Der Fliesentisch ist der heimliche Hauptdarsteller im „Unterschichten-Fernsehen“

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Alle Jahre wieder werden wir von einem fröhlich duzenden schwedischen Möbelgiganten mit dem typisch quadratischen Katalog im Postkasten zwangsbeglückt. Versteht mich nicht falsch—ich mag IKEA und hab dieses Jahr sogar meine ganze Küche auf Basis der blaugelben Globalisierer komplett neu ausgestattet. Und erst mein PAX-Kasten, spitze! Kötbullar hingegen, nein danke. Aber ich schweife ab.

Als ich dann an einem freien, faulen Wochentag mal so durchs typische Frühnachmittags-Trashfernsehen zappte, fiel mir ein Designklassiker der anderen Art auf; ein Möbelstück, das wahrscheinlich in mitteleuropäischen Haushalten noch verbreiteter ist als der LACK Tisch oder das BILLY Regal: der gute altdeutsche Fliesentisch, seit gefühlten 25 Jahren treuer Wohnbegleiter der stolzen Einrichtungs-Unterschicht. Auf der Suche nach den Ursprüngen dieser Möbel-Monstrosität wurde ich auch schnell im Internet fündig, und es eröffnete sich mir ein schier unerschöpflicher Quell an wunderschöner Unterhaltung.

Allen voran gleich mal das Deutsche Fliesentischmuseum im Internet. Ein gewisser Dirk hat hier liebevoll ein paar großartige Stills aus bekannten deutschen TV-Formaten zusammengetragen, hier finden sich für den Einsteiger in den Fliesentischkosmos auch schon die wesentlichen Kriterien. Generell gilt: je niedriger die Fliesenanzahl und je kleiner der Tisch, umso uninteressanter. Hier lässt sich anscheinend auch innerhalb des deutschen White Trash noch zwischen Besserverdienern und Prolls unterschieden. Interessant auch zu beobachten ist die verstärkte Präsenz von Utensilien zum Selbststopfen von Zigaretten.

Ein interessantes Phänomen des Raucher-/Nichtraucherkriegs ist dadurch am Rande zu beobachten: der oft beschriebene Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Nikotinabhängigkeit ist so stark ausgeprägt, dass selbst der letzte Hartz IV-Schnorrer mit Fliesentisch daheim bei Mutti lieber den miesesten Dreckstabak in Do-it-Yourself-Methode zu Kippen bastelt, anstatt sich die knappe Kohle für was besseres zu sparen. Wenigstens besseren Fusel. Vom Thema Gesundheit mal ganz abgesehen, denn der durchschnittliche Fliesentischbesitzer ist zumindest leicht übergewichtig, könnte ein umfassendes Service beim Zahnarzt vertragen und ernährt sich vornehmlich von billigsten Mikrowellen-Fraß, letzterer meist liebevoll zwischen Rauchutensilien, Softdrink-Flaschen und Haustierhinterlassenschaften verteilt. Und ironischerweise läuft meist gerade auf dem Großbildschirm im Hintergrund eines jener Vormittags-TV-Formate, das ebendiese Gesellschaftsschicht so gerne vorführt wie ein Wanderzirkus dressierte Affen. So wie ich hier auch, bemerke ich gerade.

Doch Obacht: Nicht jeder Fliesentisch-Besitzer entspricht dem von mir hier gezeichneten Assi-Bild. So ist der Fliesentisch auch sehr beliebt bei Senioren, bei denen er dank der unbestritten robusten Qualität und der Optik optimal zum ebenfalls sehr beliebten Eiche Rustikal-Design passt—das konnte ich als regelmäßiger Ferienhausmieter schon oft feststellen. Und ich schäme mich nicht hier zu gestehen: Ja, sogar meine Oma hatte einen! Eigentlich wollte ich an dieser Stelle noch ein paar Meinungen zum Ästhetik-Verbrechen Fliesentisch von befreundeten Designern, Art Direktoren und Agenturchefs einholen. Ich hab es aber dann gelassen. Zu hoch ist mir das Risiko, dass bei entsprechender Medienpräsenz solcher Opinionleader zu diesem Thema nach allen Bobo- und Hipster-Trends der letzten Jahre eventuell noch der Fliesentisch zu einem ähnlich „ironischen" Modetrend verkommt wie Hornbrillen und Vollbärte. Dann müsste ich schon bald die Kombination von Familie Putz und Fliesentischen im Werbefernsehen ertragen—und das wäre der wirklich ausschlaggebende Grund, so wie einst Elvis in den Fernseher zu schießen.

Auf Twitter findet ihr das ganze Spektakel unter #fliesentisch.