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Homo-Ehe: Wollen wir wirklich so hetero werden?

Florian Vock, Chefredaktor vom „Milchbüechli“, der Zeitschrift für die falschsexuelle Jugend, erzählt uns weshalb die Homo-Ehe kaum das Mass der Gleichberechtigung sein kann.

Foto von Pelin Yurer

Wir vom Milchbüechli, der Zeitschrift für die falschsexuelle Jugend, sind ja bekannt für unsere homosexuelle Staatspropaganda. Sowohl SVP wie Basler Zeitung haben das in investigativer Arbeit aufgedeckt. Doch es kommt noch schlimmer: Nicht nur wollen wir unsere Perversitäten in die Mitte der Gesellschaft tragen, wir wollen diese Gesellschaft quasi revolutionär umstürzen. Darum rufe ich laut zum Widerstand gegen die Homo-Ehe. Ein Homo ist gegen die Homo-Ehe?! Nicht ganz. Aber dass das Konzept der Ehe nicht funktioniert, ist ja allgemein bekannt. Wie absurd, finde ich, dass wir Homos hier mitleiden wollen!

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Foto von Ledwina Siegrist

Die Homo-Ehe ist das Schlachtfeld der Fortschrittlichen gegen die Rückständigen, der Aufgeklärten gegen die Fundis, der Jungen gegen die Alten. Homo-Ehe: Gute Welt. Keine Homo-Ehe: Böse Welt. Da halte ich dagegen: Es gibt wohl einige, für die eine staatlich legitimierte, kirchlich bejahte und gesellschaftlich gefeierte Ehe eine gute Sache ist. Es gibt auch legitime und richtige Gründe, jeden Fortschritt für mehr Ehe zu feiern.

Aber worüber sprechen wir hier eigentlich? Heute ist die Ehe ein romantisiertes Bündnis voller impliziter und expliziter Gesetze. Sie ist die Idee, sich gegenseitig die Liebe zu versprechen, sich Monogamie zu schwören und für immer der exakt gleiche Mensch zu bleiben.

Foto von Reikon Devour

Der Blick ein paar hundert Jahre zurück zertrümmert dieses romantische Bild der Ehe nachhaltig. Die Ehe hatte früher recht wenig mit grossen Gefühlen, Adoptionsrechten und Schmetterlingen zu tun. Es war ein Zweckbündnis, um sich das wirtschaftliche Überleben zu sichern. Liebe und Sexualität fanden in aller Regel ausserhalb dieser Ehe statt. Denn die mächtige und strenge Kirche wollte es so.

Davon sind wir inzwischen losgekommen. Es heiraten wohl nicht mehr viele aus Angst vor dem Fegefeuer. Die Ehe ist etwas Exklusives, darum geht es ja. Nur diese eine Person ist wirklich wichtig, das Ying zu meinem Yang, das Töpfchen zum Deckelchen, der Adam zur Eva. (Und dann, nach einigen Jahren, die Scheidung. Aber darüber legt sich der Mantel der Verschwiegenheit. Die gute Hollywood-Romanze endet ja schliesslich mit der Heirat oder dem ersten Wurf.)

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Foto von Reikon Devour

Bei solchen Vorstellungen bleiben alle anderen aussen vor: Wo sind da die besten Freunde/innen, die Geschwister, der vertrauenswürdige Barkeeper oder all die anderen Menschen, die in unserem Leben eine so wichtige Rolle spielen—ohne Bluts- oder Staatsverbindung? Gehören sie nicht auch zu den wichtigsten Menschen?

Die Ehe ist der Exlusivitätsanspruch auf einen einzelnen Menschen. Koste es, was es wolle. Warum nur wollen wir Homos da mitmachen? Das sollten wir uns fragen. Die Homo-Ehe präsentiert sich uns heute als die ultimative Lösung für alles. Haben wir endlich die Homo-Ehe, werden wir befreit sein. Ying und Ying, Adam und Adam, Eva und Eva. Unsere Mütter finden das auch ganz süss, diese Schwulenhochzeiten. Es ist halt irgendwie einfacher und wird verstanden, wenn wir uns für die Homo-Ehe einsetzen

Foto von Pelin Yurer

Doch die Homo-Ehe ist definitiv nicht das Pinke vom Ei. Nicht nur, dass die Einführung der Homo-Ehe selten wirklich gleiche Rechte ermöglicht. Während all jene Homos, die jetzt heiraten, gesellschaftlich akzeptabler werden, sind dann nämlich alle Anderen, die „anderen" Homos, die Noch-Perverseren.

Diese Anderen sind dann plötzlich Huren und Schlampen, weil sie mal zu dritt Sex haben und zwei Männer in der gleichen Woche; sie sind keine tollen Shopping-Schwulen, weil sie nicht monogam leben; sie sind pervers, weil sie nicht erst nach dem dritten Date ficken, sondern vor dem ersten; sie sind eklige Kampflesben, weil sie in Latex und Leder durch die Welt rennen. Müssen wir jetzt alle genauso wie verklemmte Heteros mit 25 unseren festen Freund haben, um dann bald die eingetragene Verpartnerung und die Kinderadoption anzustreben?

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Foto von Reikon Devour

Zur Erinnerung: Die Herausforderung für uns in dieser Gesellschaft ist nicht das Recht auf Heirat der privilegierten Schwulen- und Lesbenschicht. Der fehlende soziale Schutz Jugendlicher, die unsäglich hohe Suizidrate junger LGBT, die vernachlässigte Gesundheitsversorgung, die ungelöste Frage des Alterns, die marginalisierten Gruppen innerhalb der Community, die bedrohliche Armut, die Verweigerung der Sexualaufklärung an Schulen, die Probleme am Arbeitsplatz: Die echten Problemstellungen verändern sich nicht mit der Homo-Ehe.

Ich schlage darum ein anderes Vorgehen vor: Schwule sollten nicht fordern, heiraten zu dürfen. Sie sollten nicht fordern, in Kriegen genauso töten zu dürfen wie heterosexuelle Männer. Vielmehr sollten Schwule die Anerkennung der Liebesfähigkeit als männliche Eigenschaft verlangen und damit zu Pazifisten werden. Die Homobewegung hat eine gemeinsame Idee: Herrschaft durch Liebe zu ersetzen! Liebe zu Frauen, zu Männern, zu Menschen.

Wir sollten also nicht blind alles einfordern, was sich in der Heterowelt als absoluter Blödsinn bewiesen hat: Ehe, Krieg oder Kitsch. Wir sollten nicht gleich sein wollen. Wir sollten zeigen, wo wir besser sein könnten – dank unserer Erfahrung, dank unserer Geschichte, dank unserer Community.

Foto von Jonas Zürcher

Gerade lesbische und schwule Gemeinschaften pflegen besondere Formen der gemeinsamen Lebensweisen ausserhalb der Ehe. Das hat historische Gründe: Wer aufgrund seiner sexuellen Orientierung im KZ oder Knast landete, seinen Job verlor oder sein soziales Umfeld, dem war es auch nicht möglich, klassische Beziehungen zu führen. Das ist unschön. Es entwickelten sich daraus aber auch vielfältige und kreative Lebensformen. Wir könnten heute zeigen, wie vielfältig Familie, Beziehung und Sex sein kann und wie wenig das mit der einschränkenden und bevormundenden Vorstellung der Ehe zu tun hat.

Wir können der heterosexuellen Welt zeigen, wie zufrieden und glücklich ein Mensch sein kann, wenn er sich seine beste Art zu leben selbst erdenkt und erfährt. Aber einfach die billigste aller Vorlagen der Heteros für unsere queere Welt zu kopieren: Bringt das Fortschritt? Wollen wir wirklich so werden wie unsere geschiedenen Eltern – einfach hetero-light? Wäre Fortschritt nicht, die vielen Formen der Freundschaft und Liebe als Praktiken in der Community und als Recht aller Menschen zu propagieren? Wollen wir einen Staat, der uns vorschreibt, wie wir unsere Zuneigung zu organisieren haben und allen anderen grundlegende Rechte verwehrt? Wollen wir statt Menschen lieber Ehemänner und Ehefrauen sein?