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​Dieser Typ versetzt professionell Medikamente mit selbst gezüchteten Viren

Ich habe mit einem Mikrobiologen gesprochen, der einen Beruf hat, von dem die meisten von uns nicht einmal wissen, dass es ihn gibt.
Alle Fotos von VICE Media

Als ich vor einiger Zeit Sammi, einen guten Bekannten aus der Studienzeit, bei der U-Bahn traf und er mir erzählte, was sein Job ist, hatte ich eine Reaktion, wie sie vielleicht viele haben würden: Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, dass es so einen Beruf überhaupt gibt. Er ist Mikrobiologe und macht in einem Labor mit Biosafety Level 2 sogenannte "Virusabreicherungsstudien".

Das bedeutet, dass Pharmafirmen seinem Labor Zwischenprodukte der geplanten Medikamente zuschicken und diese dort mit eigens gezüchteten „Modellviren" versetzt werden, die sich wie die ganz bösen Viren verhalten, aber harmlos sind. Nach diesem „Spike" werden im kleinen Maßstab verschiedene Virenaktivierungsverfahren, Nanofiltration und diverse Chromatographien—crazy Science Stuff—durchgeführt und es ergibt sich ein aufschlussreiches Vorher-Nachherbild, wie man weiter mit den Viren verfahren wird.

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Sammi und seine Kollegen können in ihrem Abschlussbericht den „Abreicherungsfaktor" feststellen—also einfach gesagt, ob die Herstellung dieser pharmazeutischen Materialien dem internationalen Standard entsprechen. Ich habe mit dem alten Studentenfreund ein bisschen über die Pharmaindustrie, Laborsicherheit und ihre Virensammlung gesprochen. Sehr viel übersichtlicher ist die moderne Wissenschaftswelt der Medizin für mich dadurch leider auch nicht geworden.

VICE: Wenn irgendwie möglich, erkläre mir bitte kurz, was du eigentlich beruflich machst.
Sammi: Wir nehmen für Pharmafirmen Studien an ihren Produkten vor. Dafür hantiere ich mit Viren-Stocks um diese Materialien zu testen und sicher zu stellen, dass nachher keine Viren im Produkt enthalten sind.

Wie können Viren überhaupt in Medikamente reinkommen?
Erstens sind Ausgangsstoffe für Medikamente schon oft humanes Plasma oder tierisches Plasma. Da kann man auch bei strengen vorausgehenden Sicherheitsmaßnahmen eigentlich nie komplett ausschließen, dass im Material keine Viren sind. Es gibt auch welche, die noch nicht einmal bekannt sind. Zweitens werden Medikamente immer mehr mit Zellkulturen hergestellt—zum Beispiel ein pharmazeutisch wirksames Protein, wie ein monoklonaler Antikörper. Bei dieser Anzüchtung von Zellen können Kontaminationen mit Viren auftreten. Eine Möglichkeit dafür ist FBS, Fetales Bovines Serum, das potentiell kontaminiertes Material sein könnte.

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Motherboard: Manche Idioten, besonders Germanischer Medizin anhängende Impfgegner, glauben, dass es Viren wie Masern nicht gibt—einer hat deshalb 100.000 Euro zahlen müssen.

Was wäre denn das Schlimmste, was mit so einem Medikament in der „Entwurfsphase" passieren könnte?
Worst Case wäre, dass irgendwie ein Virus in die Zellkultur gerät und sich dann in den pharmazeutisch generierten Zellen mitvermehrt. Da will man den Virengehalt auf einen winzigen Bruchteil runterbekommen, also einen möglichst großen Abreicherungsfaktor erreichen.

Und geht es nicht auch ganz ohne Viren?
Nein, Viren sind überall, die Frage ist nur, wie viele. Der durchschnittliche Mensch hat zum Beispiel mindestens zwei verschiedene Herpesviren in sich.

Und wie reagieren Leute auf deinen Beruf?
Naja, Leute die im pharmazeutischen oder medizinischen Bereichen arbeiten, haben meistens schon einmal von Virenabreicherung gehört und wissen natürlich, dass es das gibt.

Ich hatte keine Ahnung. Aber arbeitet ihr eng mit den Pharmakonzernen zusammen?
Hier wird versucht das geografisch getrennt zu halten. Es würde der Medikamentenproduktion nicht gut tun, wenn wir im selben Haus wären. Da wäre klarerweise das Kontaminationsrisiko zu groß.

Viren sind überall, die Frage ist nur, wie viele. Der durchschnittliche Mensch hat zum Beispiel mindestens zwei verschiedene Herpesviren in sich.

Weil du geografisch sagst, seid ihr da auch internationale Teams?
Ja, wir haben auch Kunden aus Japan, Korea, USA und sogar Kuba oder Iran. Letztere sind eher Exoten. Deutsche Pharmafirmen sind natürlich die hauptsächlichen Partner.

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An welchem Punkt der Produktionskette bekommst du die Medikamente um sie zu testen?
Das ist eher unterschiedlich. Ganz am Ende des Prosses sind wir aber eher selten, auch ganz am Anfang eher nicht. Meistens bekommen wir das erste löslichen Zwischenprodukt, den Zellaufschluss oder genauer gesagt Zelllysat, wie man sagt, und dann die Ausgangsmaterialien diverser Zwischen- und Reinungsschritte. Manche Firmen halten sich da auch sehr bedeckt und sagen uns gar nicht, was das Endprodukt dann eigentlich wird. Die Amerikaner sind da eher offener, die Ostasiaten meist eher verschwiegener.

Wie macht man denn überhaupt Medikamente?
Soweit ich weiß, gibt es bei so einer Produktion vier Phasen. Am Anfang gilt ganz einfach R&D, Research and Development. Davor müssen die Pharmafirmen natürlich behördlich sicherstellen, ob sie das eigentlich dürfen. Phase 2 beinhaltet schon Versuche mit teilweise Ergebnissen und Reinigungsschritten. Da sollte schon von einer erfolgreichen Umsetzung auszugehen sein. In Phase 3 muss dann aber auch ein positives Attest—von uns beispielsweise—abgegeben worden sein, meist noch davor aber spätestens dort. Da beginnen dann die klinischen Studien und so weiter.

Also ihr seid mehr oder weniger für die Medikamentenentwicklung in Phase 1 und 2 zuständig und habt keine fertigen Tabletten unter dem Mikroskop, so wie ich mir das blöd plakativ vorstelle.
Genau, und wenn die Firma auch nur eine Kleinigkeit am Verfahren ändert müssen sie wieder eine ganz neue Studie bei uns beantragen.

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Kommen da viele bekannte Markennamen auch bei euch ins Labor?
Ja, einige darf ich nicht nennen, darum nenne auch besser gar keinen Namen, da ich mich nicht genau erinnere, welche ungenannt bleiben wollen und welche nicht. Viele würdest du gar nicht kennen, sind kleinere Firmen. Es sind schon auch ein paar bekannte Namen dabei, aber die machen die Virenabreicherungsstudien meist selber.

Gibt es Medikamente, die keine Zulassung bekommen?
Es gibt den Goldstandard beziehungsweise den Stand, bei dem man sagt: Das ist erfolgreich oder nicht. Erwünscht ist meist ein Abreicherungsfaktor von „4 LOG", das heißt 10 hoch 4. Die Virenlast wird von einem einzelnen Verfahrensschritt auf ein Zehntausendstel runtergebracht. Weniger ist natürlich noch besser.

Wie kann man diesen Faktor bestimmen?
Zum Beispiel mit der Chromatographie.

Was ist eine Chromatographie—das kommt mir bekannt vor?
Chromatographie ist ein physikalisches Auftrennungsverfahren, bei dem du eine Komponentengemisch auftrennst in seine Komponenten. Die Papierchromatographie kennst du vielleicht? Wenn du mit einem Filzstift einen Punkt auf ein Löschblatt machst und das dann in Wasser stellst, saugt es sich nach oben hin voll. Dabei nimmt es den Farbpunkt mit und trennt ihn in die Grundfarben auf. So funktioniert im Prinzip jede Chromatographie, die auch die Abtrennung der Viren aus dem pharmazeutischen Produkt bewirken.

Wie kann man sich einen normalen Tag in deiner Arbeit vorstellen?
50 Prozent sind Büroarbeit, Studienpläne, Protokolle und Abschlussberichte. 30 Prozent sind manuelle Laborarbeit und 20 Prozent sind dann wieder Dokumentation dieser Arbeit, also das Ausfüllen der erwähnten Protokolle.

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Und wie bist du bei der Laborarbeit geschützt beziehungsweise die Außenwelt vor den Viren?
Wir sind ein Biosafety Level 2-Labor. Da gibt es 4 Stufen, wobei man 4 wahrscheinlich am ehesten aus Filmen kennt, mit den Überdruckanzügen mit Schläuchen und Schleusen. Bei Stufe 3 fällt dieser extreme Schutzanzug weg, aber die Luftversorgung ist über ein Atemschutzgerät. So ein Biosafety 4 Labor—oder 3 reicht auch—zu sehen, wäre schon sehr spannend. 4 gibt es gar nicht in Österreich, das tschechische Militär hat aber eins um sich vor Angriffen mit biologischen Waffen zu schützen.

Was brauchen wir eher in Österreich, ein Biosafety Lab 4 oder den Eurofighter?
Mit Level 4 könnte man zum Beispiel mit Ebola arbeiten und das wäre für die Wissenschaft klarerweise interessant. Aber alleine das Betreten des Labors ist da extrem aufwendig, wahrscheinlich dauert das mehr als 10 Minuten. Der Eurofighter bringt nicht viel.

Wie kann man sich die Sicherheitsmaßnahmen bei eurem Labor vorstellen?
Bei unser Stufe 2 ist das Labor selbst auf Unterdruck gesetzt und wenn sich die Tür zum Gang hinaus öffnet, wird die Luft nur ins Labor hineingesaugt und nichts kann raus. Das Gleiche gilt, wenn man von ganz außen den Laborgang betritt, der auch Unterdruck hat. Vor dem Betreten zieht man einen weißen Labormantel und -schlapfen an. Wenn du dann mit etwas Infektiösen hantieren solltest, wechselst du auf einen blauen wasserundurchlässigen Laborkittel, die man hinten zumacht, und ziehst doppelt Latexhandschuhe an—da die schon mal ein kleines Loch haben können, nicht so wie andere Latexprodukte. Acrylhandschuhe nehmen wir eher nur bei aggressiven Chemikalien.

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Habt ihr dann auch zusätzlich Geräte, die für sterile Verhältnisse sorgen?
Wir haben dafür sogenannte Lamina Flow-Werkbänke. In so einem Gerät strömt durchgehend sterile Luft von oben nach unten. Und wenn sie rausgeht, wird sie direkt wieder durch den HEPA-Filter gereinigt. Meine Hände mit den beiden Handschuhen desinfiziere ich erst mit Isopropanol und arbeite dann an der Lamina Flow-Werkbank.

Alle Bilder VICE Media – zur Verfügung gestellt vom Interview-Gast

Sieht ein bisschen aus wie eine Salatbar. Was wäre denn das Horrorszenario mit euren Laborviren?
Wir haben hauptsächlich Viren, die für den Menschen fast bis gar nicht pathogen sind, sprich gefährlich. Das ärgste Virus, das wir haben, ist Masern, dagegen sind wir logischerweise alle geimpft. Hepatitis A haben wir auch, obwohl wir kaum damit arbeiten. Wir benutzen für unsere Abreicherungsstudien hauptsächlich ungefährliche Modellviren. Die sind alle nur für Schweine oder Rinder infektiös. Mäuseviren haben wir auch einige. Für einen gesunden Menschen harmlos.

Also euch sind noch keine Ausnahmezustände oder irgendwelche unbekannte Akte-X-Viren untergekommen.
Die meisten Viren vermehren wir ja selber im Labor und die sind logischerweise nicht unbekannt. Zum Beispiel kann man anstatt des Retrovirus HIV, der eine Membranhülle hat, bei Abreicherungsstudien Leukämieviren für Mäuse verwenden—beide sind sich von den physikalischen und chemischen Eigenschaften sehr sehr ähnlich und wir können natürlich nicht mit echtem HIV arbeiten.

Ihr verwendet also selbstgemachte Viren um die Medikamente zu testen. Wie bekommt man denn solche Modellviren?
Wir ordern Viren bei einer Standardbehörde wie die ATCC, American Type Culture Collection, oder bei der European Type Culture Collection, und bekommen Stammlösungen, die wir bei uns im Labor dann adaptieren. Da wird dann auf Zellkulturlinien ein Virus vermehrt und danach rein gewonnen. Mit den resultierenden Viren-Stocks können wir bei den jeweiligen Produktstudien die „Spikes" machen, die uns in einem Vorher-Nachher-Prinzip die Einblicke in die Virenabreicherungskapazität einzelner Verfahrensschritteermöglichen.

Also habt ihr da einen ganzen Kühlschrank voller Virenstämme?
Ja genau, im Freezer auf Minus 60 bis Minus 80.

Was meinst du? Ist die Pharmaindustrie das ultimative Böse, wie viele Verschwörungstheoretiker und Impgegner glauben?
Naja, wie alle anderen „bösen" Millionenkonzerne arbeitet auch die Pharmaindustrie im Kapitalismus. Das heißt, dass mit gerade noch legalen Mitteln der meiste Profit gemacht werden muss. Auch Pharmafirmen müssen in diesem System arbeiten. Da passieren sicher auch manchmal schlimme Dinge, was aber kein Merkmal der Pharmaindustrie ist, sondern ein Merkmal einer jeden großen Industrie. Wenn man ernsthaft krank ist, sollte man zum Arzt gehen. Bei einem Schnupfen reicht ein Hustenzuckerl, ein Ingwertee oder ein Placebo—sprich homoöpathische Medizin, wenn man daran glauben will. Man kann sich ja viel einreden und manchmal hilft das auch.

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