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Was wir bis jetzt wirklich über das scheinbare „Sozialschmarotzer-Foto“ wissen

Auf Facebook herrscht Aufregung über ein Foto von angeblichen „Sozialschmarotzern". ,Krone' und ,Österreich' schließen sich an.

UPDATE: Der Fall wurde vom Samariterbund nun geprüft und das Ergebnis bestätigt, wie schäbig die mediale Vorverurteilung wirklich war: die Frau auf den Fotos bezieht nachweislich Sozialhilfe und ist alleinerziehende Mutter. Das Auto hat sie sich von Bekannten, die zu Besuch aus Tschechien waren, ausgeborgt.

Beim Samariterbund ist man über das Verhalten von Medien und in den sozialen Netzwerken deshalb verständlicherweise wütend: „Zum Kotzen" nennt es eine Mitarbeiterin gegenüber VICE. Man wird auch noch in einer entsprechenden Presseaussendung reagieren. Absurd und unwahr ist deshalb auch eine Behauptung aus der heutigen Printausgabe der Österreich, wo es heißt, dass man beim Samariterbund über die Fotos „entsetzt" gewesen sei. Stets war man beim Samariterbund der Meinung, dass es für die Bilder auch plausible Gründe geben könne.

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Die Kronen Zeitung und Österreich berichten über angeblich skandalöse Bilder, die eine Frau und ein kleines Mädchen dabei zeigen sollen, wie sie mit einem „Luxus"-BMW beim Sozialmarkt Floridsdorf einkaufen und sich so unter falschen Umständen Billigware erschleichen, die eigentlich nur für Bedürftige gedacht ist.

Die Bilder stammen von einem empörten Anrainer, der sie schon am Freitag auf Facebook geteilt hatte (übrigens nicht das erste Mal, dass sich der Anrainer mittels Fotos über Vorgänge vor seinem Haus empört). Über das Wochenende verbreitete sich das Bild auch über die FPÖ Donaustadt und die Bürgerliste „Wir für Florisdsdorf". Der Obmann von letzterer, Hans Jörg Schimanek, spricht davon, dass dort immer wieder „Sozialschmarotzer" einkaufen und Luxuswägen vorfahren, aus denen dann Frauen „meist mit Kopftüchern" aussteigen und die Billigware einkaufen, während die Männer im Auto warten.

Die Kronen Zeitung wiederum meint, auf den Fotos neben dem „nagelneuen BMW X5" auch eine Gucci- oder Louis Vuitton-Tasche in der Hand der Frau zu erkennen. Bei Österreich scheint man außerdem nicht zu sehen, dass eine der zwei Personen ein kleines Mädchen ist—stattdessen spricht man dort von „zwei jungen Damen". Überall wird empört darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Luxuswagen noch dazu um ein tschechisches Kennzeichen handelt.

Auch wenn die Details noch ungeklärt sind, gibt es jedenfalls gute Gründe, wieso man auch mit BMW beim Sozialmarkt einkaufen kann. Martina Vitek-Neumayer vom Samariterbund betont, dass Menschen sich beispielsweise auch ein Auto ausborgen können. „Es kommt auch oft vor, dass Personen für Pflegebedürftige dort einkaufen. Dazu benötigt es nur einer schriftliche Bestätigung", erklärt sie gegenüber VICE.

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„Oft sieht man den Betroffenen ihre Armut nicht an. Bei der Vergabe von Einkaufspässen wird streng geprüft", meint eine andere Mitarbeiterin des Samariterbunds. „Angesichts der angebotenen Grundnahrungsmittel braucht jedenfalls wirklich niemand neidisch sein—das ist kein Meinl am Graben."

Dem Kennzeichen des Autos zufolge handelt es sich übrigens um ein Fahrzeug aus Ostrava, im Nordosten Tschechiens. Ostrava liegt mehrere Autostunden von Wien entfernt. Laut Google Maps dauert die Strecke selbst auf dem schnellsten Weg immer noch 3 Stunden und 18 Minuten. Dass hier also Personen extra aus Tschechien anreisen und sich billige österreichische Ware erschleichen, ist zumindest unwahrscheinlich. Eine Facebook-Userin ergänzt: „In Tschechien sind Lebensmittel günstiger als hier, selbst als die im Sozialmarkt."

Selbst wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass hier tatsächlich jemand unter falschen Umständen im Sozialmarkt eingekauft haben sollte—zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist nichts davon bewiesen.

Und auch wenn die Krone und Österreich jetzt schon einen Empörungstext dazu gestrickt haben, gibt es in Wahrheit nur eine richtige Reaktion auf die aufgetauchten Fotos: Abwarten. Der Samariterbund prüft derzeit den Einzelfall. Die mediale Vorverurteilung, die hier betrieben wird—inklusive der Veröffentlichung von Fotos, die unter anderem auch ein kleines Mädchen an den Pranger stellen—und die wilden Mutmaßungen sind hier jedenfalls ziemlich schäbig.

Thomas auf Twitter: @t_moonshine