren, werde ich meinen Weg weitergehen. Und ich hoffe, ihr tut das auch! Wir sehen uns heute bei der Pegida-Gegen-Demo ihr Lieben! Freu mich!