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Wahlen 2015

CH-Wahl 2015: Was bisher geschah

Bellende Hunde, telefonierende Sozis, zersplitterte Ökos haben den Schweizer Wahlkampf bisher geprägt. Und Ausländer.
Foo von Wikipedia

Draussen ist es grau. Und wenn ich mich bewege, zum Beispiel aufstehe, um einen Kaffee zu holen, hab ich nicht gleich das Gefühl, in meinem eigenen Schweiss zu ertrinken. Ausserdem ist mein Mitbewohner nicht mehr am Magic Karten sortieren, wenn ich aufstehe, sondern weg. Die Schulferien scheinen auch vorbei zu sein. Was das heisst: Der Sommer sagt langsam aber bestimmt Ade. Und damit beginnt zumindest dieses Jahr eine äusserst windige (die Doppeldeutigkeit ist gewollt) Jahreszeit: der Wahl-Herbst.

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Ein paar tausend Leute bewerben sich auf 200 Nationalrats- und 46 Ständeratsmandate, die am 18. Oktober neu vergeben werden. Die dann triumphierenden Frauen und Männer (letztere werden wie gewohnt in der Mehrheit sein) werden nicht nur massgeblich über die Regeln unseres Zusammenlebens bestimmen, sondern im Herbst auch unsere Regierung wählen und dabei womöglich einen zweiten SVP-Bundesrat (und ziemlich sicher keine SVP-Bundesrätin).

Foto von Flickr | Martin Abegglen | CC BY-SA 2.0

Doch auch wenn der Spannungsbogen sich bei dieser never-ending Daily Soap erst in den nächsten Wochen wirklich steigern wird: Der Wahlkampf läuft natürlich schon länger. Die Kandidaten sind bestimmt, die Themen und Slogans auch. Doch wenn wir ehrlich sind: Wer konnte sich in den letzten Wochen voller Sonne, Hitze, Festivals und Schirmchendrinks und den daraus folgenden Filmrissen schon wirklich konzentrieren?

Deswegen helfen wir euren hoffentlich noch nicht allzu sehr an Gedächtnisschwund leidenden Köpfen mit einer Zusammenfassung des bisherigen Plots. CH-Wahl 15—was bisher geschah:

Episode 1: Die Vorgeschichte

Foto von Flickr | blu-news.org | CC BY-SA 2.0

Um zu verstehen, was in diesem Wahljahr bisher passiert ist, müssen wir noch weiter zurückblicken. Letztes Jahr stand—wie leider eigentlich jedes Jahr—im Zeichen der Fremdenfeindlichkeit. Anfang 2014 sagte die Schweiz „Ja" zur Massen-Einwanderungs-Intiative der SVP und zeigte damit allen potentiellen Einwanderern und der EU den Mittelfinger. Die noch restriktivere, noch überheblichere, grün-braune Ecopop-Initiative wurde Ende Jahr dann zwar klar abgelehnt, doch war und ist das vorrangige Diskursthema immer noch gesetzt: Wir aufrechte Schweizer gegen die anderen, die uns entweder beherrschen oder bedrängen oder beklauen wollen.

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Foto von Wikipedia | Shoe200 | CC0 1.0

Schon Anfang Jahr nämlich schickte sich eine weitere Organisation an, unser kleines Alpenparadies zu verteidigen: PEGIDA Schweiz. So richtig durchstarten, ja nicht einmal loslaufen konnte die Kopie der deutschen Wutbürger-Aufmärsche trotz Medienwirbel und Facebook-Like-Investitionen zwar noch nicht, aber zur Wahl antreten und damit ihre diskriminierenden Botschaften verbreiten bzw. Islamophobie und Hetze als Parteiprogramm präsentieren, das haben sie leider bereits geschafft.

Episode 2: VERSUCHEN UND VERLIEREN

Volksinitiativen sind Wahlkampf-Lokomotiven, so sagt man, und so versuchen die Parteien ihre jeweiligen Begehren möglichst nahe an den Wahltag zu legen. Dass das aber auch ordentlich nach hinten losgehen kann, mussten sowohl CVP als auch Grünliberale mit ihren Vorlagen erfahren, die am 8. März gnadenlos versenkt wurden und auch die SP erlitt mit dem Vorschlag einer nationalen Erbschaftssteuer Schiffbruch.

Die CVP griff dabei aber gleich doppelt in die Kloschüssel, indem sie die Ehe als eine „auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau" definierte. Anstatt wie geplant um die Frage nach gerechten Steuern ging es plötzlich um LGBT-Rechte. Und dabei kann die CVP nur verlieren: Behält sie ihren konservativen Kurs bei, sackt sie ab bei Jungen und in den Städten, zeigt sie sich offen, verärgert sie ihre altbackenen Stammwähler.

Foto von Flickr | Andrea | CC BY-SA 2.0

Überhaupt ist die Diskussion um die „Ehe für alle!" wohl das gesellschaftliche Polit-Thema des Jahres. Während am rechten und am christlichen Rand Homosexualität immer noch verurteilt wird, zeigen sich auch Bürgerliche offen und tolerant. Die BDP etwa verteilte Kondome an der Pride, während sogar die SVP mit dem schwulen, intellektuellen Wirtschaftsprofessor Hans-Ueli Vogt in den Kampf um einen Zürcher Ständerat zieht.

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Episode 3: Haupt- und Selbstdarsteller

Wahlen heisst Kandidaten heisst Köpfe. Dabei sind natürlich vor allem die Neuen spannend. Am meisten Tamtam konnte dabei (wie halt generell) die SVP machen. Hans-Ueli Vogt ist dabei nicht der einzige weltgewandte Geistesarbeiter, den Brunner und Blocher ins Boot holen konnten: Weltwoche-Chef Roger Köppel ist der quer einsteigende Hoffnungsträger und wird wohl ab Winter zusammen mit Mörgeli sein z'Mörgeli in Bern verdrücken.

Foto von Wikipedia | DrJunge | CC BY-SA 3.0

Wer dann wahrscheinlich auch noch in der Runde sitzen wird: Blocher. Magdalena Martullo-Blocher, um genau zu sein, des Christophs Tochter und Nachfolgerin an der Spitze der Ems-Chemie. Die Chancen, ihren Vater auch politisch zu beerben, stehen für die im Kanton Graubünden antretende Management-Expertin nicht schlecht.

Episode 4: Verbrüdern und Verstreuen

Nach dem „Wer", folgt dann meist bald die Frage nach dem „Wie". Die Mitte-Parteien zeigen sich dabei zwar in Sachen Werbung nicht sonderlich kreativ, überraschen dafür mit unerwarteten Kollaborationen. Auf der Suche nach Partnern für Listenverbindungen zeigen sich dabei vor allem die Grünliberalen von ihrer promiskuitiven, um nicht zu sagen polygamen Seite. Während sie nämlich in den einen Kantonen wie bisher mit CVP und EVP paktiert, hat sie sich in Zürich, dem Aargau und in der Waadt mit einem zwielichtigen Typen ins Bett gelegt: Ecopop.

Die Urheber der bereits erwähnten Anti-Einwanderungs-Initiative würzen die Wahlen mit einem grün-braun-bürgerlichen Mix eigener Kandidaten auf. Am Beispiel von Andreas Thommen lässt sich dabei aufzeigen, dass vor allem eine Partei damit ein Problem haben wird: die Grünen, deren Kantonsvorsitzender Thommen bis zu Ecopop war.

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Es mag in der Natur der Öko-Partei liegen, doch die Grünen zerstreuen sich immer mehr. Und zwar nicht nur, dass ihre Umwelt-Anliegen mittlerweile salonfähig geworden sind (nur FDP und SVP streuben sich noch gegen eine atomfreie Zukunft). Vor ein paar Jahren waren es die wirtschaftsfreundlichen Grünliberalen, letztes Jahr dann die braun eingefärbten Ecopop-Befürworter. Im Frühling spalteten sich im Kanton Baselland dann auch noch Kritiker des Schulreform-Vorlage Lehrplan 21 ab, sodass dort neben der offiziellen Grünen-Liste auch die Grüne-Unabhängigen zur Wahl stehen.

Episode 5: Plaudern und Feiern

Während in der Mitte gespalten und verschmelzt wird, sucht man links wie rechts den Kontakt mit dem Stammpublikum. Die SP liess sich dabei von in den USA verbreiteten Wahlkampftaktiken inspirieren und greift wie schon bei den Zürcher Kantonsratswahlen zum Hörer. So werden die Kanditaten zu Call Center-Mitarbeitern und die möglichen Wähler zu den genervten Probanden am anderen Ende, die in den Hörer schreien, dass sie keine neue Versicherung bräuchten.

Foto von Wikimedia | NAC | CC BY-SA 4.0

Noch näher zum Volk wagt sich da nur, wie könnte es anders sein, die SVP vor. Festbank-Gaudi und markige Sprüche gibt es bei SVP bi de Lüt (und manchmal auch Tränengas) und gleich im Doppelpack: den Willy. Einmal als das bereits letztes Jahr vorgestellte Hunde-Maskottchen und einmal als nervtötender Volks-Rocker, der die Patrioten mit seinem „Freiheitssong" zum Schunkeln bringt.

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Episode 6: Quotenhit Ausländer

Was dabei die Sünneli-Schweizer noch glücklicher und alle anderen Parteien nervös macht: die neu entfachte Asyl-Debatte. Der Syrien-Krieg und andere Flüchtlingsströme aus Afrika liessen in den letzten Monaten die Gesuche ansteigen, gleichzeitig wird auch rund um uns herum wieder heftiger (und beängstigender) über das Thema diskutiert.

Der SVP, die eigentlich geplant hatte, ihren Wahlkampf als Kreuzzug gegen fremde Richter in Szene zu setzen, zögerte nicht und nahm sich der Debatte an. Und natürlich mussten die anderen Parteien nachziehen. Seither schreit es „Asyl-Chaos" von allen Zeitungsseiten und dass man die (verdammt noch mal irrationalen) Ängste in der Bevölkerung ernst nehmen müsse, beten mittlerweile auch CVP (Kein Bargeld mehr für Flüchtlinge!) und FDP nach. Alle anderen Themen, ob Steuern oder AHV oder bedingungsloses Grundeinkommen oder Wohnungsknappheit oder Lohn-Gleichstellung? Verpufft, vertagt, vergessen.

Und wie geht es weiter? Wird sich die Diskussion noch ändern? Oder ist damit der Erfolg der SVP bereits gesichert?Aktuelle Wahlbarometer gehen zwar davon aus, dass die SVP trotz Asyl-Debatte kaum bis gar nicht zulegen wird. Dennoch werden zumindest bis zum Wahltag Blocher & Co. am lautesten zu hören sein.

Gewinnen, so wird prognostiziert, könnten in erster Linie die FDP, verlieren Grüne, Grünliberale und BDP. Denn das ist das Schöne an unserem Konkordanz-System: Es kann noch so giftig gehetzt werden und der Willy kann noch so bellen: Erdrutsch-Siege gibt es in der Schweiz trotzdem nie. Gerade bei heiklen Themen wie dem Asylwesen hingegen kann ein Parlamentssitz mehr oder weniger im richtigen Lager entscheidend sein. Für Sachgeschäfte wie für die Bundesratswahlen im Dezember.

Mit Daniel über Listenverbindungen diskutieren? Twitter: @kissi_dk

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Titelbild von Wikipedia | Dodo von den Bergen | CC BY-SA 3.0