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Fleischskandale und Massentierhaltung

Clemens Arvay weiß, was an deinen Eiern faul ist

Der Autor Clemens G. Arvay gibt einen Tipp ab, welcher Lebensmittelskandal wohl der nächste sein wird. Außerdem erklärt er, wie du dich ohne schlechtes Gewissen ernähren kannst.

Die Lebensmittelindustrie wurde in den letzten Wochen kräftig auf den Kopf gestellt: Pferd in der Wurst, Bio-Eier sind in Wirklichkeit gar nicht Bio – es wäre nicht verwunderlich, wenn bald heraus käme, dass die Bauern ihre Äcker mit Energy Drinks bewirtschaften.  Bei Tiefkühllasagnen um 2 bis 3 Euro sollte es eigentlich logisch sein, dass darin nicht unbedingt das feinste Rinderfilet enthalten ist. Es ist eine Tatsache, dass der Preis von Lebensmitteln für viele Menschen nach wie vor das Kaufkriterium Nummer Eins darstellt. Aber knapp dahinter kommt gleich der Gesundheits/Natur/Genuss-Aspekt. Mann muss nicht Hegel sein, um da einen gewissen Gegensatz zu erkennen. Weil aber die Lebensmittelkonzern an unsere Kohle wollen, heißt die Synthese ganz einfach Betrug. Vertraue niemandem über 30, und schon gar nicht, wenn er dir von einer Lebensmittelwerbung entgegenblickt.

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Ich habe mich mit einem Typen getroffen, der mit seinem Trachtenjäckchen und eigenwilligen Bart aussieht, wie ein Apfelsaft trinkender, junger Hippie von der BOKU, in Wirklichkeit aber wesentlich mehr auf dem Kasten hat, als alle Apfelsaft-trinkenden Hippies, die wir kennen. Anstatt sich den ganzen Tag Internetpornos anzusehen und Ofen zu rauchen, schrieb er nämlich gleich zwei Bücher über die Lebensmittelindustrie. Und weil sich - vor allem aufgrund der aktuellen Lebensmittelskandale - zum Glück gerade einige Menschen für das Thema interessieren, wird sich sein aktuelles Buch „Friss oder Stirb“(Ecowin Verlag), für das er landwirtschaftliche Betriebe in ganz Europa besucht hat, wohl auch nicht schlecht verkaufen. Clemens G. Arvay erzählte mir die aktuelle Lage der Dinge aus seinem Blickwinkel:

Clemens G. Arvay bei der Präsentation seines neuen Buches

Hallo Clemens. Angesichts der letzten Skandale fragen sich wohl viele Menschen, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Was ist deine Erklärung dafür?

Also ich würde sagen, dass wir es da nicht mit Einzelfällen zu tun haben. Die Skandale, die da auf uns hereinprasseln, sind letztendlich Spitzen von Eisbergen. Ich denke außerdem, dass diese Skandale nicht unser größtes Problem sind. Wenn kein Pferdefleisch in der Lasagne aufgetaucht wäre oder es in Deutschland keinen Bioeier-Skandal gegeben hätte, dann wäre ja nicht alles in Ordnung. Das sind einfach nur Symptome einer völlig außer Rand und Band geratenen Lebensmittelindustrie. Diese Industrie gestaltet ihre Warenflüsse und Produktionsketten nur noch nach ökonomischen Aspekten anstatt nach ökologischer Sinnhaftigkeit oder vielleicht sogar ethischen Maßstäben. Es geht eigentlich schon lange nicht mehr darum, die Menschheit zu ernähren, sondern nur ums Geld verdienen. Deshalb werden noch viele Skandale auf uns zukommen. Ein heißer Tipp wären da zum Beispiel resistente Keime im Bio-Putenfleisch. Weil in der Putenmast  auch im Biobereich sehr viele Antibiotika verwendet werden.

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Bringen diese Skandale die Zustände der Lebensmittelindustrie dauerhaft in die Köpfe der Konsumenten oder werden sie schnell wieder vergessen sein?

Ich glaube, dass das Bewusstsein für Lebensmittel und die Problematik im Moment sehr hoch ist. Aufgrund der Dichte von Skandalen, werden wir das nicht so schnell aus unserem Bewusstsein streichen. Ich glaube einfach nicht an die Unmündigkeit der Konsumenten, sondern eher daran, dass sich immer mehr Menschen ernsthaft in dieses Thema einmischen werden. Eine Mündigkeit der Konsumenten basiert allerdings immer darauf, dass sie auch ihre Informationen bekommen. Solange sie von der Werbung eingelullt werden und nicht die Information bekommen, aufgrund derer sie ihre Entscheidungen treffen können, wird sich natürlich nichts ändern.

Kommen wir zu deinem aktuellen Buch. Wie bist du bei der Recherchereise dafür vorgegangen? Ich kann mir vorstellen, dass die Betriebe über deinen Besuch nicht gerade erfreut waren.

Ich bin in die Supermärkte und Diskonter gegangen und habe mir dort die verschiedenen Betriebsnummern und Codes der Produkte abgeschrieben. Aufgrund dieser Codes habe ich sie dann zurückverfolgen können und bin einfach direkt zu den Produzenten und den Handelsfirmen gegangen. Die haben mich eigentlich alle rein gelassen. Mein Vorteil dabei war, dass ich kein Journalist bin, sondern Agrarbiologe. Ich bin also vom Fach und die Alarmglocken läuten bei denen nur, wenn Journalisten kommen. Sie haben nicht damit gerechnet, dass ich auch journalistisch tätig bin. Natürlich ist das jetzt, nach Veröffentlichung des Buches, für mich vorbei. Die Chance, jetzt noch in die Industrie rein zu kommen ist Nahe bei Null. Nur In der kleinstrukturierten Landwirtschaft bin ich noch willkommen, weil die meisten dieser Bauern sogar derselben Meinung sind, wie ich.

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Hat sich die Situation in der Lebensmittelindustrie seit deinem letzten Buch verändert? Hast du schon was erreichen können?

Nein, das ist ja erst ein Jahr her. Die Strukturen sind dieselben. Die Praxis der Bündelung von Waren und die Zusammenfassung zu großen Warenmengen sind gleich geblieben. Aber im Bewusstsein in der Öffentlichkeit hat sich etwas verändert. Das ist in den letzten 6 bis 12 Monaten massiv angestiegen.

Was habe ich für Möglichkeiten, mich so zu ernähren, dass ich kein schlechtes Gewissen haben muss und gleichzeitig im Rahmen meines  eher bescheidenen Budgets zu bleiben?

Die beste Möglichkeit – vor Allem für Menschen mit wenig Geld – ist die solidarische Landwirtschaft. Das ist der einzige Weg, Bio für alle zu haben und gleichzeitig der einzige Weg, dass sich das auch alle leisten können. Weil man die Preise bei dieser Form der Landwirtschaft sozial nach dem jeweiligen Einkommen staffelt. Es funktioniert tatsächlich, dass diejenigen, die viel verdienen, höhere Beträge geben und die, die weniger verdienen, auch weniger zahlen. Solidarische Landwirtschaft bedeutet nicht nur Solidarität der Konsumenten untereinander, sondern auch Solidarität mit den Bauern, die vom Zwang des Wachsens oder Weichens befreit werden, weil man nämlich ihre Arbeit finanziert und nicht das Produkt, das man ihnen abkauft. Das habe ich im Buch ziemlich detailliert beschrieben, weil es für mich die absolute Königsdisziplin der zukünftigen Lebensmittelversorgung darstellt. Rechnet man trotzdem in Preisen pro Einheit, so ist vor allem im Bereich Gemüse bei solchen Formen der Kooperation das Produkt letztlich billiger als im Supermarkt. Natürlich gibt es auch Zwischenstufen zwischen Supermarkt und solidarischer Landwirtschaft. Hier wären vor allem regionale Biomärkte und Bauernläden zu nennen, die wir wieder stärken und unterstützen sollten.

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Kannst du kurz auf deine Begriffe „Ernährungssouveränität“ und „Lebenmitteldemokratie“ eingehen?

„Ernährungssouveränität“ ist das Recht der Konsumenten, selbst mitzubestimmen, wie ihre Nahrung produziert und auch vermarktet wird. Da gibt es keinen Platz für irreführende Werbung. Es handelt sich um eine Form von Konsumentendemokratie, bei der wir selber mitbestimmen können. Um das zu erreichen, müssen wir uns mit den Produzenten zusammenschließen und die Verschleierungstendenz des Handels umgehen. Dafür brauchen wir Bauern-Kooperativen, die eigene Läden betreiben, denn es macht ökologisch auch keinen Sinn, wenn jeder Mensch direkt zum Bauern fährt, um einzukaufen. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Wirtschaftsgemeinschaften oder Lebensmittelkooperativen zwischen Produzenten und Konsumenten zu gründen.

Heißt das, du würdest dir am meisten Veränderung auf Seiten der Distribution wünschen?

Strukturelle Veränderungen sind am Wichtigsten. Diese offensichtlichen Machtinteressen des Handels müssen ausgeblendet und überwunden werden. Wir benötigen eine sinnvolle Bedarfsproduktion, die möglichst dezentral wirkt. Die Distanz zwischen Konsumenten und Produzenten muss verkürzt werden und soll nicht mehr so abstrakt und intransparent sein wie derzeit.

Was geht jetzt eigentlich mit all den Biozertifikaten ab? Können wir denen noch irgendwie vertrauen?

Ich denke, die Schwarz-Weiß-Malerei zwischen „Bio - immer gut“ und „Konventionell - immer schlecht“ kann man inzwischen vergessen. Ich habe auch zahlreiche Ökobauern getroffen, die zustimmen, dass man in der konventionellen Landwirtschaft zum Teil sogar bessere Betriebe sieht. Zum Beispiel gibt es bei der Tierhaltung teilweise bessere konventionelle Betriebe, als industriell arbeitende Biobetriebe.
Dass diese Schwarz-Weiß-Malerie nicht mehr angebracht ist, erkennt man ja an dem Fakt, dass man mittlerweile im Supermarkt kein einziges Ei mehr bekommt, das nicht von einer Henne stammt, die am Fließband auf die Welt gekommen ist. Männliche Kücken werden bei dieser Art der Produktion sofort getötet. In der Fleischindustrie sieht es übrigens auch nicht anders aus. Um auf die Biozertifikate zurück zu kommen: Wir haben in Österreich einen Zertifizierungsmarkt. Das heißt, es gibt private Zertifizierungsunternehmen und keine unabhängigen, staatlichen Kontrollen. Wenn ich als Produzent also mit meinem Kontrolleur nicht einverstanden bin, kann ich das Zertifizierungsunternehmen einfach wechseln. Da müsste meiner Meinung nach der Staat eingreifen und wirklich objektive Kontrollen durchführen.