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Eine Nacht mit einem Wiener Drogendealer

Lukas ist Mitte 20, kommt vom Land und ist nach Wien gezogen, um bessere Jobaussichten zu haben. Im Moment bedeutet das für ihn selbstständig sein. Und das bedeutet wiederum Dealen.
Rachel Haller | flickr | cc by 2.0

Rachel Haller | flickr | cc by 2.0

Lukas ist Mitte 20 und nicht aus Wien. Er ist vom Land in die Hauptstadt gezogen, um eine bessere Jobauswahl zu haben. Es wäre ihm durchaus möglich, in seiner Heimatstadt zu arbeiten, aber „die Provinz war mir zu klein. Zu aussichtslos", sagt er.

Er erzählt mir im Laufe der Nacht noch oft, wie ihn sein kleinbürgerliches, konservatives Zuhause fertig gemacht hat. Einen ähnlichen Lebenslauf zu haben wie seine Eltern, seine Großeltern, seine Onkel und Tanten, wollte er auf keinen Fall. Wir fangen den Abend bei mir zuhause an. Lukas ist ein gebildeter junger Mann—kein sozialer Abfuck, kein Dummi, kein Migrant oder was auch immer du für Vorurteile gegenüber Drogendealern haben magst.

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Er ist wohlbehütet aufgewachsen, hat Geschwister und eine Ausbildung. Bis vor kurzem hat er noch in seiner Branche in einer angesehenen Position gearbeitet. „Auch zu der Zeit habe ich bereits am Wochenende, beim Fortgehen gedealt." Er seufzt, während er seine Ware für heute Nacht auf den Tisch legt.

„Heute ist unter der Woche, dass ist natürlich niemals so ein Geschäft wie am Wochenende. Ich habe ein bisschen Speck, ein paar E's und MD-Kapseln mit. Koks wäre heute nur ein Verlust und zusätzliches Risiko—unter der Woche gehen nur Studenten und Arbeitslose fort", sagt er, während er mich frech angrinst. Speck ist das Slang-Wort für Amphetamin, auch bekannt als Speed. Das hat er in 1-Gramm-Portionen abgepackt—und gestreckt, wie er mir gesteht.

„Ich strecke es ja auch für mich mit Kreatin. Wenn man eine Paste bekommt, muss man sie aufstrecken, sonst lässt sie sich nicht ziehen. Ich bin da aber sehr offen zu Kunden und sage auch, im welchen Streckverhältnis was ist." E's und MD-Kapseln sind MDMA-haltige Substanzen—Ecstasys zu meist beigemengt mit Amphetaminen. MD-Kapseln enthalten reines MDMA. In beides hat er nicht eingegriffen. „Die E's lasse ich testen, die sind relativ rein, aber pro Pille kann man es nicht genau sagen. MD strecke ich aus Überzeugung nicht. Ich gebe einfach weniger Menge in eine Kapsel rein, als angegeben. Das mach ich schon." Zusätzlich hat er ein bisschen Hasch und Gras mit—eigentlich für den Eigengebrauch. „Wenn aber jemand ein bisschen was haben will, kann ich es schon hergeben."

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Ich kenne Lukas schon länger. Unsere Bekanntschaft hat sich nicht zuletzt wegen der vielen Streitigkeiten vertieft. Er betrachtet Substanzen wie ein Geschäftsmann und Konsument—ich betrachte sie zumeist nach wissenschaftlichen Fakten der Chemie, Medizin und Psychologie. Lukas hat unteranderem deshalb mit dem Dealen angefangen, weil er sich nicht gerne verarschen lässt.

„Am liebsten habe ich noch immer mein eigenes Zeug. Der Hauptgrund, warum ich angefangen habe, eigentlich. Wenn man so richtig reines Zeug will, bekommt man es kaum in Eigengebrauch-Mengen. Alles andere streckt jeder kleine Fisch selber und da sind nicht immer Chemie-Genies dabei." Insgesamt hat er für heute 10 Briefchen Speed mit. Ein Briefchen kostet 15 Euro, Ecstasy-Pillen gibt's ebenfalls für 15 Euro und MD-Kapseln für 20 Euro.

Ich frage ihn, ob er nicht Angst hat. Er hat keine. „Zivile sind auf jeder Party und ich renne ja nicht herum und frage alle Gäste, ob sie was haben wollen. Ich versuche, sehr aufzupassen, mit wem ich spreche und wem ich offenbare, dass ich etwas mithabe." Er zieht eine Line Speed und beantwortet mir meine Frage—ob es einen Unterschied macht, woher man kommt und wie man aussieht. „Klar. Mir vertrauen alle Kunden sofort. Es ist aber lachhaft. Ich habe ja mein Zeug von Migranten. Menschen die lieber von Österreichern kaufen, kaufen bei einem Wolf im Schafspelz. Die Migranten wiederrum—es dauert lange bis sie dir vertrauen und dich respektieren. Hat alles Vor- und Nachteile."

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Wir ziehen uns an und gehen in einen Club, den er ausgesucht hat. Unter der Woche ist einfach wenig los, erklärt er mir nochmal. Es ist nicht so, dass Studenten keine Drogen nehmen, eher im Gegenteil. Sie sind nur nicht bereit, dafür Geld auszugeben. Am Wochenende macht er viel Geld mit Kokain und MDMA, in 1-Gramm-Schritten.

„Schmierige Wixer zahlen 20", sagt er. „Wenn jemand kritisch nachfragt, kriegt er Rabatt."

„Auf Open-Airs nehme ich manchmal LSD mit, aber die Beliebtheit der Droge ist verschwindend gering. Zumindest, was den Kauf auf einer Party betrifft." Bei Lukas kann man nur etwas kaufen, wenn er auf einer Party ist. Er ist kein Dealer den man trifft, oder den man zuhause besucht. „Wenn ich schon selbstständig bin, entscheide ich am liebsten selber über meine Arbeitszeiten." Er lächelt viel und ist wirklich hübsch.

Erst jetzt, als ich ihn für den Artikel aktiv begleite, um mehr über den Beruf herauszufinden, fällt mir auf, was es eigentlich bedeutet: Ein Job abseits des Systems, komplett in der Illegalität. Meiner Meinung nach ist Lukas kein Mensch, der im Häfn lange überleben geschweige denn, der sich besonders gut eingliedern würde. Er ist ein Mensch, der gerne frei ist. Er ist zwar groß, aber eher schmächtig, trägt ein schönes Shirt und Jeans. Wir kommen in den Club, ohne Eintritt zu zahlen—die Türsteher scheinen ihn schon zu kennen. „Sie ist cool", sagt er lässig und lotst mich rein.

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Es spielt schnelle elektronische Musik, die Party ist gut gefüllt. Auf dem Weg zur Tanzfläche begrüßen ihn zwei Männer überschwänglich. Er unterhält sich kurz mit ihnen und kommt nach fünf Minuten zu mir. „Das waren X und Y. Wir kennen uns schon gut, ich habe ihnen zwei Speck-Brieferl gegeben. Wie jedes Mal." Erst jetzt sehe ich, dass er zusammengeknülltes Geld in der Hand hält.

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Bald darauf kommt ein Mädchen in meinem Alter zu ihm. "Luuuuuuuukas!" und umarmt ihn ebenfalls überschwänglich. Ich begrüße sie zaghaft und stell mich als seine Begleitung vor. Sie stellt sich vor, wendet sich aber sofort wieder zu Lukas. Sie ist mit einer Geburtstagsgruppe da, und ob Lukas zufällig nicht irgendetwas da hätte. Sie klären kurz Kontingent und Preis ab. Sie nickt und verschwindet in der Menge. „Siehst du, das meiste läuft genau so. Mundpropaganda oder wenn man Glück hat auch Geburtstagssausen."

Ich frage ihn, ob sie nachgefragt hat, welchen MDMA-Gehalt die Pillen haben oder in welchem Verhältnis das Speed gestreckt ist. „Nein, das ist leider eine Seltenheit. Der österreichische Staat klärt ja kaum über Drogen auf. Drogen sind halt hierzulande noch immer schlecht und Alkohol OK. Das ist lächerlich. Die meisten, die konsumieren, kümmern sich also überhaupt nicht darum—weil sie sich in ihrer Welt ja sowieso abweichend verhalten. Sie denken, dass sie unabhängig von Inhaltsstoffen ohnehin ihrem Körper schaden und dass deshalb die Details nicht so wichtig sind. Einfach alles reinjagen, was zu macht. Ich freue mich immer sehr, wenn ein Kunde mir misstraut und genau wissen will, wo was drinnen ist. Der kriegt meistens einen Rabatt."

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Es stimmt—eines der Hauptthemen zwischen Lukas und mir ist die Aufklärung und die Einstellung der meisten Konsumenten. Wir finden sie beide desaströs. Jetzt, wo ich die Ignoranz vieler Kunden aber hautnah mitzubekomme, jagt es mir einen Schauer den Rücken runter. Das Mädchen von vorhin kommt mit einer Freundin wieder, die jünger ausschaut als wir. Sie wird als das Geburtstagskind vorgestellt. Und kauft auch 5 Ecstasy-Pillen sowie zwei Speed-Briefchen. Insgesamt zahlt sie 100 Euro.

„Je älter der Kunde, desto eher will er Koks. Junge Menschen mögen E's. Die sind billig und berauschen halt."

Wir holen uns ein Getränk. Nach meiner Rechnungen gibt es noch 1 Gramm Speed, 5 Pillen und alle 5 Kapseln. Als wir an der Bar stehen, spricht mich jemand bezüglich Drogen an. Der Typ der mich fragt, macht es sehr subtil. Er sagt, er würde Jus studieren und dass es ihm hier gut gefallen würde. Ich wäre außerdem ur hübsch. Er fragt, ob er meine Nummer haben könnte—und ob ich zufällig nicht etwas zum Wachbleiben hätte. Da mischt sich bereits Lukas ein und stellt sich vor.

„Schmierige Wixer zahlen 20", sagt er als er mit dem Typen fertig gesprochen hat. Danach passiert erst mal fast zwei Stunden lang nichts. Wie mir Lukas versichert, ist das aber auch irgendwie egal fürs Geschäft. Der Abend heute ist besser als die meisten anderen Abende unter der Woche. Er spricht tatsächlich niemanden an. Er steht nur da und beobachtet.

Dann kommt ein Typ auf ihn zu, der zirka 30 ist. Sie wechseln zwei Sätze, bevor Lukas sich zu mir umdreht. „Er wollte Koks. Außerdem war das vielleicht ein Ziviler." Je älter der Kunde, desto eher will er Koks, erklärt Lukas. „Junge Menschen mögen E's. Die sind billig und berauschen halt. Speed geht immer, quer durch die Bank. Koks und MDMA sind dann eher so ab Mitte 20, wegen des Preises. Es ist schwer einzuschätzen, weil dann doch die meisten regelmäßigen User einen eigenen Dealer haben und nicht auf Partys kaufen. Auf Partys kaufen nur Verzweifelte und Zivile." Mehr verkauft er diese Nacht nicht, aber das ist für ihn in Ordnung. Genauso wie die Tatsache, dass er noch nicht genau weiß, wie es mit seiner Karriere weitergehen soll.

Fredi auf Twitter: @Schla_Wienerin