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​Die Freizeitsöldner: Kriegspielen unter der Autobahn

Airsoft ist Krieg spielen mit 6mm-Projektilen und überraschend beliebt unter Pazifisten. Wir haben eine Anlage besucht, unendlich viel geschwitzt und Menschen in rosa Bunny-Kostümen getroffen.

Kriegsberichterstatter zu werden, war nicht unbedingt mein Kindheitstraum. Obwohl es sicher einer der spannendsten und wichtigsten Jobs ist, die man sich aussuchen kann, wie ja die Reportagen, die sie aus der Welt mitbringen, immer wieder zeigen. Mitten im Geschehen, an den Krisenherden der Welt, dort wo Gegensätze aufeinanderprallen und Politik mit anderen Mitteln fortgesetzt wird. Auf der anderen Seite jedoch hänge ich natürlich an meinem Leben und sehne mich nicht unbedingt nach dem schnellen Tod im bleihaltigen Klima irgendeiner Krisenregion.

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Insofern ergibt es natürlich auch Sinn, dass ich mich—meilenweit von jedem echten Krieg oder Krisenherd entfernt—an einem trüben Sonntagmorgen ins Auto gesetzt und durch eine enge Gebirgsschlucht auf den Weg zu einem Schlachtfeld gemacht habe, auf dem sich ein gewaltiges (fiktives) Gemetzel zutragen soll.

Airsoft, das ist Krieg spielen mit 6mm Plastikprojektilen, abgefeuert aus möglichst authentischen Nachbildungen echter Waffen, und wird von einigen Irren auch als Sport bezeichnet.

Zur Einstimmung jodelt John Fogerty „Bad Moon Rising" aus dem Autoradio, ganz im Stil von Kriegsfilmklassikern wie Apocalypse Now oder Full Metal Jacket. Nach einer kurzweiligen Fahrt durchs Nirgendwo biege ich schließlich rechts ab, wo mich ein schmaler Weg durch den Wald hinunter auf den Grund der Schlucht führt. Unten angekommen sehe ich zum ersten Mal ein Hinweisschild, das mich anleitet, den Bach über eine nicht übermäßig vertrauenserweckende Brücke zu queren; „Airsoftpark Tirol", steht darauf zu lesen. Wie gesagt, ich hänge an meinem Leben und bin kein großer Kriegsfreund. Gerade deshalb freue ich mich darauf, mir den Nervenkitzel der Kriegsberichterstattung relativ risikofrei, im Rahmen eines Airsoft-Spiels geben zu können.

Airsoft, das ist Krieg spielen mit 6mm Plastikprojektilen, abgefeuert aus möglichst authentischen Nachbildungen echter Waffen, und wird von einigen Irren auch als Sport bezeichnet. Doch noch ist alles ruhig, ich bin einer der ersten, die an diesem Morgen (es ist noch nicht mal acht Uhr) hierher gefunden haben. Ich sehe mich kurz etwas um, das Gelände liegt beinahe direkt unter der Europabrücke, der Brennerautobahn.

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Von Bauschutt gesäumte Ruinen, einige mit, einige ohne Graffiti, prägen das Bild. Ein ziemlich „abgewohntes" Haus dient als Garderobe. Gegenüber, abgetrennt durch einen mit Bierbänken und Panzersperren ausgestatteten Platz, dient eine Ansammlung von Baucontainern als „Kassa". Ich schaue auf die Uhr. Eigentlich wollte Gerry, ein Freund von mir und bisherige Hauptquelle in Bezug auf diese Airsoft-Geschichte, längst da sein. Ich gehe zu einem Mitarbeiter des Parks und frage, ob es eh okay wäre, wenn ich heute ein wenig fotografiere und eine Story für VICE darüber schreibe. Er verweist mich an den Chef der Anlage, Manuel, der gerade aus seinem Auto steigt. Dieser zeigt sich überraschend begeistert, ich hatte mit mehr Skepsis und verschwörerischer Geheimniskrämerei gerechnet.

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Während sich der Parkplatz zunehmend mit Kennzeichen aus Tirol, Deutschland, Italien und sogar der Schweiz füllt, warte ich weiterhin auf Gerry, den ich am Handy nicht erreiche. Nach einer Überdosis Koffein aus der Thermoskanne und einige Zigaretten später kommen schließlich Gerry, Mario und Consti über die Brücke gefahren, alle drei Mitglieder des Airsoft-Vereins S.P.O.R. (Superior Offensive Regiment). Man begrüßt sich, ich helfe beim Tragen der Ausrüstung und kriege meine Leihausrüstung, die mir der Verein dankenswerterweise für diesen Tag stellt. Tarnhose, Stiefel, Jacke, Weste, Helm und Schutzbrille werden angelegt, dann gibt's die Waffen. In meinem Fall eine Glock17 Pistole—dieselbe, die auch beim Bundesheer im Einsatz ist—und ein HK G36—das Sturmgewehr der deutschen Bundeswehr. Natürlich nicht die echten, versteht sich. Mario verteilt Akkus, mit denen die meisten Sturmgewehre hier betrieben werden. Pistolen hingegen feuern in der Regel mit Gas oder CO2-Kapseln. Die Magazine werden aufgefüllt, mit Bio-BBs, so nennt man die 6mm Kugeln aus Stärke, die hier verschossen werden.

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Plastikmunition ist verboten, weil sie nicht verrotten kann. Auch Menschen, die in ihrer Freizeit Krieg spielen halten also gerne ihre Umwelt sauber. Allgemein stelle ich bereits jetzt fest, dass hier vieles nicht so ist, wie ich es erwartet hatte. Zwar hatte ich die üblichen Vorurteile, die in der Regel mit Airsoft verbunden werden, durch meine Kontakte in die Szene bereits stark relativiert, dennoch wollte ich im Vorfeld nicht so recht glauben, dass es kein rechtes Übergewicht oder zumindest erhöhtes Aggressionspotenzial unter den Spielern gibt. Davon ist bis jetzt allerdings nichts zu bemerken. Auch das Bild vom reinen Männerhobby muss ich bereits vor dem ersten Spiel ablegen, dafür sind einfach zu viele Frauen anwesend.

Nach dem Umziehen geht es zuerst zur Kassa, wo mir der Chef eine Karte zum reduzierten Pressetarif verkauft und ich eine Haftungsausschlusserklärung unterschreibe. Dann geht's weiter zum „Chronen", so nennt man hier das Ausmessen der Schussenergie einer jeden Waffe mit einem Chronographen. Der maximal erlaubte Wert ist 420 fps (feet per second), erklärt man mir. Diese Maßnahme sei notwendig, weil viele ihre Waffen tunen, um Feuerrate und Schussenergie zu erhöhen. Wer den Test besteht, kriegt eine Markierung auf die Waffe und darf aufs Spielfeld. „Ab hier gilt strengste Schutzbrillenpflicht", betont der Spielleiter in seiner Eröffnungsansprache. So viele Regeln, die noch dazu derart streng exekutiert werden, hatte ich wirklich nicht erwartet. Nachdem endlich alles gesagt ist, werden zwei Gruppen gebildet, die an gegenüberliegenden Ecken des Geländes (sogenannte Spawns) Aufstellung beziehen und auf den Beginn des Spiels warten. Dann, endlich, ist es soweit.

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Ich hatte mir Airsoft bisher immer eher wie Braveheart vorgestellt, oben ohne mit martialischem Kampfgeschrei drauflos stürmen und alles niedermähen, was einem vor den Lauf springt.

Anpfiff, wie beim Fußball, doch das Gefühl, Teilnehmer eines Spiels zu sein, weicht im einsetzenden Kugelhagel schnell dem „Überlebensinstinkt", der mich ohne nachzudenken selbst in die tiefste Grube hechten lässt, um Deckung zu finden. Ich hatte mir Airsoft bisher immer eher wie Braveheart vorgestellt, oben ohne mit martialischem Kampfgeschrei drauflos stürmen und alles niedermähen, was einem vor den Lauf springt. Doch damit kommt man hier nicht weit, abgesehen davon, dass getroffen zu werden auch mit Schutzausrüstung schmerzhaft genug ist. Die erfahrenen Spieler erweisen sich als knallharte Taktiker, was mich als Laien zunächst stark überfordert. Es geht darum, eine Fahne in der Mitte des Geländes zu „erobern", also zu berühren und im Anschluss für eine bestimmte Zeit zu halten, um zu verhindern, dass jemand aus dem gegnerischen Team sie ebenfalls berührt.

Nachdem meine Gruppe die Fahne erobern konnte, lege ich mich mit drei anderen in einen Schützengraben unterhalb des Ziels in Deckung, um anstürmende Gegner ausschalten zu können, bevor sie das Ding erreichen. Leichter gesagt als getan. Meine Schutzbrille beschlägt so stark, dass ich kaum etwas sehe. Als ich einen olivgrünen Schatten auf die Fahne zustürmen sehe, versuche ich ungefähr in die richtige Richtung zu schießen—und habe Glück. Angriff abgewehrt, denke ich, doch die Freude darüber erleidet sofort einen Dämpfer, als ich an der Schulter getroffen werde. „Hit", rufe ich, strecke mein Sturmgewehr in die Höhe und gehe zurück zum Spawn, wo ich nun fünf Minuten warten muss, bis ich wieder aufs Spielfeld darf. Doch bevor es soweit ist, wird das Spiel auch schon abgepfiffen, mein Team hat gewonnen. Ich klatsche die von wildfremden Leuten entgegengestreckten Hände ab und gehe zurück zum Eingang des Geländes.

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Während der Spielleiter erklärt, dass nun zwei „Bomben" auf dem Feld platziert werden, welche jeweils von einem „Ingenieur" mittels Zahlencode entschärft werden müssen, um das Spiel zu gewinnen, sehe ich in der Menge plötzlich einen Typen in Wehrmachtsuniform, zwar ohne Hakenkreuz, sonst aber ziemlich authentisch. Nachdem so viele meiner Annahmen über Airsoft bereits widerlegt wurden, freut sich ein Teil von mir, endlich einen Hinweis auf rechtsradikale Gesinnung gefunden zu haben. Dieser muss jedoch unter dem um mich herum einsetzenden „Im nächsten Spiel alle auf die Luftwaffel!"- Getuschel gleich wieder verworfen werden. Wie mir auch später im Gespräch mit Park-Chef „Manu" bestätigt wird, kommen die Spieler aus allen möglichen Berufsgruppen, mit dem gesamten Spektrum politischer Tendenzen. Viele Polizisten kommen hierher, heißt es, aber auch alle möglichen anderen Leute. Letztens sei sogar ein Richter hier gewesen. 70-80 Leute kommen im Durchschnitt pro Spieltag, heute sind es aber über hundert. „Die Nachfrage steigt", freut sich der Chef.

Airsoft erfreut sich in letzter Zeit tatsächlich zunehmender Beliebtheit, zahlreiche Vereine werden gegründet und immer mehr einschlägige Fachgeschäfte sperren neu auf. Das bisher nur spärlich vorhandene Angebot an Outdoor-Airsoft-Parks erfährt daher regen Zulauf. Insbesondere deutsche Spieler kommen gerne ins nahe gelegene Tirol, da die gesetzlichen Regelungen in Österreich sehr viel liberaler sind, als bei den nördlichen Nachbarn. Trotzdem, für den Chef bleibt es ein Nebenjob, denn leben kann man von dem reinen Wochenendgeschäft nicht.

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Seit August 2013 wird auf dem Gelände, das schon eine Metallverarbeitungsanlage (so nannte man im 2. Weltkrieg die Munitionsfabriken), ein Kraftwerk und sogar ein Asylheim beherbergte, Airsoft gespielt. Unter der Woche stellt Manu das Areal auch gerne der Rettungshundestaffel für Trainingszwecke zur Verfügung. Was er noch besonders betonen möchte, sagt er, bevor ich das Thema anschneiden kann, das sei hier keine Ansammlung von Rechtsradikalen. Jeder sei willkommen und wer sich an die strengen Fairness-Regeln halte, werde auch gut aufgenommen, egal wer, oder woher. Offenbar ist sich die Szene der ihr entgegengebrachten Vorurteile durchaus bewusst, was meine Verwunderung über das mir entgegengebrachte Vertrauen umso größer werden lässt.

Die verschiedenen Spielarten mit meist selbsterklärenden Namen wie „King of the Hill", „3 Flag", „Bombenentschärfung", „Geiselnahme" oder „Schwammerl" (© Airsoftpark Tirol) sind zum größten Teil durch Games-Klassiker wie Counterstrike oder Battlefield inspiriert, was nicht wirklich überrascht. Hingegen erstaunt mich, als ich schließlich ein drittes Mal mitspiele, dass sich wirklich keinerlei Anzeichen von Aggressivität feststellen lassen. Niemand schreit, außer vielleicht die ein oder anderen Kommandos, keine Beschimpfungen, keine Amokläufe, vielmehr berechnendes Taktieren und höchste Konzentration. Auch ich selbst stehe viel zu sehr unter Strom (und Schweiß), als dass ich in irgendeiner Form emotional werden könnte. Die bereits oft gehörte Klage, Airsoft würde von der breiten Öffentlichkeit nicht als Sport anerkannt, kann ich inzwischen gut nachvollziehen. So viel Schweiß wie hier an diesem Sonntag fließt bei der österreichischen Fußballnationalmannschaft vielleicht in einem Jahr. Als untrainierter Neuling fühle ich mich durch die mit der Trillerpfeife angekündigte Mittagspause erlöst.

Nachdem ich meine mitgebrachten Sandwiches verputzt habe, nutze ich die restliche Pause dazu, mit anderen Spielern ins Gespräch zu kommen. Neben den allgegenwärtigen Klagen über einschlägige Vorurteile erfahre ich viel über Waffentechnik. Besonders wichtig ist den Spielern der Realismus. Pistolen und Gewehre, aber auch Granaten und Minen sind äußerlich zum Verwechseln nahe am Original, auch Handhabung und Gewicht der Waffen sollen Authentizität vermitteln. Ebenfalls ein großes Gesprächsthema sind die sogenannten „Highlander". Das sind Spieler, die einfach weiterkämpfen, wenn sie getroffen werden, anstatt „Hit" zu rufen und zum Spawn zurückzugehen. Als Unsterblicher macht man sich aber bei einem Spiel, das sich ums (simulierte) Töten dreht, naturgemäß nicht sehr beliebt.

Als das Ende der Mittagspause angekündigt wird, lege ich Schutzkleidung und Waffen ab und schnalle mir stattdessen die Kamera um. Im Kassa-Container kriege ich eine Warnweste, die mich auf dem Spielfeld als Zivilist ausweisen soll. Endlich echtes Kriegsberichterstatter-Feeling. Doch auch als Fotograf muss ich aufpassen, nicht zwischen die Fronten zu geraten, was sich schwieriger gestaltet als gedacht. Auf dem Programm steht „Geiselnahme", wobei die Aufmachung der Geiseln zeigt, dass man sich hier nicht immer allzu ernst nimmt. Sie erscheinen nämlich im rosa Häschen-Kostüm, wobei die Farbe gegen Ende der Befreiung unfreiwillig um einige Nuancen erweitert wird.

Als es schließlich dunkel wird und ich meine Weste zurückgebe, bin ich zwar müde, aber auf jeden Fall in der Lage, eine Story über Airsoft zu schreiben. Am Ende geht es mir wie jedem anderen, mit dem ich mich über Airsoft unterhalten habe: Am Anfang angewidert, am Ende angefixt. Und das, obwohl ich genau wie all die anderen der größte Pazifist bin und mir niemals vorstellen konnte, am Kriegspielen Spaß zu haben. In Wahrheit haben Airsoft-Spiele mit echtem Krieg zirka so viel zu tun wie Pornos mit Sex. Auf jeden Fall hat es Spaß gemacht. Und verdammt, ich werde es wieder tun.