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Die zweite Bewegung: Die Sieger des diesjährigen Akademikerballs

Die Proteste gegen den Akademikerball lösten im Vorfeld Angst und Sorge aus, Wien könnte eine Krawallnacht erleben. Doch es kam anders. Und die ultrarechten Burschenschafter haben einen ernstzunehmenden Gegner bekommen.
Titelfoto von Kurt Prinz

Dieser Artikel ist ein Gastkommentar von Manfred Klimek. Der Journalist, der unter anderem auch für Die Zeit und Brand Eins schreibt, liefert mit seinen Texten einen wichtigen Beitrag zur Diskussion und löst oft teils heftige Kontroversen aus—auch innerhalb unserer Redaktion. Dieser Beitrag spiegelt ausschließlich seine Meinung wider. Unsere komplette Berichterstattung rund um den Akademikerball 2015 findet ihr hier.

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Die Proteste gegen den Akademikerball lösten im Vorfeld Angst und Sorge aus, Wien könnte eine Krawallnacht erleben, wie sie in Hamburg oder Berlin Gang und Gäbe ist. Doch es kam anders. Und die ultrarechten Burschenschafter haben einen ernstzunehmenden Gegner bekommen: die Zivilgesellschaft, die zwei Bühnen bespielt.

„Gut ist´s gegangen, nix is gschehn." Das Spektakel um den so genannten „Akademikerball 2015" konnte die Erwartung einer gigantischen Randale nicht erfüllen. Die friedlichen Demonstranten waren zu zahlreich, der klein gebliebene Schwarze Block warf ein paar Sessel und Blumentöpfe, die Burschenschafter grinsten müde in die Kameras und die Polizei—das wohl die größte Überraschung—hat aus den Fehlern der letzten zwei Jahre gelernt und ging mit kräftiger Hand vor, ohne ihren Ruf breit zu beschädigen. Es war ein letztlich ruhiger Abend. Und verglichen mit Krawallen in Berlin oder Hamburg der gern zitierte „Lercherlschaß." Da ging es um den Opernball 1990 wesentlich härter zu. „Glücklich ist, der vergisst." Noch so ein österreichisches Sprichwort.

Und doch hat sich Maßgebliches getan an diesem Freitag. Denn es ist ein Gewinner auszumachen: die Zivilgesellschaft. Und zwei Verlierer: die Burschenschafter und ihre Anhängerschar. Und die tausenden linksgrünen Daheimbleiber, die zahlreich wie nie ihren Senf in den Sozialen Medien—vornehmlich Facebook—abluden, jene klassische Kamarilla pseudokreativer Mittvierziger, deren Distanziergehabe bloß Schminkrouge über bürgerlicher Feigheit ist. Sie fehlen stets, wenn es um das Eingemache geht, glänzen davor und danach aber mit Kraftausdrücken—vor allem in Richtung des rechten Lagers. Seit letztem Jahr haben sie aber einen weiteren Feind ausgemacht: den deutschen Krawalltourist im Schwarzen Block, der das gemütlichkeitsverseuchte Wien heimsuchte und mit Mistkübeln warf. Die Republik rächte sich mit einem Schandprozess.

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Foto von David Prokop

Zuerst zu den Verlierern: Das rechte Gesocks hat verloren, weil der Ball weder zum Signal einer mit rechtsradikal-symphatisierenden, in die bürgerliche Mitte strebenden Verbandsmeierei wurde, auch nicht zu einem propagandistischen Erfolg der FPÖ, und schon gar nicht zu einem Vergnügen, an das man sich in zwei Wochen noch mit feuchten Augen freudig erinnert. Letzteres lag vor allem daran, dass Teile der als gewaltbereit angesehenen Demonstranten sich dieses Jahr auf das Blockieren verlegten und vor allem Taxis mit Ballbesucher aufhielten, von welchen einige den Ballsaal nicht erreichten.

Die kläffenden Daheimbleiber haben verloren, weil bei der großen, sich von aller Art Krawall distanzierenden Kundgebung am Heldenplatz mehr Gesicht denn je gezeigt wurde, auch mehr moralische Kraft, vor allem durch legitimierte Bodentruppen: Menschen, die ein Konzentrationslager überlebten und nun die Ballbesucher anklagten. Man kann darüber streiten, ob das nicht eine etwas überdramatisierte Konfrontation darstellte, doch hat die Kundgebung eines klar gemacht: Die Organisatoren und Teilnehmer halten den Akademikerball und die Ballbesucher für Anhänger des Nationalsozialismus. Damit ist diese davor nie so explizit angezeigte Aussage eingetütet. Die moralisierenden, berufsanständigen Daheimgeblieben, die sonst wortgewaltig gegen die FPÖ zu Felde ziehen, schrieben gestern Abend viel von den Hubschraubern, die über ihren Dächern kreisten. Und über Risotto, Weißwein und ihre kluge Entscheidung, den deutschen Krawallbrüdern keine Bühne zu bieten. Dabei versicherten sie sich ihre Anständigkeit, wussten aber, dass sie gefehlt hatten, als sich der Wind drehte.

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Und die wohllebige grünwählende Bourgeoisie musste dieses Jahr auch feststellen, dass ihre herangewachsenen und erwachsenen Kinder zahlreich unter den Demonstranten waren, manche mit offen gezeigter Sympathie für Ungehorsam und Gesetzesbruch. Ein kleiner Generationenkonflikt, der hoffen lässt, dass es mit dem erbärmlichen Kuschelkurs ein Ende hat.

Foto von David Prokop

Gewonnen hat die Zivilgesellschaft. Das tut sie ja immer, wenn jene, die sie zu vertreten glauben lauthals ihren Sieg verkünden. Doch diesmal braucht es kein Getröte, der Sieg ist präsent. Und er trägt sehr wohl auch Vermummung.

Man soll nicht sagen, dass die Radikalen—aus Deutschland angereist oder nicht—nicht lernfähig wären. Ein paar geworfene Stühle, Blumentöpfe und Böller. Das war es dann auch. Offenbar keine „Zerstörungsorgie", wie sie die Daheimbleiber auf Facebook im Vorfeld als Grund ihrer Enthaltung vorschoben. Die nur bedingt gewaltbereiten, dennoch als Terrorbrigade denunzierten Demonstranten konzentrierten sich richtigerweise auf jene, auf die es sich zu konzentrieren galt: auf die Ballbesucher. Sie sind das Übel, das es zu hindern und markieren galt. Ihnen sollte der Besuch unmöglich gemacht werden. Bei ihnen, den paar hundert Menschen, liegt die Entscheidung, ob der Ball in der Hofburg weitergeht. Und ob er überhaupt weitergeht. Denn wenn man in die Gesichter der „Akademiker" sah, dann konnte man ihre Resignation erkennen. Der Großteil der Ballbesucher ist den moralisierenden Daheimbleibern sehr ähnlich: sie wollen eigentlich nur ihre Ruhe und mehrheitlich nicht Teil dieses perpetuierten Kulturkampfs sein. So viele Jahre Trubel beginnen zu nerven.

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Bemerkenswert auch, dass die Stimmung auf der großen Kundgebung aggressiver als erwartet war. Man wollte die Erregung nicht alleine den Gewaltbereiten überlassen, von welchen man sich zwar im Vorfeld mit Gewissheit distanzierte, sich aber gegen Ende des Abends mit den Blockaden solidarisierte. Da war kurz etwas Gemeinsames, das über die Ablehnung des Balls hinausging. Und vielleicht sieht man den einen oder anderen dieser Hauptkundgebung im nächsten Jahr eine Straße vor der Durchfahrt zu schließen. Das wäre mal ein Anfang einer echten, wehrhaften Zivilgesellschaft.

Foto von David Prokop

Und das wäre auch ein guter Schlusssatz, wäre da nicht noch der Irrtum, dass jede Gewalt bedingungslos abzulehnen sei. Das klingt provokant, doch es braucht gerade Österreich mehr entschlossene Gegner der aufstrebenden Rechten im Land; Menschen, die auch bereit sind, eine Verwaltungsstrafe oder einen Knüppelhieb einzustecken. Wenn man schon den Anwalt konsultieren muss, diese Zeilen hier ohne Strafandrohung (Aufruf zur Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung) zu formulieren, so sei auch von dem Scheitern des Ansinnens berichtet. Es ist und bleibt ein Aufruf zum Ungehorsam.

Aber ist ziviler Ungehorsam nicht erste Bürgerpflicht? Vor allem, wenn sich Jahr für Jahr eine Versammlung Menschen in Repräsentationsräumen der Republik ein Stelldichein gibt, die wohl nur in verschwindender Minderheit zu Anhängern der Demokratie gezählt werden können? Der Akademikerball ist eben nicht bloß eine Veranstaltung rechter und ultrarechter Kräfte, die trotz ihrer Widerwärtigkeit die von der Verfassung garantierte Versammlungsfreiheit genießen; er ist ein Treffen mit ideologischem Hintergrund, eine Art Demonstration vieler kaum hinnehmbarer Unappetitlichkeiten. Das geht von Antisemitismus bis hin zu republikfeindlichen Gesinnung. Man kann der Meinung sein, eine erwachsene Demokratie wird das wohl gut verkraften können. Doch dann muss man auch die Meinung vertreten, dass die gleiche erwachsene Demokratie auch die heftige und nicht gewaltfreie Widerwehr der Gegnerschaft gut verkraften kann, die ja ohnehin auf Sitzblockaden und Kinderspielzeug-Barrikaden reduziert bleibt.

Die Gewalt der Straße hat vor bald 50 Jahren den konservativen Mief weggefegt, den die Teilnehmer des Akademikerballs glühend vertreten. Es ist die übliche Ironie der Geschichte, dass die meisten großen und kleinen Aktivisten der 68er-Generation heute zu tumben Spießern verkommen sind, die sich gerne ihres Widerstands gegen die Wasserwerfer rühmen, während sie im Beisl das Schnitzel schneiden. Aber es war der wiederholte, tausendfache Ungehorsam, der alle breiten Protestbewegungen erst erfolgreich machte. Und ihre Anliegen in die Mitte der Gesellschaft trugen.

Das Argument, zu viel Krawall nütze nur Strache und der FPÖ, kann man sich getrost sonstwohin stecken. Jene, die sich über die gewalttätigen Demonstranten ärgern, wählen ohnehin seit Jahren rechts. Schon unter den Sozis, als der Innenminister Löschnak hieß—nur zu Erinnerung. Wenn man den Aufstieg der Rechten in Österreich etwas entgegensetzen will, dann heißt es endlich jene Sprechverbote auszuhebeln, die von den Hütern der Anständigkeit ausgegeben wurden. In diese Sprechverbote fällt inzwischen auch, Ungehorsam und Gesetzesbrüche, wie etwa Sitzblockaden und Wegbarrikaden, gutzuheißen—Mittel des Widerstands, die vor zehn Jahren noch als legitim betrachtet wurden. Heute jedoch scheut man in Österreich jeden noch so kleinen Konflikt. Da ist man in anderen Ländern weiter. Und in ihnen auch die Demokratie.