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Das Theater am Neumarkt verteilt Schweineglieder in ganz Zürich!

Wer Aas nicht mag, wird an der Eröffnungsfeier des „Oh Markt/No Markt" traumatisiert. Wir meinen das positiv. Und sowieso: Man kann tanzen!

Foto von Caspar Urban Weber

Theater ist diese Institution, die du nicht besuchst. Theater ist Theater ist Theater. Brecht ist Brecht, Dürrenmatt ist Dürrenmatt. Jeder, der nicht Gymnasiallehrer ist, erhielt mit der obligatorischen Schulzeit schon eine Überdosis von Dürrenmatt-Stücken. Trotzdem setzen viele Theater auf die ewig gleichen Klassiker. Darum gehen vor allem Gymnasiallehrer ins Theater—also Leute, die sowieso das ganze Leben lang im Drei-Jahres-Takt dieselben Übungsblätter austeilen und dieselben Dinge erzählen. Richtig? Falsch? Vielleicht—vielleicht jetzt nicht mehr! Seit dieser Spielzeit tut das Theater am Neumarkt alles dafür, aus der Kulturbürger-Komfortzone rauszukommen.

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Das ist in der Location richtig, denn immerhin wurde im heutigen Theater 1921 die Kommunistische Partei Schweiz begründet. Immerhin fanden hier in den 50ern die einzigen Gay-Massenevents) der Welt statt. Das Theater am Neumarkt ist kein Ort für L'art pour l'art. Laut Dramaturgin Inga Schonlau versteht sich denn der „Neumarkt" auch ganz klar als öffentlicher Raum. Als Raum, der vom Niederdorf aus die auf Touris optimierten Niederdorf-Läden hinterfragt. Als Raum der Debatte. Als Raum, an dem die Stadt lebt und vibriert.

Foto von Federico Borghi

Wenn mich das Programmbuch auch verwirrt, weil es ein „Sie" anspricht, das in meinem „Du"-gewöhnten Studentenhirn für neuronale Kurzschlüsse sorgt, bricht das Theater am Neumarkt ernsthaft mit der Klassiker-Recyclingseuche der Theaterwelt: Der neue Themenschwerpunkt Oh Markt/No Markt ist in Zeiten von gigantomanischen Hafenkränen nicht nur für Roger Köppel relevant: Wie viel Markt erträgt Kunst? Wie viel Markt braucht Kunst? Ist Kunst sowieso nur ein Bazar voll Quasi-Pornografie und Jeff Koons-Ballonpudel? Fragen, die als Fragen ehrlich gemeint sind.

Foto von Claire L. Evans

Das Stück Europaallee haut den hingeklotzten Glasblocks gleichen Namens das Creative Director-Sprech um die Ohren. Europaallee urteilt nicht, aber reflektiert soweit, dass uns Young Urban Professionals mit Shabby Chic-Fetisch unwohl wird. Unwohl, weil es uns trifft. Unwohl, weil es weh tut, wie Theater eben wehtun sollte. Europaallee läuft ab jetzt bis und mit Juni.

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Aber richtig los mit Oh Markt/No Markt geht es erst diesen Samstag an der Eröffnungsparty. Die Marktverweigerung beginnt schon auf dem Neumarktplatz. Ab 17 Uhr bauen OrtReport und meier/franz Marktstände, die idealerweise im Bau bleiben: No Markt. Wer vorbeikommt, darf an den Ständen mitbauen, wirken, sich austoben. Nach dieser Aufwärmphase für Bob der Baumeister-Fans kann ab 18 Uhr die unverkäufliche Kunst der One Hour Gallery besichtigt werden. Vielleicht ist das die Möglichkeit für alle Kaffeekoch-Praktikanten, auch mal auf Miesmuschel-Galerist zu machen?

Foto von Roland ZH

Danach wird es mit Urban Boneing von Club Real wirklich, wirklich übel. Bei Urban Boneing denken 90 Prozent von euch an Sportficken in Altbau-Wohnungen. Das ist nicht gemeint; der unaufmerksame Leser beachte das Extra-E. Urban Boneing ist der hässliche Aasfresser-Bruder von Urban Gardening: Schweineknochen und -innereien werden in der ganzen Stadt gesät.

Erst zerlegt ein Metzger im Theatersaal ein Schwein. Publikum und Performer vergraben die Schweineglieder dann gemeinsam in der ganzen Stadt. An einem anderen Event werden Hobbyarchäologen die Knochen wieder ausgraben dürfen—wenn die Stadtfüchse den menschlichen Aasfans nicht zuvorkommen.

Foto von Tina Vance

Nach so viel prickelnden Traumata braucht man Wochenende. Kunstanspruch und Katharsis sind gut und recht, aber immerhin ist Samstagabend! Ab 21 Uhr 30 wird der Theatersaal mit Zombocombo und DJ Evangelos zum Dancefloor. Laut Dramaturgin Inga Schonlau erwecken Zombocombo gar Dionysos zum Leben. Ich freue mich auf ein Symposion wie es sich der junge Nietzsche in feuchten Träumen gewünscht hat. Es wird getanzt, gestampft, gefeiert wie seit dem Fall von Troja nicht mehr. Wer genug trinkt, um alles Erlebte zu verarbeiten, kann nach überlebtem Kater direkt an die nächste Vorstellung.

Eröffnungsparty Oh Markt/No Markt: 10. Mai, 17.00-02.00

Europaallee: 07./15./21./23./29./30. Mai. Weitere Vorstellungen im Juni.