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Popkultur

Die Kommentare zu unserem Polizeigewalt-Video – nach Dummheit sortiert

Von „Jetzt freuen sich wieder die Polizeihasser" über „Guter Schauspieler, dieser Stuntman da" bis „Ordentlich eine in die Fresse und dann befragen"—wer macht das Rennen?
Alle Screenshots von VICE Media via Facebook

Das Internet ist ein Ökosystem aus Aufmerksamkeit und Empörung. Wer erstere hat, löst zweitere aus und wer zweiteres betreibt, bekommt nicht selten ersteres als Gegenleistung.

In ihm werden Nachrichten gemacht, verdaut und als Shitstorms wieder ausgeschieden. Und egal, wie sehr wir uns alle vornehmen, die Kommentare das nächste Mal einfach nicht zu lesen, bleiben wir als soziale Menschen in den sozialen Medien irgendwie doch immer genau dort hängen. Und das, obwohl Studien schon seit Jahren nahelegen, dass Medien ihren Kommentarbereich komplett abschaffen sollten.

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Auch wir sind von diesem Vorsatz betroffen—und auch wir brechen ihn jedes Mal aufs Neue. So auch heute wieder, nachdem wir gestern gemeinsam mit dem FALTER einen Fall von Wiener Polizeigewalt anhand eines Handyvideos aufgedeckt haben.

Unter den Reaktionen waren auch diesmal wieder genügend Argumente für jeden Kulturpessimisten, um das Internet sofort abzuschalten. Wir haben die schlimmsten nach Dummheit sortiert.

Wer einen kritisiert, hasst sie alle

Einer der häufigsten (wenn auch nicht der dümmsten) Vorwürfe lautet, dass jede Kritik am Fehlverhalten einzelner Polizisten eigentlich nur von allgemeinem „Polizeihass" motiviert sein kann. Dass wir uns bei VICE nicht gegenseitig ACAB auf die Stirn malen oder gegen die Exekutive verschworen haben, habe ich schon mit diesem Kommentar zu einem anderen Polizeigewalt-Video klarzustellen versucht.

Trotzdem (oder gerade deswegen) finde ich es immer noch verwunderlich, wie einige User im Aufzeigen von illegalen Handlungen oder unverhältnismäßiger Gewalt nichts anderes sehen können als mangelnde Kollegialität mit den Tätern. Wenn meine Mitarbeiter sich als gewalttätige Lügner herausstellen sollten, würde ich das ehrlich gesagt gerne wissen. Ich wäre auch nicht sauer auf den Überbringer der Botschaft. Stattdessen würde ich mich über die Kollegen ärgern, die den Ruf unserer gesamten Arbeit damit beschädigen. Weil ich gerne lieber nicht mit Arschlöchern zusammenarbeiten würde. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass anständige Polizisten das anders sehen.

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Dummheit: 2/10

Ihr müsst euch da hineinversetzen (Stockholm-Syndrom)

Es stimmt schon, man sollte nicht vorschnell urteilen. In unserem Fall haben wir zum Beispiel erst geurteilt, nachdem wir uns das Video zirka ein Dutzend Mal angeschaut haben—und selbst dann nur über genau dieses eine besagte Video.

Wir haben mit Experten gesprochen, uns mit dem FALTER ausgetauscht und sehr viele Male sehr genau darauf geachtet, ob bei dem Festgenommenen auch nur einen Funken Körperspannung zu erkennen ist, den die Beamten als Widerstand auslegen hätten können. Dabei haben wir auch nach der zehnten Wiederholung keinerlei Anzeichen für gewalttätiges Verhalten des gefesselten Mannes erkannt. Was wir im Zuge dessen sehr wohl erkannt haben, ist, dass ein Gesicht, das auf Asphalt schlägt, ein ziemlich beängstigendes Geräusch macht.

Inzwischen haben sich ziemlich alle nennenswerten Medien Österreichs unserer Interpretation des Videos angeschlossen. Ob man dafür wirklich einen Streifendienst gemacht haben muss, ist zumindest diskussionswürdig (wir täten uns auf Dauer etwas schwer, wenn wir jeden Beruf, über den wir in irgendeiner Form schreiben, selbst ausgeübt haben müssten). Im Übrigen ist es aber sogar so, dass wir genau eine solche Anfrage bereits vor Längerem an die Wiener Polizei gestellt haben—bisher erfolglos.

Dummheit: 2/10

Die Ironischen Überhöher

Das einzige, das noch schlimmer ist als Nazis, sind ironische Nazis. Die mit dem Augenzwinkern, der Deckung in beide Richtungen („Na, hab ich das ernst oder ironisch gemeint?") und der Überhöhung ins Gegenteil. Niemand verlangt nach Samthandschuhen—und niemand sollte umgekehrt nach noch härterem Durchgreifen verlangen. Egal, wie indirekt man es auch formuliert und wie sehr man sich auf die vermeintliche Ironie rausreden kann. Es bringt nichts, bei solchen Leuten zwischen den Zeilen zu lesen—dort steht nämlich nichts.

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Dummheit: 3/10

Der wird das sicher verdient haben!

Als jemand, der auf LSD am Christkindlmarkt war, weiß ich, wie schwierig es in manchen Situationen sein kann, zwei konzise, zusammenhängende Sätze zu formulieren. Deshalb will ich nicht darauf herumreiten, dass der erste Satz wie etwas klingt, das man direkt nach einer Lobotomie tippen würde.

Der wesentliche Teil ist sowieso der zweite Satz. Ja, wer weiß bitteschön wirklich, „was der Kerl vorher gemacht hat"? Was, wenn er sich, wie im Polizeibericht steht, als Dieb herausstellt? Wären dadurch etwa nicht alle Gesetze außer Kraft gesetzt? Dürften die Beamten dann vielleicht nicht mit ihm umspringen, wie sie wollen? Nein? Oh.

Dummheit: 4/10

!!!?!einself!!1?!

Nichts ist ein so verlässlicher Indikator für Wahnsinn wie der exzessive Gebrauch von Ruf- und Fragezeichen. Besonders in Kombination mit inhaltsleeren Sätzen, die eigentlich nicht viel mehr sagen als „Ich weiß es besser, sag dir aber nicht, warum", bedeuten sie: Hier schreibt ein Mensch, der sich seine Meinung nicht von Fakten kaputt machen lässt. Ja, wir haben das Video gesehen. Nein, wir sehen immer noch keinen Widerstand. Einself.

Dummheit: 5/10

Euch will ich mal sehen in so einer Situation!

Niemand bezweifelt auch nur eine Sekunde lang, dass Privatpersonen manchmal unverhältnismäßig reagieren würden, wenn sie in derselben Situation wären, mit der Polizeibeamte tagtäglich konfrontiert sind. Das liegt vor allem daran, dass sie als Privatpersonen reagieren. Die nicht tagtäglich mit solchen Situationen konfrontiert sind. Im Gegensatz zu Polizeibeamten.

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Es stimmt: Wenn jemand in meine Wohnung einbricht, kann ich nicht garantieren, dass ich mich juristisch oder moralisch richtig verhalte (außer, es gilt als juristisch und moralisch korrekt, sich im Kleiderschrank zu verstecken und zu heulen). Genauso wenig kann ich garantieren, dass mich als Autofahrer ein Stau nicht in den Wahnsinn treibt. Wer genau das aber sehr wohl garantieren können sollte, sind Busfahrer, deren verdammter Job es ist, in genau solchen Situationen ruhig und besonnen zu bleiben. Ersetze Autofahrer durch Passant, Stau durch Festnahme und Busfahrer durch Polizist.

Dummheit: 7/10

Ich sehe was, das keiner sieht (1)

Eine beliebte Taktik rechter Argument-Akrobaten ist es auch, seine Meinung basierend auf einer Prämisse zu formulieren, die schlichtweg unwahr ist: Ausländer sind kriminell und nehmen uns die Jobs weg, also müssen abgeschoben/ausgewiesen/beseitigt werden, oder eben auch: Der Festgenommene bespuckt einen Beamten, also darf ihn dieser auch mit dem Gesicht voran auf den Asphalt werfen.

Dass diese Schlussfolgerungen selbst dann noch furchtbar wären, wenn die Prämissen der Wahrheit entsprechen würden, ist ein eigener Punkt. Dass die grundlegende Behauptung aber ganz einfach faktisch falsch ist, macht die Aussage rund um den „Stuntman" besonders dumm. Außerdem drängt sich die Frage auf, ob der Festgenommene nicht viel eher Tontechniker sein müsste, um das Klatschen zu erzeugen, das sein Gesicht beim Aufprall auf den Boden macht.

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Dummheit: 7/10

Ich sehe was, das keiner sieht (2)

Ja. Nächste Frage.

Dummheit: 8/10

Erklärt mir, warum ich skeptisch bin!?

Dieser Kommentar schafft es wirklich nur haarscharf unter unserem Lügenpresse-Radar durch. Ja, das Video zeigt nicht die gesamte Vorgeschichte des Vorfalls—aus demselben Grund, weshalb Polizeigewalt-Videos generell selten mit dem ersten „Guten Tag, Herr Inspektor" beginnen.

Die Frage, warum das Video den Anschein erweckt, als wäre es länger, als es ist, lässt sich leider auch mit diesem Logikbaustein nicht eindeutig beantworten. Und fürs Protokoll: Nein, das Video wurde von uns nicht gekürzt oder geschnitten (allerdings würden die Lizard-Illuminaten das auch sagen, wenn sie das Video gekürzt und geschnitten hätten—denkt drüber nach).

Dummheit: 9/10

Die ANNE-CATRIN-AUS-BERLIN-Rufer

Dummheit kennt kein Parteibuch—und auch keine politische Richtung. Das einzige, das sie kennt, ist die Abkürzung von komplizierten Denkvorgängen zu schnellen, radikalen, einfachen Antworten. Genauso, wie auf der einen Seite Flammenwerfer gegen Flüchtlinge gefordert werden, wird auf der Gegenseite zur Erschießung von Polizisten aufgefordert. Beiden Seiten empfehle ich eine schnelle Google-Suche zu „Gewaltspirale". Wer so einfache Antworten hat und so verallgemeinernd urteilt, ist kein bisschen besser als diejenigen, an die sich die Kritik richtet.

Dummheit: 9/10

Die richtigen Nazis

Apropos einfache Antworten, Denkabkürzungen und Generalisierungen. Die ungeschlagenen Könige unseres Dummheits-Rankings sind und bleiben die gut-österreichischen, Bizeps- und Österreichflaggen-Emojis verwendenden Rechtsradikalen.

Sie suchen Deckung und Schutz, indem sie sich mit den Inhabern des Gewaltmonopols solidarisieren—in der Hoffnung, dass sie dadurch automatisch immun gegen dieselbe Art von Übergriffen werden, die sie anderen wünschen.Das ist vielleicht ihr größter Trugschluss. Denn wenn Übergriffe ungeahndet und willkürliche Gewaltakte ohne Konsequenzen bleiben würden, wären umstürzlerische, aufständische Nazis mit Sicherheit nicht davon ausgenommen.

Dummheit: 10/10

Markus auf Twitter: @wurstzombie