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DIE PORTRÄT AUSGABE

Der König von Avalon

Vor acht Jahren rief ein Schweizer Unternehmer seinen eigenen Staat aus—jetzt ist er nach Liechtenstein geflüchtet.

Foto von René Ruis.

Wenn es etwas gibt, das nichts mit Anarchismus zu tun hat, dann ist das Verpackungskarton. Ausser man heisst Daniel Model. Der studierte Ökonom leitet im Thurgau nicht nur ein Verpackungsunternehmen mit rund 3.000 Angestellten, sondern auch seinen eigenen Staat namens „Avalon". Bis Anfang 2014 lebte der Multimillionär nah an seinem Firmen- und Herrschaftssitz. Doch vor Kurzem ist er nach Liechtenstein umgezogen. Denn in Vaduz (Liechtenstein) wird er pauschalbesteuert. In Salenstein (Schweiz) musste er den normalen Steuersatz zahlen. Model ist zwar superreich, aber auch Schweizer und darum von der Pauschalbesteuerung in der Schweiz ausgeschlossen. Ganz in idealistischen Herrschergefi lden, begründet er seinen Umzug folgendermassen: „Es ist nicht allzu weit weg, man muss keinen Pass zeigen und die Leute sind nett. Die Pauschalbesteuerung setzt dem gläsernen (und deshalb zerbrechlichen) Bürger eine wohltuende Grenze."

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Daniel Model ist nicht überrascht, wenn man ihn deshalb einen unsolidarischen Exzentriker nennt. In einem Diskussionspodcast mit dem St. Galler SP-Politiker Gallus Hufenus ärgert er sich darüber, wie die französischen Medien über Gérard Depardieu berichtet haben. Ähnlich wie Model floh Depardieu Ende 2012 nach Belgien, um Steuern zu sparen. Das kam in der Öffentlichkeit nicht so gut an. Doch während der Schauspieler nur vor dem Finanzamt floh, führt Model bei seiner Auswanderung grundsätzlichere Überzeugungen ins Feld: Er hat den Sozialstaat satt! Nicht umsonst zählt er Neoliberalismus-Übervater Friedrich August von Hayek und Ayn Rand, die Lieblingsphilosophin der amerikanischen Tea-Party, zu seinen Vorbildern. Für Model hat der Schweizer Sozialstaat „den Charakter eines Ungeheuers". Darum will er ihn abschaffen. Laut dem Unternehmer belohne die Schweiz „das Unerwünschte wie Faulheit und Krankheit und bestraft das Erwünschte wie Leistung und Erfolg. Es ist eine geeignete Methode, die blökenden Schafe auf den Weg in die Knechtschaft zu führen."

Dass es je zu einer Abstimmung über die Abschaffung des Sozialstaats kommen wird, hält er aber nicht für wahrscheinlich. Das mache allerdings nichts, meint er, denn der Sozialstaat werde sowieso untergehen. Schliesslich handle es sich dabei um „eine real existierende Utopie, die eines Tages an der Wirklichkeit scheitern wird". Bis in die Mitte der Nullerjahre waren Models Ansichten nur eingefl eischten Fans von Verpackungsmaterial bekannt. Das änderte sich im Frühling 2006. Damals rief Model vor verdutzten Thurgauer Politikern seinen eigenen Staat aus. Seine Tochter schlug vor, ihn „Avalon" zu nennen. Sie las gerade den Fantasy- Roman Die Nebel von Avalon . Der Name hat also, entgegen einem Bericht der Wochenzeitung WOZ, nichts mit dem Dritten Reich zu tun. Etwa sechs Jahre lang existierte Models Staat nur theoretisch. Der Ökonom arbeitete mit den Neo-Dadaisten des Cabaret Voltaire zusammen und behauptete, es sei „wahnsinnig einfach, einen Staat zu gründen. Im Wesentlichen handelt es sich um einen performativen Akt". Was er damit meint, erklärt er auf unsere Nachfrage so: „Der wahre Einzelne ist als Mikrokosmos auch ein Staat.

Diese scheinbar banale Tatsache kann die Wirkung eines Meilensteins in der Menschwerdung haben." Doch allen Interviews und Happenings zum Trotz konnte Models Staatsneugründung ihre gewünschte Wirkung nicht erreichen. Vielleicht machte er deswegen vor zwei Jahren den Schritt zum Territorialstaat, als er in Weinfelden einen Palast bauen liess. Der „Modelhof"—Staatssitz von Avalon—provozierte kaum Reaktionen. Sieht man von den Pro-forma-Protesten von Lokalpolitikern wie der FDP-Kantonsrätin Heidi Grau-Lanz mal ab, die Model vorwarf, unsolidarisch zu sein. Ein paar Homestorys wurden geschossen, mehr nicht. Grosses Echo gab es nicht einmal, als Model eine eigene Währung einführte, auf der sein Porträt geprägt ist. Das erstaunt, denn Models Ideen sind so abwegig, dass sich diverse Boulevardzeitungen auf den Thurgauer hätten stürzen müssen. Sein Projekt ist zudem ernst gemeint. Er hofft, dass sein Palast „einige Jahrhunderte" stehen wird. Models Meinung nach sollen Schweizer Gemeinden die Möglichkeit haben, per Mehrheitsbeschluss aus der Schweiz auszutreten. Und wenn sich Gemeinden (oder Kantone und Staaten) Avalon anschliessen wollen, würde Model sie mit Freude aufnehmen, sagt er. Falls du jetzt Lust hast, Models Staat beizutreten, wirst du dich ziemlich alleingelassen fühlen. Auf der Webseite des Modelhofes gibt es keinen Button für Green Cards und Einbürgerungsanträge.

Das ist ganz im Sinne von Models libertärer Philosophie. Wer Avalonianer werden will, muss selbst sehen, wie er das zustande bringt. Wenigstens ist es nicht ausgeschlossen, dass Model es Interessierten in Zukunft leichter macht. In früheren Interviews war von einem „Eignungstest" die Rede, zu dem er sich bisher aber nur verhalten äussert. Es scheint, dass es im Test hauptsächlich darum geht, von Model gemocht zu werden—und dazu muss man leistungsbereit und staatsskeptisch sein. Eine Zeit lang bezeichnete Model Avalon als Meritokratie, als Herrschaft der Leistungsträger. Nietzsche hätte ihm gleich ein Bier spendiert, wenn Nietzsche nicht ein Mensch gewesen wäre, der zum Lachen (und für sein tägliches Klistier) vermutlich in den Keller ging.

Ich bin aber durchgefallen. Als ich ihn frage, ob es nicht unsolidarisch sei, dem Schweizer Staat keine Steuern zu bezahlen, obwohl er doch dort studiert habe, fand er die Frage „sehr deplatziert". Ich fi nde es hingegen deplatziert, dass Daniel Model seinen Staat neuen Bürgern nicht öffnet. Denn wenn dieser tatsächlich „kein ‚System', sondern eine Kultur, die es auf die Menschenentwicklung abgesehen hat", darstellt, wäre ich gerne dabei. Auf meine Nachfrage, wie viele Einwohner Avalon eigentlich habe, antwortet Model: „Die Einwohnerkontrolle ist permanent geschlossen."