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'else Heart.Break()' ist das Open-World-Hacker-Adventure, auf das du gewartet hast

Im Café sitzen. Auf coole Partys gehen. Die Realität hacken. Willkommen bei 'else Heart.Break()'.
Offizieller Screenshot via elseheartbreak.com

Hacken als Videospielmechanik ist in letzter Zeit groß im Kommen. In Hack 'n' Slash von Double Fine lässt sich der Code des Spiels manipulieren, Hacknet ist eine „realistische" Hacker-Sim mit echten UNIX-Befehlen, und Spiele wie Human Resource Machine und TIS-100 nutzen die Programmier-Logik und -Metapher für tighte, aber dennoch flexible Knobeleien.

Es ist die konsequente Weiterführung eines Trends, der mit Minecraft so richtig an Fahrt gewonnen hat: die Ermächtigung des Spielers zur Ko-Autorschaft, zur Kreativität, zur Nutzung und Gestaltung der Spielwelt nach eigenen Vorstellungen, statt von oben vorgegebene Herausforderungen durchzuspielen wie ein konditionierte Laborratte, die einfach nacheinander auf die korrekten Knöpfe drücken muss.

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Das Experimentieren mit Programmiercode ist dafür eine naheliegende Metapher, immerhin ist es das Werkzeug des Autors selbst. Nicht umsonst hätte der gescheiterte Minecraft-Nachfolger ein programmierbares In-Game-Betriebssystem haben sollen (wobei der Minecraft-Vibrator hat diesem Jahrhundertspiel auch einiges an Experimentierpotential verliehen).

Offizielle Screenshots

Kaum wo sind diese zu sprengenden Gameplay-Ketten stärker ausgeprägt als im Point-and-Click-Adventure. Seit Jahrzehnten muss sich das Genre den Vorwurf anhören, die Spielmechanik würde sich auf „Lies die Gedanken des Game-Designers" beschränken. Immerhin ergeben sich die Rätsellösungen in Adventures normalerweise nicht aus eindeutigen, im Spiel selbst etablierten Mechaniken, sondern aus der narrativen Logik der Spielwelt.

Der Spieler ist dem Game-Designer zu hundert Prozent ausgeliefert; er muss darauf vertrauen, dass dieser seine Lösung bedacht und eingeplant hat. Passiert das nicht, gibt es einen Bruch und die Immersion liegt in der Tonne. Selbst die sandboxigeren unter den Adventures wie Maniac Mansion oder Quest For Glory sind über dieses Konzept nicht hinausgekommen.

Die schwedischen Indie-Entwickler von else Heart.Break() zeigen, wie es anders gehen könnte. (Einer von ihnen ist übrigens der Künstler El Huervo, der bereits mit Musik und Artworks an den Hotline Miami-Spielen beteiligt war.) Sie simulieren eine ganze kleine Stadt, komplett mit Wohnungen, Bars, Geschäften und Einwohnern, die tatsächliche Tagesabläufe haben, vom Arbeiten übers Feiern bis zum Schlafen.

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Ich muss dabei an Ultima und Shenmue denken, aber auch an Game-Design-Guru Warren Spector (Deus Ex), der immer vom „One City Block RPG" spricht, das dem Ideal der möglichst riesigen Open World einen bis ins kleinste Detail simulierten Häuserblock entgegensetzt.

So richtig nahe sind dieser Idee bisher meistens die Japaner gekommen—vielleicht durch ihren kulturell bedingten Sinn dafür, innerhalb begrenzter Parametern voll aufzugehen. Aber wie wir alle wissen: Als der Markt zu Beginn des Jahrtausends entschieden hat, wie das Blockbuster-Videospiel der Zukunft auszusehen hat, hieß der Gewinner Grand Theft Auto III und nicht Shenmue.

Dorisburg, die hippe, schwedisch angehauchte Stadt, in der sich else Heart.Break() abspielt, ist allein deshalb schon ein Erlebnis. Sobald Protagonist Sebastian zu Beginn des Spiels im Hafen von Dorisburg vom Schiff steigt, steht ihm die Stadt vollkommen offen. Alles, was er weiß, ist der Name des Hotels, in dem er absteigen muss. Die Karte von der Touristeninfo ist nur bedingt hilfreich, weil sie den eigenen Standpunkt nicht anzeigt, also hilft nur durchfragen. Es kommt dem Gefühl, tatsächlich zum ersten Mal in einer fremden Stadt zu sein, verdammt nahe.

Dass else Heart.Break() aber noch eine ganze weitere Ebene hat, kündigt sich zum ersten Mal an, wenn man die Tür zum Hotelzimmer aufsperrt und in einen Waschraum landet, der sich eigentlich ganz woanders befindet. Auf Anfrage in der Rezeption macht sich ein Hotelmitarbeiter mit einem seltsam leuchtenden Gerät daran, die Tür zu „reparieren", so dass sie auch wirklich in das Hotelzimmer führt, das sich hinter ihr befindet.

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Es ist der erste Hinweis auf das dunkle Geheimnis von Dorisville und eigentliche Haupt-Feature von else Heart.Break(): Mit dem richtigen Equipment lässt sich alles in der Stadt hacken und umprogrammieren. Nicht nur Computer. Alles. Türen, Pflanzen, Straßenlaternen, Sandwiches, Zigaretten.

Das eröffnet im Verlauf des Spiels, wenn man endlich selbst an einen sogenannten „Modifier" kommt, ganz neue Möglichkeiten: Wer braucht schon Schlaf, wenn er mittels ein paar ausgetauschter Variablen die Wirkungs seines Kaffees boosten und damit die eigenen Müdigkeitswerte manipulieren kann? Der Tag-Nacht-Rhythmus ist eines der ersten Dinge, die dazu ermutigen, Schabernack mit ihnen zu treiben.

Wer etwa auf einer Party eine Droge bekommt, die die Welt im Zeitraffer vorbeiziehen lässt, tut gut daran, vorher einen Blick in den Source Code zu werfen, um die Macht über den metaphysischen Fast-Forward-Button dem eigenen Hacking-Toolset hinzuzufügen.

Das alles wird über eine eigene In-Game-Programmiersprache namens „språk" (Schwedisch für „Sprache") erledigt, die sich an echten Programmiersprachen wie BASIC, Ruby, Phyton und GML orientiert. else Heart.Break() funktioniert also auch als spielerische Programmier-Schnupperstunde. Und keine Sorge, um bis zum Ende der Story zu kommen, muss man nie allzu komplizierte Programme schreiben, sondern meistens einfach bestehenden Code kopieren oder adaptieren. Wer möchte, kann sich aber auch so richtig austoben und Dorisburg komplett umkrempeln. Oder einfach neue Spiele für die Arcade-Automaten in der Stadt schreiben.

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Dass man hin und wieder in solche selbstkreierten „Side-Quests" abdriftet, gehört zum Reiz des Spiels. Genauso wenig wie eine anständige Karte gibt es ein In-Game-Journal, in dem fein säuberlich Aufgaben und Prozentzahlen aufgelistet sind. Wenn man also kein Gedächtnis wie ein Delfin hat, kommt man nicht herum hin und wieder Notizen und Screenshots zu machen. Andernfalls ist man schnell verloren: „Um wieviel Uhr vor welcher Bar? Wo ist Felix' Wohnung nochmal? Wie war jetzt die genaue Syntax für diesen Befehl?"

Das Gute daran ist, dass alles wunderbar organisch, mysteriös und unvorhersehbar wirkt, und so driftet man leicht orientierungslos durch die seltsame Story, genau wie Sebastian. Da kann man schon mal abgelenkt werden, weil man auf dem nächtlichen Heimweg jemanden im Park Saxophon spielen hört, oder unbedingt wissen will, was hinter dieser einen versperrten Tür in dem leerstehenden Gebäude am Stadtrand ist.

Ich bin ein großer Fan von „Hangout"-Spielen, in denen man statt von Challenge zu Challenge zu springen auch mal sitzen, plaudern und einen trinken darf. Einfach das „Sein" in der Spielwelt genießen. In Skyrim vor einer Hütte sitzen und dem Fluss zuhören. In Grand Theft Auto V durch die Fernsehkanäle zappen und einen Joint rauchen.

Nach den unzähligen Malen, in denen ich in Videospielen das Universum gerettet, jahrtausende alte Kreaturen bekämpft, Raumschiffe durch Asteroidenfelder gesteuert und Dimensionstore zur Hölle verschlossen habe, sehne ich mich nach nichts mehr als ein bisschen Banalität. Denn unterm Strich ist mein Leben genauso banal, und ich tausche liebend gern eine Portion „Power Fantasy" gegen eine Portion „Relatability".

Dem Design von else Heart.Break() ist der „Hangout"-Gedanke eindeutig eingeschrieben und sogar auf der Feature-Liste angeführt: „A laid-back experience where you can just go to the café and have a coffee whenever things get too hectic." Tatsächlich spielt sich die Geschichte zu einem großen Teil in Wohnungen, Lokalen und auf Parties ab. Tatsächlich kann man mit vielen Alltagsgegenständen in der Umgebung interagieren, von Zigaretten bis Jukeboxen (auch ohne sie gleich umzuprogrammieren).

Und tatsächlich gehören peinlicher Smalltalk mit hübschen Mädchen und das verkaterte Aufwachen in fremden WGs genauso zur Story wie waghalsige Hacker-Missionen. Zusammen mit dem surreal-bunten Retro-Artstyle und der coolen Elektromusik ist es letztendlich das, was else Heart.Break() wirklich auszeichnet. Es steckt einfach so verdammt viel Lebensgefühl drin,

Andreas auf Twitter: @schirmsprung