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Wahlen 2015

Was ich beim EDU-Parteitreffen gelernt habe

Die EDU kann vieles: Homophobie, Islamophobie, Frauenfeindlichkeit—und doch ist sie irgendwie herzig.
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Schwule und lesbische Paare sollen nie (Stief-)Kinder adoptieren können. Das forderte die Eidgenössisch-Demokratische Union—kurz: EDU—vergangene Woche. Der Geschäftsführer Marco Giglio strahlte auf einem Bild von der 20 Minuten-Homepage und argumentierte so stichfest wie es einem treuen Bibel-Christen eben möglich ist: Liebe allein reiche nicht aus, um eine Ehe einzugehen, neben dem Willen zur Fortpflanzung brauche es auch die theoretische Möglichkeit und homosexuelle Paare würden eh nicht so lange zusammenbleiben wie ihre heterosexuellen Pendants. Studien würden diesen Plan Gottes belegen. Homosexualität sei grundsätzlich ja eh nicht so schlimm—solange Schwule und Lesben bloss keinen Sex haben.

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Kurz bevor ich bei der Location der Wahlveranstaltung, einem Bauernhof im Berner Hinterland, angekommen bin, beschloss die Partei bei ihrer Delegiertenversammlung dementsprechend einstimmig, dass sie alles politisch Mögliche gegen die geplante Homo-Ehe und das Adoptionsrecht für Stiefkinder homosexueller Paare tun werden.

In den gut vier Stunden bei der EDU—dem selbsternannten „Hofstaat des mächtigsten Königs"—habe ich aber nicht nur gelernt, dass weder Gott, noch Homophobie im Kampf gegen zu hartes Café Glacé sonderlich viel hilft, sondern auch, dass Papp-Figuren in der Christen-Welt total trendy sind. Was ich sonst noch aus der absurden Welt der Partei Gottes mitgenommen habe:

Gott mag seine EDU nicht

„Gott setzt Regierungen ein—und auch wieder ab", murmelte der EDU-Präsident Hans Moser seinen Jüngern zu. Sie alle könnten noch so viele überlebensgrosse Plakate aufstellen, noch so viele Bibel-Büchlein verteilen—wenn Gott keinen EDU-Sitz will, nütze alles nichts. Was der Präsident dabei geschickt ausblendete: Die treuen Bibel-Christen verloren vor vier Jahren ihren einzigen Sitz im Nationalrat. Auch diese Abwahl musste der Logik von Hans Moser folgend von Gott gegengezeichnet worden sein—göttliches Vertrauen in eine Organisation sieht wohl anders aus.

Doch den Christen war das alles egal: Sie senkten gemeinsam ihre Köpfe, schlossen die Augen und beteten während dem Treffen mehrmals munter für einen EDU-Sitz an den Wahlen am 18. Oktober—Amen. Ob ihr Gott wohl auf mentales Stalking durch Bibel-Christen steht?

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Die Bibel versaut den Populismus

Erfolgreiche Politik braucht Feinde. Das wissen alle Populisten von links bis rechts—auch die SVP. Vor ein paar Wochen war ich an einer Wahlveranstaltung der Rechts-Partei. Sie bot perfekt durchgeplantes Polit-Entertainment mit klaren Feindbildern—Ausländer, EU, Bundesrat. Die Welt der inhaltlich mindestens so radikalen EDU dreht sich etwas langsamer. Die gefühlt 20 Redner stammelten ihre wirren Reden ohne Pause runter und betonten treu ihrer politischen Grundlage, der Bibel, folgend: „Wir sind nicht gegen etwas, wir sind für etwas!"

Natürlich heisst das in der EDU-Logik nicht, dass man keine Feindbilder hat: Der Staat möchte uns die Kinder klauen, Homosexuelle die Familie kaputt machen, die EU am liebsten die ganze Schweiz, der Islam mit Hilfe der Uni Zürich das christliche Abendland und die Chaoten am 1. Mai die ganze Welt. Nur wird diese fruchtbare Grundlage für negativen Schlagwort-Populismus auf eine Fahrt im Logik-Karrussell mitgenommen. Die EDU möchte schliesslich keinen Hass, sie möchte Liebe. Sie möchte den muslimischen Migranten nicht den christlichen Religionsunterricht aufzwingen, sie möchte ihnen ermöglichen, den christlichen Glauben kennenzulernen—natürlich im liebevoll erteilten Pflichtunterricht.

Das Paradies ist bleich gewaschen

Mindestens so zurückgeblieben und verwaschen wie die Einstellungen der EDU-Jünger sind ihre Vorstellungen von Ästhetik. Auf den violetten Klappstühlen in der Bauernhof-Scheune sassen Eso-Tanten in knöchellangen Blumenröcken, Männer in kurzämligen Karo-Hemden und Nationalratskandidaten in Anzügen der Marke „Sammelbestellung beim Beerdigungsausstatter"—Altersdurchschnitt im Publikum: 20 Jahre vor dem persönlichen Paradies-Besuch.

Die versammelten Gäste erschienen mir wie eine Mischung aus einem Reunion-Treffen pensionierter Waldorfschul-Lehrer und einem Speed-Dating-Anlass für Neu-Witwer. Trotzdem wurde der Wahlkampf-Samstag auf einem Transparent als grandioser „Familientag" angekündigt. Die Redner nuschelten ständig davon, wie wichtig Kinder seien, dass wir uns am heiligen Sonntag endlich wieder mit ihnen gemeinsam in die Kirche quälen sollten, um ihnen ein natürliches Menschenbild zu vermitteln—trotzdem tobten sich in der extra aufgeblasenen Hüpfburg gerade mal drei Exemplare des Christen-Nachwuchses aus.

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Nett sind sie alle

Gott, sind diese Christen nett! Obwohl ich—gefühlte 200 Jahre jünger und zwanzig Farbtöne dunkler gekleidet als der durchschnittliche EDU-Anhänger—auffiel und auch mal alttestamentarisch abgesicherte Straf-Blicke erhielt, wenn mein Foto-Geknipse das gemeinsame Gebet für den heiligen Sitz im Nationalrat störte, erntete ich vor allem eines: lächeln. Die Menschen schauten mich an und freuten sich—ob sie in mir sowas wie einen ungläubigen Thomas sahen? Oder ob das Organisationskomitee dem Café Glacé noch ein, zwei Löffelchen Cannabis beigemischt hatte?

Ich weiss es nicht. Auf jeden Fall konnte das mir als bösem Kirchenaustreter entgegengebrachte Lächeln auch der Nationalratskandidat Erich Vontobel nicht brechen, als er meinte, Menschen, die ohne Gott leben, hielten sich für besonders frei—dabei seien sie bloss eines: Narren!

Die Mitglieder der EDU leben in ihrer eigenen Welt. In diesen paar Stunden auf dem abgelegenen Bauernhof freuten sie sich, das Weltbild der Anwesenden in ihrer Nischen-Bubble zu bestätigen. Sie predigten stundenlang in Frontalunterricht-Vorträgen darüber, was sie mögen und was eben nicht—ohne das Programm wirklich klar vermitteln zu können.

Die Einstellungen der EDU finde ich persönlich zwar etwas beängstigend—die Partei an sich aber irgendwie auch herzig. Die gut 3.000 EDU-Mitglieder konnten auf einem Bauernhof ein letztes Mal vor den Wahlen eine Homo-Bedrohung oder den Untergang der traditionellen Familie heraufbeschwören, sich in ihren rückwärtsgewandten Träumen suhlen. Sie konnten dort ihr persönliches Paradies ausleben, bevor sie in gut zwei Monaten auf die harte Realität des Alltags treffen: Mehr als einen Nationalrats-Sitz wird ihnen am 18. Oktober nicht mal Gott schenken können.