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Endlich wird in Schweden nicht mehr zwangssterilisiert

Transsexuelle wurden in Schweden seit 1972 zwangssterilisiert, doch das hat nun endlich ein Ende. Für viele kommt dieses Gesetz allerdings zu spät.

Amanda Brihed

In Schweden, dem aufgeschlossenen Wunderland, in dem Kinderspielzeug aussehen kann, wie man will, und Raupkopieren zu einer Religion erhoben wurde, scheint alles eine Sache der Freiheit und der Geschlechtergleichberechtigung zu sein. Trotzdem wurden Transsexuelle, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen, seit 40 Jahren zur Sterilisation gezwungen.

Doch das oberste schwedische Gericht hat dieses Gesetz vergangenen Donnerstag gekippt.

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Aber was ist mit all denen, die bereits gegen ihren Willen sterilisiert worden sind?

Einige Organisationen, die sich für die Rechte Transsexueller einsetzen, versuchen, jenen zu helfen, die die obligatorische Sterilisation als Teil ihrer Geschlechtsumwandlung bereits hinter sich haben. Doch während Kompensation etwas Trost bringen könnte, kann ihnen niemand ihre Fortpflanzungsorgane wiederbringen. Um mehr darüber herauszufinden, sprach ich mit Amanda Brihed. Sie ist vor einigen Jahren zwangssterilisiert worden, als sie sich zur Frau hat umoperieren lassen.

VICE: Hi Amanda. Wie ist es für dich, jetzt da Zwangssterilisationen in Schweden der Vergangenheit angehören? 
Amanda Brihed: Es fühlt sich wirklich gut an. Dafür habe ich so lange gekämpft. Leider ändert es nichts daran, dass ich nie eigene Kinder haben werde. Aber es wird die Zukunft vieler anderer Menschen verändern. Nach allem, was geschehen ist, ist es auch ein erster Schritt in Richtung Gerechtigkeit.

Kann ich mir vorstellen. Versuchst du, eine Entschädigung vom Staat zu erhalten? 
Ja. Ich habe mich an einer Gemeinschaftsklage beteiligt. Ich werde öffentlich über meinen Leidensweg sprechen. Wir hoffen, dass der Prozess noch in diesem Jahr beginnt. Und ich glaube auch an unseren Sieg. Ähnliche Fälle haben in der Vergangenheit nicht nur zu Entschädigungen geführt, sondern auch zu öffentlichen Entschuldigungen seitens der Regierung. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass wir abgelehnt werden. Dieser Prozess steht im Einklang mit den EU-Richtlinien für diese Art von Fälle.

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Wie kamst du zu der Kampagne?
Ich war nicht die Erste, die über Zwangssterilisation gesprochen hat. Aber ich glaube, ich war die Erste, die die Aufmerksamkeit der Medien und der Politik bekommen hat.
Alles begann vor ein paar Jahren, nachdem ich einen Blogeintrag zum Muttertag geschrieben hatte. Ich schrieb über meinen Verlust und meine Trauer, keine Kinder zu bekommen. Aus dem anfänglichen Blogpost wurde eine Kolumne in der Zeitung Aftonbladet. Dann ging es richtig los. Interviews, Artikel, Nachrichten, Fernsehdebatten, politische Debatten und Demos. Es war völlig hysterisch. Aber es ist großartig, wo uns das alles hingeführt hat. Gleichzeitig haben Organisationen wie die RFSL und KIM tolle Sachen auf die Beine gestellt. Ich habe viel mit den Organisationen zusammengearbeitet, als Mitglied und auch als Aktivistin.

Wie sah denn die Unterstützung seitens der Öffentlichkeit aus?
Die Unterstützung kam langsam. Vor nicht allzu langer Zeit wurden wir noch wie Ausgestoßene behandelt. Leute lachten uns aus und machten Witze. Viele Transsexuelle haben es immer noch schwer. Aber die Unterstützung ist heute viel größer. Diese Veränderung fällt mir täglich auf. Während ich mir anfangs wie ein Tier im Zoo vorkam, steigt mein Selbstwertgefühl stetig. Es ist wunderbar. Wir repräsentieren eine der letzten Menschenrechtsbewegungen. Wir wurden zurückgelassen und blieben dort zu lange. Aber ich glaube, dass wir nun einen Weltrekord im Sichtbarwerden aufgestellt haben. Sogar weltweit.

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Wie war die Geschlechtsumwandlung für dich?
Als ich aufwuchs, gab es nicht viele Informationen über operative Geschlechtsumwandlungen. Ich wusste bereits im Kindergarten, dass etwas nicht stimmte. Nur konnte ich nicht erklären, was das Problem war. Mit 16 ging ich dann von zu Hause weg, und ich dachte: „Jetzt wird es passieren.“ Vom schwedischen Gesundheitssystem bekam ich jedoch keine Hilfe, bis ich in meinen Dreißigern war. Zu dieser Zeit hatte ich bereits im Ausland nach Unterstützung gesucht und mit der Behandlung begonnen. Erst danach erschienen die schwedischen Behörden auf der Bildfläche. Mir wurde nicht erlaubt, meine Geschlechtszellen zu behalten, und ich musste mich gegen meinen Willen sterilisieren lassen.

Wieso wurdest du sterilisiert, obwohl deine Operation im Ausland stattfand?
Das schwedische Gesundheitswesen akzeptierte mich nicht. Seit ich 16 bin, versuche ich eine Überweisung in ein schwedisches Gender-Forschungsteam zu bekommen. Es hat nicht funktioniert, also habe ich getan, was ich tun musste. Für meine eigenen Untersuchungen und Eingriffe habe ich selbst gezahlt. Dennoch stellt die schwedische Regierung sehr hohe Bedingungen, um eine legale Geschlechtsumwandlung zu erlauben. Da ich schwedische Staatsbürgerin bin, brauchte ich die Genehmigung der Kommission der nationalen Gesundheitsbehörde. Und um die zu bekommen, musste ich beweisen, dass ich keine meiner Geschlechtszellen in Schweden oder im Ausland verwahrt hatte. Ich musste nach meiner Operation unangenehme Untersuchungen über mich ergehen lassen. Sie wollten sicherstellen, dass ich mich auch wirklich nicht mehr fortpflanzen konnte. Einige der gynäkologischen Untersuchungen, Zertifikate und Dokumente waren richtig angsteinflößend. Aber es musste sein. Hätte der schwedische Staat auch nur den geringsten Verdacht gehabt, dass ich in der Zukunft ein Kind bekommen könnte, drohten sie, mir für den Rest meines Lebens jede Art von medizinischer Versorgung und jegliche Möglichkeiten einer legalen Geschlechtsumwandlung zu entziehen.

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Gab es keine Möglichkeit, dem zu entgehen?
Nein. Wenn ich mich geweigert hätte, die schwedischen Regeln zu beachten, und die Anti-Reproduktionsgesetze ignoriert hätte, wäre mir keine Geschlechtsumwandlung erlaubt worden. Sie haben mich so lange belästigt, dass ich fast von der Västerbron-Brücke in Stockholm gesprungen wäre. In gewisser Weise musste ich mich opfern, um ich selbst sein zu können. Und das schmerzt immer noch.

Was regt dich neben der Entfernung deiner Fortpflanzungsorgane bis heute am meisten auf?
Wie gesagt, wir werden immer noch nicht als Menschen angesehen. Unser Schutz vor Diskriminierung, Bedrohung, Gewalt und Hassdelikten ist sehr beschränkt. Wir bekommen nicht einmal Schutz vom Arbeitsrecht. Zwangssterilisation ist nur die Spitze des Eisbergs.

Wie sind deine Familie und Freunde damit umgegangen?
Da gab es unterschiedliche Reaktionen. Meine Familie hat sich dadurch teilweise gespalten. Einige Leute haben mich sehr unterstützt, von anderen habe ich Todesdrohungen bekommen. Leider handelte es sich da um eine Frage der Ehre. Mir sind nicht viele Freunde geblieben. Aber zum Glück habe ich bis heute eine wirklich gute Beziehung, viele Freunde und ein großes soziales Netzwerk um mich herum.

Das freut mich. Warum, glaubst du, hat es trotz der Proteste so lange gedauert, bis Zwangssterilisation in Schweden verboten wurde?
Vermutlich weil nur wenige Stimmen gehört worden sind. Es war wirklich schwer, unsere Botschaft durchzubekommen. Für die Allgemeinheit war es nicht leicht, das alles zu verstehen.

Fühlt es sich nicht wie eine Ohrfeige an, dass die schwedischen Gerichte und nicht die Regierung das Gesetz geändert haben?
Ich glaube, das sagt viel aus. Auf politischer Ebene hat es nie den Willen zur Veränderung gegeben. Ich glaube wirklich, dass alle Parteien, ganz gleich welcher Färbung, sich schämen sollten.

Wie viel beträgt die Entschädigung?
Zwar ist das Geld nicht wichtig, doch verlangen wir pro Person mindestens 23.300 Euro. Die Grundlage bilden frühere vergleichbare Fälle. Jedoch kann damit nicht ersetzt werden, was uns genommen worden ist. Viele von uns sind ein Leben lang verstört.

Planst  du, irgendwann auf anderem Wege eine Familie zu gründen?
Ja. Leider gestalten sich die Familiengesetze so, dass es Transsexuellen nicht möglich ist, eine Familie zu gründen. Mein zukünftiger Mann und ich planen, diesen Sommer zu heiraten. Danach müssen wir weiterhin kämpfen, um Kinder zu haben. Weder Adoption noch Leihmutterschaft stellen in Schweden für Transsexuelle eine Option dar. Momentan sieht es nicht wirklich gut aus. Es gibt noch eine Menge zu tun.

Herzlichen Glückwunsch zu deiner Hochzeit! Viel Glück für die Zukunft, Amanda.