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Magic ist das geilste Spiel mit dem schlechtesten Image

Warum das Trading Card Game viel besser als sein grässlicher Ruf ist, was Poker- und Magicspieler gemeinsam haben und wieso man sich neben den Arschritzen anderer Spieler fotografieren lässt.

Foto: CamEvans | photopin | cc

Es gibt ein paar Dinge, die jeder junge bis mitteljunge Typ irgendwann mal in seiner Wohnung rum kugeln hatte oder noch immer hat: Softgun-Kugeln, Pornohefte (oder DVDs) und Magic-Karten. Trotz der Sinnlosigkeit von Softguns oder der Rückständigkeit, die mit dem Besitz von Hardcopy-Pornos einhergeht, schämen sich viele auf eine ganz eigene Art für Magic-Karten. „Ja, äh, das hab ich mal kurz in der Schule gespielt“ oder „Früher war ich eher so der scheiß Nerd“. Aber warum diese seltsame Scham gegenüber einem einfachen Kartenspiel? Höchstwahrscheinlich, weil viele Leute denken, die Community rund um das Sammelkartenspiel besteht ausschließlich aus introvertierten Rollenspiel-Nerds mit Gandalf-Hut im Kleiderschrank und einem latenten Desinteresse an Körperpflege oder dem anderen Geschlecht. Aber auch wenn dieses soziale Stigma nicht ganz zu Unrecht an der Trading Card-Community hängt, ist das auch nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite haben wir viele verrückte und coole Menschen, Superfreaks und Erinnerungen an eine verdammt lustige Zeit. Hier also ein Erklärungsversuch, warum das Trading Card Game einen wertvollen Beitrag im Leben eines jungen Menschen leisten kann, sich niemand für Magic schämen sollte und die Community nicht nur aus verschwitzten Pickelgesichtern besteht, die sich im Rollenspiel-Wald Lightning Bolts an den Kopf werfen.

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Und für die, die wirklich nicht wissen, was „dieses Magic“ ist (willkommen im 21. Jahrhundert, Freunde): Magic: The Gathering ist ein Kartenspiel, bei dem normalerweise zwei Spieler mit ihren eigenen Kartendecks versuchen, die Lebenspunkte des Gegenspielers von 20 auf Null zu bekommen. Dazu kann man Kreaturen beschwören, die den Gegner auf 0 prügeln oder ihm bestimmte Zaubersprüche ins Gesicht schießen, und das ist nur ein kleiner Teil des Magic-Arsenals—immerhin ist man ein mächtiger Zauberer! Und wem das nicht reicht, hier die Gründe, warum Magic viel cooler ist als sein grauenhafter Ruf.

MAGIC IST WIE POKER OHNE COWBOYS

Foto: katymcc | photopin | cc

Magic und Poker sind beides Kartenspiele, bei denen ein gewisser Glücksfaktor den Ausgang eines Spiels beeinflussen kann. Auch der analytische Zugang ist bei beiden Spielen gleich: Man versucht, die Grundprinzipien und Mechanismen des Spiels zu verstehen und alle Entscheidungen basierend auf logischem Denken und seinem jeweiligen Spielverständnis in gut oder schlecht zu kategorisieren. Trotz der Ähnlichkeit der zwei Spiele stellen wir uns unter dem typischen Pokerspieler einen charismatischen Typen mit Mel Gibson-Face und Cowboyhut vor, der im richtigen Moment die richtigen Karten und immer mindestens drei geld- und erfolgsgeile Frauen in seinem Orbit schweben hat. Der typische Magicspieler hingegen ist 14 Jahre alt, trägt Hosenträger und Propellerkappe und die einzigen drei Frauen in seinem Leben sind Prinzessin Leia, Agent Scully und Xena, die Kriegerprinzessin. Aber jetzt mal Schluss mit den Klischees. Das Image eines Spiels wie Magic im Vergleich zu Poker an der Höhe der finanziellen Auszahlung festzumachen und in cool oder uncool zu kategorisieren, zeugt von einer furchtbar kapitalistischen Einstellung, die jeder von uns persönlich überdenken sollte. Denn im Prinzip geht es bei beiden Spielen nur darum, Spaß zu haben oder besser als die anderen sein zu wollen—egal, wie viel Kohle dabei rausspringt oder mit wem du am Tisch sitzt.

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Außerdem ist der durchschnittliche Pokerspieler ein spielsüchtiger Wirtshaus-Alkoholiker, der sein hart erarbeitetes Geld in Windeseile auf dem grünen Filz verballert. In echt jetzt.

WETTKAMPF IST COOL

Foto: thefost | photopin | cc

Wer nicht gerade in jungen Jahren schon in den Fußballverein gesteckt wird oder sich bei Speedcubbing-Turnieren die Finger wund dreht, wird (sofern er möchte) mit Magic zum ersten Mal in ein mehr oder weniger kompetitives Umfeld gesteckt. Magic hat neben einer großen Tausch- und Sammelszene auch eine seriöse Turnierszene mit regelmäßigen Großveranstaltungen rund um den Globus, für die man sich durch diverse Qualifikationsturniere einen Platz sichern kann. Wenn es darum geht, einen Flug nach Hawaii zu gewinnen, hören alle Freundlichkeiten auf und die Zauberhüte und das freundliche Nerd-Getue weichen einem unheiligen Ehrgeiz und der Attitüde eines James Bond-Bösewichts.

Im Wettkampfzirkus Magic lernt man aber auch viel über sich selbst. Wie man mit Verlusten umgeht, was für eine Art Spieler man sein will, wie man an sich selbst arbeitet und wie man mit anderen Leuten umgeht. Hinter all diesen Dingen liegen psychologische Grundfragen, mit denen man sich ein Leben lang beschäftigen könnte, und wenn man schon ein wenig früher damit konfrontiert wird, ist das sicher auch ganz nützlich für das spätere Leben. Und wer einfach nur ein bisschen mit seinem Elfen-Deck rumzaubern möchte oder eine Horde Goblins über den Tisch verteilen will, kommt ebenfalls auch auf seine Kosten. Ich werde meinen Kindern jedenfalls Magic-Karten in die Hand drücken, und wenn ihnen das nicht gefällt, mach ich mir neue. Immerhin bin ich ein fucking wizard, bitch.

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MAGIC SOZIALISIERT AUCH DIE GRÖSSTEN WEIRDOS

Foto: abbamouse | photopin | cc

In meiner Zeit als Magicspieler habe ich es mit einem ganzen Kuriositätenmuseum voller schräger Leute zu tun gehabt. Von 50-jährigen Alkoholikern, die minderjährigen Spielern damit gedroht haben, „ihnen mit ihrem Stiefel auf den Schädel zu hauen, bis er blutet“, über zurückhaltende Weirdos, die ich Jahre später als „Buchhalter-Max“ getarnt im Fernsehen gesehen habe, als sie über ihren „schönen Schwanz“ und ihre Vorliebe für Sex mit Nutten erzählt haben, bis hin zu kleinen dicken Kindern, die gerochen haben, als hätten sie sich in der Nacht zuvor in Buttersäure gewälzt oder einen Abend auf einer brennenden Müllhalde verbracht. Manche von euch würden jetzt vielleicht sagen, dass das keineswegs jede Art von Mensch, sondern alles Teil eines sehr bestimmten Schlages von Mensch ist, die ihr euch sowieso unter Magic-Spielern vorgestellt habt. Dazu sage ich: Fresst meinen glühend heißen Feuerball!!!

Jede Art von Mensch bedarf einer ganz eigenen Art von Feingefühl und obwohl ich damals kaum eine Ahnung oder ein Interesse für irgendwas gehabt habe, habe ich viel über Menschen und den Umgang mit ihnen gelernt. Manche habe ich gehasst, manche geliebt und manche habe ich angeschrien, damit sie doch bitte schneller spielen sollen als ein hundertjähriger Opa an der Feinkosttheke.

Außerdem gibt es unter all den seltsamen Gestalten immer eine Gruppe von Leuten, die irgendwie so sind wie du. Überhaupt ist die Grüppchenbildung in diesem Milieu sehr stark ausgeprägt. Von Sammlern, Tradern, Casual-Spielern oder ehrgeizigen Profis und Möchtegerns zu Nerds in vielfältigen Ausprägungen und Leuten, die einfach nur gerne irgendwelche Spiele zocken und sich dann am Abend komplett die Birne zuschweißen.

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Mit dieser Partie von Mensch habe ich übrigens meinen ersten Vollrausch inklusive Krankenhausaufenthalt erlebt, bin in andere Länder gereist, habe Joint-Filter aus Karten gebaut, die heute 50 Euro pro Stück kosten, und zumindest einige der Leute zähle ich heute noch zu meinen besten Freunden. Im Vergleich dazu habe ich aus meiner Schule, in der ich mehr als nur die gewöhnlichen acht Jahre verbracht habe, höchstens noch Kontakt zu einer Person.

Ja, es gibt Weirdos in Magic und manche Leute lassen sich gerne neben den blanken Arschritzen von ahnungslosen Spielern fotografieren. Aber jeder fängt mal irgendwie als Weirdo an, und das Ziel sollte sein, im Laufe der Jahre ein bisschen ent-weirdisiert und dadurch gesellschaftsfähig zu werden, was auch immer das bedeutet. Und hier erledigt die Magic-Community meiner Meinung nach bessere Arbeit als unser Schulsystem, auch wenn man sich vermutlich nichts darauf einbilden sollte.

MENTOREN UND IDOLE

Überspringe deinen nächsten Zug: Ziehe vier Karten. Foto: MorkiRo | photopin | cc

Erinnert ihr euch an die Schulzeit, wo jemand, der ein, zwei Klassen über euch war automatisch zum Vorbild und Idol geworden ist? So ähnlich ist das, wenn ihr euch in jungen Jahren in einem Magic-Laden aufhaltet und euch auf einmal in einem Zirkuszelt voller verschiedener Arten Homo sapiens befindet. Was in der Schule „der hat schon mal an einer Zigarette gezogen“ oder „der hat schon zwei Freundinnen in anderen Klassen“ war, ist bei Magic „der war schon mal in Frankreich auf einem Turnier“ oder „der hat schon mal einen Black Lotus (die wertvollste regulär gedruckte Karte) GESEHEN“—unfassbar! Aber Vorbilder, die nicht aus dem Fernseher oder von twitch.tv kommen wirken einfach stark, besonders auf prä- oder postpubertäre Jugendliche, die formbar sind wie warme Lehmfiguren. Wenn man halbwegs gut Magic spielen kann und sein Charisma das einer lauwarmen Gemüsesuppe übersteigt, wird man früher oder später ein paar begeisterte Jünglinge in seinem Orbit schweben haben, für die man der coolste Mensch der Welt ist.

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Von gut Magic spielen klatschen zwar nicht die nassen Höschen auf den Boden, aber immerhin kann man damit einen guten Einfluss auf andere Menschen nehmen. Das klingt jetzt zwar alles nicht so nach Rock ‘n‘ Roll Lifestyle, aber wer das persönlich erlebt hat weiß, wie cool es sein kann, ein Vorbild für andere zu sein oder jemandem etwas beizubringen. Auch wenn die Leute dich nur idolisieren, weil sie dich für den größten Meistermagier jenseits von Mercadia halten, aber wen juckt das schon. LIGHTNING BOLT!

FAZIT

Die beliebte Karte „Force of Will“ von der Original-Illustratorin signiert und übermalt. Beide Bilder: bandarji | photopin | cc

So liebe Leute. Jetzt findet ihr Magic hoffentlich ein klein wenig cooler als vorher. Und wenn ich im einen oder anderen von euch die Lust zu spielen geweckt habe, dann geht doch in den Magic-Laden eures Vertrauens, lasst euch nicht von profitgeilen Kiddies abzocken, sucht euch ein paar Gleichgesinnte und habt einfach Spaß mit einem coolen Kartenspiel, das sich ständig weiterentwickelt—außerdem kann mit ein bisschen Glück jeder Noob ein großes Turnier gewinnen! Für alle Internetsuchtis werden auf twitch.tv regelmäßig Magic-Turniere gestreamt und wer beim Magicspielen lieber in Unterhosen zuhause sitzt und Erdnussbutter löffelt, der kann auf Magic Online zurückgreifen. Scheisst auf Hearthstone und hört auf, euch für Magic zu schämen, Idioten gibt es überall. Überhaupt ist Nerdtum schon seit ungefähr 14 Jahren salonfähig, ihr verdammten Jocks.

Schießt Adrian auf Twitter Lightning Bolts ins Gesicht: @doktorSanchez