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Du willst studieren? Vergiss es! Eher wanderst du in den Knast

Der iranischer Regisseur Jafar Panahi erhielt einen Preis bei der Berlinale, aber das passt Teheran gar nicht. Es ist „illegal", solche Filme zu drehen, geschweige denn zu ehren! Wie es ist, in einem solchen Land zu leben, wollten wir genauer wissen...

Stell dir vor, du bist erst 21 und musst alleine auf einem Pferd mit einer Gruppe von fremden Schmugglern über einen Pass in den Bergen dein eigenes Land fliehen. Nur weil du zu Hause das Recht eingefordert hast, an der Uni studieren zu dürfen. „Wir sind über die Berge in die Türkei geflohen”, sagte Hesam Misaghi in einem Interview mit mir. „Ich bin sechs- bis siebenmal runtergefallen und es war eiskalt. Ich habe mir das nicht so anstrengend vorgestellt.” Der heute 24-Jährige ist ein zierlicher Junge, der ganz in schwarz gekleidet ist, eine eckige Brille auf der Nase hat und eine lange Kette mit einem runden, goldenen Anhänger um den Hals trägt. Er ist vor knapp drei Jahren aus dem Iran geflohen. Er wurde verfolgt und es drohte ihm eine langjährige Gefängnisstrafe.

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Es wird knallhart unterdrückt

Wer einmal in Teheran war, der wundert sich, dass das hier die Hauptstadt des theokratischen Unterdrückungsregimes im Nahen Osten sein soll.

Hier stehen Hochhäuser, Coffeeshops, Restaurants, Geschäfte und alles, was eine moderne Großstadt eben so braucht. Obwohl die Frauen verschleiert sind (Kopfbedeckung ist hier Pflicht), tragen sie moderne und figurbetonte Kleidung. Oft ist das Kopftuch auch nur am Pferdeschwanz angebracht, fast schon symbolisch.

Aber der Schein trügt. Sechs Monate vor den nächsten Präsidentenwahlen wollen die Machthaber kein Risiko eingehen. Reformsympathisanten werden im Vorfeld radikal unterdrückt. Die Angst wird als Waffe gegen das Volk eingesetzt.

Hesam wurde mehrmals von der Regierung bedroht. Seinen besten Freund haben sie geschnappt und ins Gefängnis geworfen, wo er auch heute noch sitzt. Einen Monat lang ist Hesam untergetaucht und lebte in Angst und Schrecken, ohne Kontakt zu seiner Familie. Um der Verhaftung zu entkommen, entschied er sich, aus seinem Heimatland zu fliehen. Viele erlitten auf der Reise Traumata, mit denen sie bis heute zu kämpfen haben.

Nach der niedergeschlagenen Grünen Revolution 2009 hat die Regierung noch aggressiver nach den Anstiftern gesucht. Hesam stand ebenfalls auf ihrer Liste.

„Die Unterdrückung ist viel stärker geworden, weil die Regierung merkt, dass die Leute wirklich etwas verändern wollen”, sagt Hesam in gebrochenem Deutsch. Seine Familie gehört dem Bahaitum an, einer Religionsgemeinschaft, die von der iranischen Regierung schon seit Langem geächtet wird. Aus diesem Grund war es Hesam 2007 verboten worden, sein Anglistikstudiumweiter zu verfolgen. „Dann habe ich angefangen, für mein Recht auf Ausbildung zu kämpfen”, erzählt Hesam.

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Zusammen mit anderen Studenten, die auch der Uni verwiesen wurden, gründete Hesam eine Protestbewegung für das Recht zum Studium und den Schutz von religiösen und sexuellen Minderheiten im Land. Bald darauf schlossen sie sich Menschenrechtsbewegungen an, wurden immer größer und dadurch der Regierung immer unangenehmer.

Im Februar 2010 erreichte Hesam alleine die Türkei. „Ich habe einen Bruder und eine Schwester, die in Teheran geblieben sind”, sagt Hesam traurig. Als er weg war, hat die Regierung sein Zuhause durchsucht und CDs, Computer und Festplatten beschlagnahmt. Seinen Kampf im Exil weiterzuführen, ist allerdings nicht das Gleiche, wie als er noch im Iran lebte. „Man merkt schnell, dass man den Kontakt nach Hause verliert”, sagt er. „Die Sprache ändert sich. Manchen Slang verstehe ich gar nicht mehr, wenn ich mit meinen Freunden über das Internet spreche.” Nachdem er wenige Monate in der Türkei gelebt hatte, wurde Hesam Asyl in Deutschland gewährt.

Seit Hesams Flucht hat sich politisch im Iran wenig verändert

Im Gegenteil. Der Iran ist strenger denn je. Nachdem der iranische Regisseur Jafar Panahi heimlich am Kaspischen Meer in Nordiran einen Film gedreht hatte, der letzte Woche bei der Berlinale ausgezeichnet wurde, kocht der iranische Kulturminister vor Wut. „Im Iran müssen Filme mit Erlaubnis gedreht und auch mit Erlaubnis ins Ausland geschickt werden, daher ist die Produktion und Aufführung dieses Films illegal und dementsprechend eine Straftat“, sagte Vize-Kultusminister Dschawad Schamaghdari. Gerade vor der Wahl ist die Regierung besonders streng. „Sie haben jetzt Angst davor, dass es wieder zu Demonstrationen kommt”, sagt Hesam. Die Machthaber wollen Kontrolle über die Menschen im Land.

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Der iranische Regisseur Jafar Panahi (Foto von Cines del Sur)

Hesams Aktivismus war Teil des wachsenden Unmuts im Land, der 2009 zu dem revolutionären Aufstand nach der Präsidentenwahl führte. Die Wahl damals lief auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zweier Kandidaten hinaus. Der eine war Mahmud Achmadineschad, ein konservativer Populist. Auf der andere Seite gab es Mir Hossein Mussawi, ebenfalls ein Politiker der alten Revolutionselite, der sich aber inzwischen dem sogenannten Reformistenlager angeschlossen hatte. Als das Wahlergebnis bekannt gegeben wurde und Achmadineschad als klarer Sieger hervorging (obwohl Umfragen zuvor ganz anderes angedeutet hatten), hielt es viele Menschen nicht mehr in ihren Häusern und sie gingen auf Straßen. Die Regierung schlug zurück. Mussawi wurde unter Hausarrest gestellt (wo er heute noch ist). Die Protestwelle erreichte den Höhepunkt, als ein Mädchen auf offener Strasse von Sicherheitskräften erschossen wurde.

Es braucht ein einschlägiges Ereignis, damit wieder eine Revolution ausbricht

„Ich glaube, dass etwas passieren muss, das die Leute zu neuen Protesten animiert, so wie in den arabischen Ländern, wo sich einer auf der Straße verbrannt hat”, sagt Hesam. Die Regierung schüchtert die Menschen im Vorfeld der Wahlen so ein, dass es kaum mehr Möglichkeiten zu Protesten gibt, sagt er. Trotzdem tut sich was im Land, aber auf einem sehr unscheinbaren und intellektuellen Niveau: Die Menschen bilden sich weiter fort. „Wir lesen viel, vor allem auf Facebook und Webseiten für Menschenrechte.”

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Gerade erst wurden wieder zwei Gefangene öffentlich gehängt, ein Relikt aus den Zeiten direkt nach der Revolution 1979, als „Reaktionäre“ in Teheran allerorts von den Straßenlaternen baumelten. Heutzutage führt so etwas jedoch zu einem Aufschrei in den sozialen Netzwerken. „Die Fotos zeigen, wie die Leute geweint und geschrien haben, weil sie nicht wollten, dass die beiden gehängt werden”, sagt Hesam.

Die Wahl selber bietet allerdings kaum Alternativen. Achmadineschad wird nicht wieder antreten, weil es ihm die Verfassung nicht erlauben würde. Außerdem hat sich dieser inzwischen gründlich mit seinem ehemaligen Förderer Chamenei zerstritten. Das religiöse Oberhaupt und Nachfolger von Chomeini, Ajatollah Ali Chamenei, wird dieses Mal nichts anbrennen lassen und eine absolut regimetreue Auswahl an Kandidaten treffen. „Wir werden hundertprozentig vier oder fünf Kandidaten haben, die ganz im Sinne von Chamenei und der Regierung denken und handeln”, sagte Hesam. Nur wenn es einen Aufruf von Moussawi oder Karrubi (den beiden Refomisten, die unter Hausarrest stehen) geben wird, wäre eine Revolution denkbar, so Hesams Einschätzung.

Weit weg vom Iran beschäftigen Hesam jetzt andere Themen

Hesam ist jetzt zu weit weg und verliert den Bezug zu seiner Heimat. Da unterscheidet sich seine Generation von den „alten" Exil-Iranern. „Als ich noch im Iran war und immer diese Artikel von politischen Asylanten gelesen habe, die 30 Jahre im Ausland waren, war das immer ein wenig komisch. Sie fixierten sich nur auf das Jahr 1980.”

Auch für Hesam ist es nicht anders. Er ist zu weit weg. Er möchte sich jetzt auf sein neues Leben in Deutschland konzentrieren, wo er studieren darf, und nicht mehr länger in der Vergangenheit schwelgen.

„Ich sollte glücklich sein. Im Iran wäre ich jetzt im Gefängnis”, sagte er. In Berlin hat er neue Freunde gemacht, die teilweise auch aus dem Iran stammen (insgesamt leben knapp 54.000 Iraner in Deutschland, allein im letzten Jahr kamen 50 Neue dazu, darunter auch Hesam). Jetzt will er Politik und Kommunikationswissenschaften studieren.

„Wenn ich zurück könnte, dann würde ich gehen. Aber bis dahin baue ich mir was Neues auf. Ich bin nicht der nostalgische Typ.”