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Der Mann, der ein Labyrinth gebaut hat

Josep Pujiula ist der Architekt und Erbauer eines psychedelischen Labyrinths im Hinterland Kataloniens.

Ich stehe auf dem Gipfel eines bewaldeten Berges im Randgebiet von Argelaguer im Norden Kataloniens. Genauer gesagt stehe ich auf der 70. Stufe eines 35 Meter hohen Turms, gebaut nur aus abgefallenen Ästen und Maschendraht. Auf meiner Hose ist bis zu den Knien Schlamm. Endlich steckt der 74-jährige Josep Pujiula etwa drei Meter über mir seinen Kopf raus. Josep ist der Architekt und Erbauer eines psychedelischen Labyrinths im Hinterland Kataloniens. In den letzten vierzig Jahren hat er das gesamte Ding mindestens drei mal gebaut, abgerissen und neu aufgebaut. Als wir uns das erste Mal getroffen haben, guckt er mir in die Augen und grinst: „Ich wette, du hast nicht die Eier, das ganze Teil durchzustehen."

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Nach acht Jahren Arbeit ist Josep nah dran, den sechsten Turms der Anlage fertig zustellen. Es ist der finale Touch an diesem ausuferndem Komplex von Hütten, Höhlen, Tunneln und Wegen, der unter den Einheimischen bekannt ist als „Schloss Argelaguer", „Joseps Labyrinth", „Can Sis Rals Park" oder vielleicht auch einfach „Dieser beknackte Ort da an der Autobahn".

Josep lädt mich ein, bis ganz nach oben zu klettern, um die Aussicht zu genießen und—das erzählt er mir auf halbem Weg—um zu sehen, ob es hält. Verdammt witzig, nur dass die ganzen anderen Türme bei der kleinsten Brise wie bescheuert wackeln.

Von Turm aus kann ich die kilometerlangen Eingeweide aus Holz sehen, in denen ich die letzten zwei Stunden verbracht habe. Nur etwa einer von zehn Besuchern habe die Geduld für den gesamten Kurs, erzählt mir Josep, normalerweise versuchen sie ihre eigenen Schritte zurückzuverfolgen, schreien um Hilfe oder trampeln sich ihren Weg nach draußen. Und wenn du Übergewicht hast, bist du am Arsch. Einige Stellen sind für Fettleibige einfach nicht zu überwinden.

Der Irrgarten selbst ist gespickt mit esoterischen Installationen: mit Hirschfell überzogene E.T.s umstellt von hölzernen Kruzifixen und alten Shotguns und Straußenschädel mit Knöpfen als Augen.

Das ist als ob Takashi Hobayashi Thunderdome dekoriert, sage ich zu Josep. „Ich hab keine Ahnung, worüber du redest, aber ab und zu hab ich Tarzan in diesen Heimvideos gespielt, die ich hier gedreht habe. Ich hab was aus Dachshaut angezogen, bin zum Fluss gelaufen, hab mir einen Karpfen gefangen und ihn dann roh oben auf einem Baum gegessen. Wir haben sogar ein Kind hier aus der Nachbarschaft dazu gebracht, Tarzans Sohn zu spielen. Ich erinnere mich noch genau, wie er von einer 30 Meter hohen Brücke in einen Fluss gesprungen ist."

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In einem anderen Film rennt Josep auf ein Fußballfeld, wo ein paar Leute eine Demo für irgend etwas abhalten, und schreit: „Gottverdammte menschliche Zivilisation! Sie zerstören die Wälder!" Josep hat mir das leider nicht gezeigt, aber ich wünschte wirklich, er hätte. „Einmal habe ich einen Ziegenbock gebändigt", fährt er fort. „Ich hab ihn an den Eiern gepackt, auf den Boden geworfen und geschrieen ‚Ich bin hier der Boss!'. Ich glaube ehrlich gesagt, dass er das toll fand, er lief mir danach überall hinterher und wedelte mit dem Schwanz. Leider wurde er aggressiv. Eines Tages griff er eine Frau an, die unsere Eier stahl. Sie musste ins Krankenhaus und ich musste die Ziege opfern."

Ich erfuhr von diesem Platz von ein paar Punks, die hier im Urlaub waren, LSD schluckten und Panikattacken hatten. „Ich hab die Schnauze voll von Pillenfressern und Gangmitgliedern wie denen", sagt Josep. „Eine Bande von Verrückten. Die klauen alles, was alt aussieht, lassen die Tiere frei … Die haben sogar meinen Esel geklaut; wir fanden ihn ein paar Kilometer die Straße runter wieder, angebunden an einen Laternenpfahl." „Der Kragen platze mir dann, als ich sechs Typen dabei erwischte, wie sie ein Feuer aus einer Bank und Teilen von einer der Hütten machten. Ich rannte hin und versuchte, noch etwas zu retten, und einer von ihnen schlug mich. Da habe ich beschlossen, dass es endgültig genug ist. Ich hab alles abgerissen und über drei Monate lang alles verbrannt."

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Das war vor ein paar Jahrzehnten. Aber die neueste Umgestaltung fand vor neun Jahren statt, als die lokalen Behörden ihn davon in Kenntnis setzten, dass die Autobahn mitten durch seinen prachtvollen Vergnügungsbau geleitet werden sollte. Josep, ein pensionierter Mechaniker, baute es Ast für Ast ab und ein paar Meter weiter einfach wieder auf.

„Nicht mal ich selbst weiß, was ich hier tue. Die Erde hat hier das Sagen, sie entscheidet. Manchmal glauben die Leute, ich sei eine Art Schamane oder dass ich auf so einer göttlichen Mission sei, aber ich habe glaube einfach in die Natur. Es passiert einfach so: Ich will ein kleines Häuschen bauen, dann noch was mehr und dann kann ich nicht mehr aufhören. Ich hab auch nie irgendwelche Pläne gezeichnet. Ich kam früher hier her als ich noch klein war, zum Spielen, Angeln oder Holzsammeln. Mit der Zeit habe ich eine Motorcrossbahn gebaut, habe hier Pferde geritten und ein Amphibienfahrzeug aus einer Vespa gebaut, dann einen Teich angelegt, holte mir ein paar Ziegen, Enten und Pferde, baute ihnen Ställe zum Wohnen und urplötzlich hatte ich ein ganzes Dorf erschaffen. In den letzten acht Jahren habe ich den Irrgarten gebaut, damit es witziger ist und schwieriger, zu den Hütten zu kommen." „Ich sehe diesen Platz als Gradmesser für die Gesellschaft", erzählt er mir, während er mich durch die Museumshöhle unterhalb des Labyrinths führt. „Wenn wir auf diesen Ort hier—der uns allen gehört—nicht aufpassen können, dann sind wir am Arsch. Ich kann verstehen, warum die ‚Indignados' oder die Anti-Kapitalisten gegen den Staat oder die Banken demonstrieren wollen—sie haben Gründe solche Sachen kaputt zu machen. Aber wenn hier jemand her kommt und es einfach nur so zerstört… worüber sind die so sauer?"

Am Eingang der Krypta, die er für seinen eigenen Tod gebaut hat, verabschiede ich mich von Josep, dem Architekten der psychedelischen Schlösser. Auf dem Weg nach draußen sehe ich ein handgeschriebenes Schild: „Hier liegen begraben meine Fantasien und Träume. Aber nicht meine Eier, denn die kann mir nur der Tod nehmen.