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Laut der UN ist Nordkorea offiziell der schlimmste Ort auf dieser Erde

Die Studie der Vereinten Nationen liefert eine grausam detaillierte Analyse der Lebensbedingungen. Können Kim Jong-un und sein Regime in Pjöngjang jemals zur Rechenschaft gezogen werden?

Sollte man auf die Idee kommen aus einem nordkoreanischen Gulag zu flüchten und zu versuchen einen der hohen Lagerzäune zu überwinden, wird man zwangsläufig zu einer lebenden Zielscheibe und einer weiteren Übungsaufgabe für die Wachen des Lagers. Wenn Hunger, Krankheit und Folter einen bis dahin noch nicht umgebracht haben, dann werden ihre Schüsse das sicher erledigen.

Menschenrechtsverletzungen sind in Nordkorea nichts Neues. Aber ein letzte Woche vom UN Menschenrechtsrat und der Untersuchungskommission für Menschenrechte herausgegebener Bericht, bietet einen erschreckend detailreichen Einblick in den Missbrauch der Bürger des Landes. Der überparteiliche Rat, der von dem australischen Richter Michael Kirby geleitet wird, fordert dann auch zusätzliche strafrechtliche Untersuchungen gegen Kim Jong-un und sein Regime, da es „viele Eigenschaften eines totalitären Staates aufweist.“

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Kim hat jedoch die Annahme eines Briefs abgelehnt, den ihm die Vereinten Nationen zusammen mit einer Vorabkopie des Berichts zugesandt hatten. In dem Brief geben die Kommissare dem 31-jährigen Diktator zu verstehen, dass sie „alle, inklusive ihm selbst, zur Rechenschaft ziehen werden, die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich sind.“ Und zwar in dem sie den Internationalen Strafgerichtshof einschalten, an den sie alle Ergebnisse ihrer Untersuchung weiterleiten werden.

Die Studie signalisiert nicht nur einen beispiellosen Grad an Besorgnis über die Entwicklung Nordkoreas, sondern erhöht jetzt auch den Druck auf die Vereinten Nationen und die weltweite Staatengemeinschaft aktiver einzugreifen. Nach der Veröffentlichung hat Botswana beispielsweise bereits bekannt gegeben, dass es die diplomatischen Beziehungen mit Pjöngjang beenden wird. Aber um Kim vor ein internationales Gericht zu stellen, braucht es ein einstimmiges Votum des Sicherheitsrates, dem sich China bislang verweigert hat. Und der global mächtigste Verbündete von Kim Jong-un verspricht auch weiterhin, einen solchen Schritt nicht zu unterstützen.

Eine Skizze von Kim Kwang-il von der Praxis der sogenannten „Tauben Folter" (via UNHCR).

Der UN-Bericht listet grausame und willkürliche Folter- und Verhörpraktiken auf. An einer Stelle wird beispielsweise die sogenannte „Tauben Folter“ beschrieben, eine Verhörmethode, bei der die Gefangenen an ihren Händen, die auf dem Rücken zusammengebunden sind, aufgehangen werden. Dies kann Tage andauern und endet häufig mit Darmentleerung, Erbrechen und völliger Erschöpfung.

Die Vereinten Nationen, die mit ihrem Welternähungsprogramm (WFP) in den letzten zwei Jahrzehnten versucht haben, die verhungernden Armen Nordkoreas zu ernähren, bilanzieren, dass „das Land mit keinem anderen gegenwärtigen Staat verglichen werden kann.“ Die Spekulationen, ob der junge, westlich-versierte Kim Jung-un die Zügel seiner Herrschaft lockern würde, zerschlugen sich spätestens im vergangenen Monat, als er seinen Onkel, Jang Song-Thaek, wegen sogenannter Verbrechen gegen den Staat hinrichten lies. Diese Ermordung seiner Verwandten ereignete sich nur wenige Monate nach den Berichten über die Hinrichtung von Kims Ex-Freundin, die angeblich ein Sex-Tape produziert und verkauft haben soll.

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Aber letztlich stellen diese Fälle kaum mehr als Momentaufnahmen innerhalb dessen dar, was Menschenrechtsaktivisten seit Jahren als ein episches Ausmaß an Gewalt gegen die eigene Bevölkerung beschreiben. Ungefähr ein Drittel der 24 Millionen Menschen sollen an Unterernährung leiden, und bis zu 200.000 Menschen sind angeblich in den brutalen Straflager des Landes „verschwunden“.

Ein Ausschnitt aus dem Bericht der Vereinten Nationen

„Verbrechen gegen die Menschlichkeit,“ schreibt das UN-Gremium, „finden in der Demokratischen Volksrepublik Korea statt, weil die Politik, die Institutionen und die Muster der Straflosigkeit, die den Verbrechen zugrunde liegt, unverändert bestehen bleiben.“

„Du giltst als ideologisch unsolide, wenn du keine Steine geworfen hast,“ erklärt Kang Ch'ol-hwan in dem Dokumentarfilm „Children of the Secret State", als er die partizipatorischen öffentlichen Hinrichtungen in einem der nordkoreanischen Straflager beschreibt. „Ihre Körper schüttelten sich für etwa drei Minuten, bis sie ihren letzten Atemzug nahmen … du hast dich schon daran gewöhnt, so oft hast du es schon gesehen.“ Manche Verurteilte wurden schon lebendig verbrannt und ihre Familienangehörigen wurden dazu gezwungen, den Scheiterhaufen anzuzünden, schreibt Victor Cha, der ehemalige Top-Berater von George W. Bush für nordkoreanische Angelegenheiten, in seinem Buch The Impossible State: Northkorea Past and Future.

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Wie viel Nahrung ein Nordkoreaner bekommt, hängt davon ab, zu welcher Klasse er gehört, und davon gibt es in dem Land 51 verschiedene. Während die hundert Top-Mitglieder der Partei täglich Gourmet-Mahlzeiten zu sich nehmen, fliehen tausende Flüchtlinge über die chinesische Grenze auf der Suche nach Nahrung. Viele von ihnen werden gegen ihren Willen wieder zurückgeschickt (das sogenannte ‚refoulement‘ = ‚Zurückweisung‘), um dann in den Arbeitslagern auf der nordkoreanischen Seite zu landen.

Die Routen von nordkoreanischen Flüchtlingen, via Vice on HBO.

Der Bericht der Vereinten Nationen fordert, dass alle Staaten die Grundsätze der Nichtzurückweisung einhalten, um Flüchtlinge zu unterstützen, Menschenhandel einzugrenzen und den Rechtsschutz zu gewährleisten. Schon im März 2006 forderte auch George W. Bush deutlich die Einhaltung dieser Prinzipien von China, in dem er auf ein persönliches Schicksal verwies:

„Allen Bemühungen der USA, Südkoreas und des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen zum Trotz … Frau Kim, eine Asylbewerberin in ihren Dreißigern, wurde im Dezember festgenommen, weil sie Zuflucht in zwei koreanischen Schulen in China gesucht hatte. Wir sind tief besorgt über das Wohlergehen von Frau Kim. Die USA möchten dringlich auf Chinas Verpflichtungen als Vertragsstaat des UN-Übereinkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und des Protokolls von 1967 verweisen. Wir rufen China dazu auf, nordkoreanische Asylbewerber nicht zurückzuschicken.“

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China hat die Grundsätze der Nichtzurückweisung von 1967 kontinuierlich missachtet. Eine große Anzahl von Flüchtlingen wird, nach ihrer erzwungenen Rückkehr nach Nordkorea, von den anderen Gefangenen isoliert untergebracht—aus Angst, sie könnten anderen Gefangenen davon berichten, was sie in China gesehen und erlebt haben.

So unsicher die Beziehung zwischen Peking und Pjöngjang auch sein mag, dass trotzige China dazu zu überreden, nordkoreanische Flüchtlinge als Asylsuchende zu behandeln, oder eine internationale Untersuchung gegen Nordkorea durchführen zu lassen, wird nicht einfach sein. Es gibt allerdings durchaus optimistische Stimmen, die glauben, dass der neue Bericht für Peking nicht zu ignorieren sein wird.

Der Vizepräsident der Korea Society Stephen Noerper argumentiert gegenüber der Voice of America: „Es wäre nicht in Chinas langfristigem Interesse die UN-Maßnahmen gegen Nordkorea zu blockieren. Es ist sehr schwer vorstellbar, dass irgendeine Regierung, sei es in Peking oder anderswo, sich langfristig und ohne Gesichtsverlust diese Art von Missbrauch hinnehmen kann.“

In einem Brief vom Dezember an Michael Kirby, den Vorsitzenden der UN-Kommission, schrieb Chinas UN-Botschafter in Genf, dass Peking keine Untersuchung zur Menschenrechtslage in Nordkorea unterstützen würde, und dass „die Bürger Nordkoreas, die illegal in China einreisten, dies nur aus wirtschaftlichen Gründen tun. Daher handelt es sich nicht um Flüchtlinge.“ Er fügte hinzu, „dass einige NGOs und religiöse Gruppen aus Südkorea, unter dem Vorwand der Humanität, nordkoreanische Bürger über die Grenze schmuggeln. Hierbei handelt es sich um profitable Aktivitäten, die Chinas soziale Stabilität und die nationale Sicherheit untergraben.“

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Nordkorea lässt aber auch Ausländer inhaftieren, entweder durch inszenierte Entführungen in Europa oder durch das Festnehmen von Besuchern. John Short, ein 75-Jähriger südaustralischer Missionar wird derzeit festgehalten, nachdem die Polizei ihn wegen religiöser Pamphlete festgenommen und verhört hat.

Während der Hungersnot Mitte der 90er Jahre, als das Land die größte Lebensmittelknappheit seiner Geschichte erlebte, schickten die USA, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und ein paar NGOs Nahrungsmittel nach Nordkorea. Als Ergebnis davon verließ sich das Regime fortan auf die Hilfslieferungen, kürzte kommerzielle Importe und erhöhte die Anzahl der öffentlichen Hinrichtungen. Verarmte Familien gehen in ihrer Verzweiflung so weit, dass sie ihre Kinder an chinesische Bauern verkaufen (in der Hoffnung, dass sie außerhalb Nordkoreas eine Zukunft haben), und dass sie unverdauliche Baumrinde, Sträucher und Gräser essen, die ein Füllegefühl höchstens notdürftig imitieren.

Illustration der sogenannten „Uhren Folter", gezeichnet von einem nordkoreanischen Flüchtling. (Via Imgur.)

Während der schlimmsten Phase der weit verbreiteten Hungersnot, legte Pjöngjang dennoch seine Prioritäten oft eher auf den Aufbau der militärischen Infrastruktur und der nuklearen Fähigkeiten—legitimiert durch die Ideologie der Wiedererweckung durch Neojuche. (Juche bedeutet „Selbstvertrauen“, und bezieht sich auf das Bild eines starken Norden in den 50er und 60er Jahren). Um das politische System aufrecht zu erhalten, so der Bericht, hat die Führung Nordkoreas „Entscheidungen und Maßnahmen getroffen, die das universelle Menschenrecht auf Nahrung verletzen“, was wiederum „den Hunger verschärft und zu weiteren Todesfällen führt.“

Es scheint aussichtslos, dass Pjöngjang jemals, ohne besondere Hilfe, eine offene Wirtschaft, oder intensivere Beziehungen mit dem Süden eingehen wird, oder gar die utopischen Versprechen aus den 60er Jahren von Kim II-Sung erfüllen könnten. Die Bürger Nordkoreas werden seidene Kleider tragen, jeden Tag weißen Reis mit Fleischsuppe essen und in gut geheizten, ziegelgedeckten Häusern wohnen.

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Obwohl die Wiedervereinigung mit dem Süden zu einem weit entfernten Traum geworden ist, gab es zwischenzeitlich durchaus Anzeichen für einen Fortschritt in den Beziehungen der beiden koreanischen Staaten—beispielsweise mit dem Business-Park an ihrer Grenze. Der Industriekomplex Kaesong ist inzwischen eine seit zehn Jahren andauernde Kooperation. Durch die Mitarbeit einer Belegschaft von 44.000—hauptsächlich nordkoreanischen Frauen, die für 35 Euro im Monat arbeiten—geben 120 südkoreanische Unternehmen in Kaesong letztlich zwischen 20 Millionen und 34 Millionen pro Jahr an harter Währung an den nordkoreanischen Staatshaushalt hinzu. Der Park soll in Kürze auch eine Internet-Verbindung erhalten—es wäre einer der ersten offiziellen Verbindungen des Landes.

Die Industrieregion von Kaesong an der Grenze der beiden koreanischen Staaten. Bild: Wikimedia Commons.

Aber auch hier zeigt sich der verzweifelte Kampf ums Überleben. Kürzlich begannen südkoreanische Unternehmen in Kaesong damit, ihre Arbeiter mit Choco Pies zu belohnen. Aber die Verpackung der einzelnen Kekse landete nicht etwa in den Abfallbehältern der Fabriken. Stattdessen wurden die Kekse mit nach Hause genommen und auf dem Schwarzmarkt verkauft, wo ein einzelner Keks bis zu sieben Euro wert sein kann.

„Der Staat,“ schreibt das UN-Gremium, „hat es konsequent versäumt, seiner Verpflichtung nachzukommen, alle seiner verfügbaren Ressourcen zu nutzen, um die Hungrigen des Landes zu ernähren.“ Die Choco Pies wurden schließlich durch Instant-Nudeln ersetzt—ein Versuch der südkoreanischen Unternehmen den Arbeitern etwas für sie sinnvolleres zu liefern.

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Die Episode mit den Cookies hat auch neue Wege der Versorgung aufgezeigt. Obwohl die Arbeiter aus dem Norden und die Arbeitgeber aus dem Süden kaum interagieren und kommunizieren, erreicht ihr Engagement mehr als Gehälter und wirtschaftliche Vorteile. Durch den Schmuggel von Welpen, DVD-Player und verbotenen südkoreanischen Seifenopern fährt die kulturelle Vermischung langsam, aber sicher fort.

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zielt in seinem Aufruf für Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat auf die nordkoreanische Führung und all diejenigen, die für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, und bittet den Sicherheitsrat dabei gleichzeitig, dass solche gezielten Sanktionen nicht das Wohl der Gesamtbevölkerung verletzen dürfen. Der Bericht benennt die verantwortlichen Personen und Politiker bisher nicht öffentlich mit ihren Namen, sagte aber, dass es eine Datenbank von Verdächtigen erstellt hat, die dem Menschenrechtsrat am 17. März vorgestellt werden soll.

Kim Jong-un besucht die Panzerschutzdivision Seoul Ryu Kyong Su 105. Bild: KCNA

Neben internationalen Aktionen empfiehlt der Bericht auch andere Strategien mit denen die globale Staatengemeinschaft Nordkorea unterstützen kann: „Dialoge- und Ausstauschprogramme in den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Sport“—so sollen Nordkoreaner auch von Informationen über Entwicklungen außerhalb ihres Landes erfahren. Vielleicht ist dies durchaus eine Bestätigung für Dennis Rodman, dessen fröhliche „Basketball-Diplomatie“—abgesehen von den verwirrenden Statement über den wegen „christlicher Verschwörung“ in Nordkorea inhaftierten Amerikaner Kenneth Bae—die meisten Beobachter eher verrückt gemacht hat, als Hoffnungen für echte Reformen zu schaffen.

Die UN stellt aber auch fest, dass selbst die Besucher des Landes oft unwissend oder ignorant gegenüber den Menschenrechtsverletzungen sind. Die Massenspiele, Pjöngjangs jährliches Spektakel „wurde zu einer wichtigen Devisenquelle für die Demokratische Volksrepublik Korea,“ auch wenn die Veranstaltung auf Kindern basiert, die „gezwungen werden, sich zu beteiligen (es sei denn, ihre körperlichen Vorraussetzungen erfüllen nicht das Ideal).“

Die Forderungen nach einer Beendigung der Menschenrechtsverletzungen in Nordkorea mögen vielleicht schon Jahrzehnte alt sein, aber der neue Bericht könnte zu einem aktualisierten Blick internationaler Staats- und Regierungschefs führen. Die Hoffnung ruht darauf, dass sie ihre Aufmerksamkeit weg von der nuklearen Bedrohungen und auf die Probleme, die das Volk betreffen, konzentrieren. Für die Menschen Nordkoreas bleibt die wachsende Macht von Kim eine Frage von Leben und Tod. Irgendwann, wenn es dem UN-Menschenrechtsrat tatsächlich gelingen sollte, seinen Willen durchzusetzen, werden auch Kim und seine Kameraden den Preis für diese Macht zahlen müssen.