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Cop Watch

Nach Polizeiübergriffen am Partyschiff stehen wieder einmal die Betroffenen vor Gericht

Ein Routine-Einsatz eskaliert, zwei junge Menschen werden festgenommen, später werden sie schwere Vorwürfe erheben. War es Misshandlung durch die Polizei oder eine böswillige Verleumdung, für die sie nun zurecht vor Gericht stehen?

Das Pärchen, das im Oktober 2013 auf einem Wiener Partyschiff verhaftet wurde, ist am 5. März 2015 schuldig gesprochen worden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Bei uns könnt ihr ihre Sicht der Dinge nachlesen.

Sukkurs heißt es, wenn ein Streifenpolizist die höchste Dringlichkeitsstufe ausruft, um Unterstützung anzufordern. Am 19. Oktober vergangenen Jahres führte ein solcher Ruf nach Verstärkung dazu, dass vor einem Partyschiff am Wiener Donaukanal 30 Polizeibeamte anrückten, darunter Einheiten der Sondereinheit WEGA. Aus einem Routine-Einsatz aufgrund einer Anzeige wegen Ruhestörung wurde schnell einer mit Großaufgebot, bei dem vieles schief ging.

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„Partygirl zertrümmert Cop die Nase", hatten Boulevard-Medien damals getitelt. Dass der Wahrheitsgehalt dieser Schlagzeige gegen null geht, zeigte sich nun am Wiener Landesgericht für Strafsachen, wo Ende Juni die Aufarbeitung des Falles begann. Die hätte durchaus auch im Rahmen eines Prozesses gegen die beteiligten Polizeibeamten erfolgen können. Der Vorwurf: Mutmaßliche Misshandlung von Festgenommenen. Die Staatsanwaltschaft Wien stellte das Verfahren gegen die Polizisten jedoch Anfang Mai ein. Statt ihnen sitzen nun die Festgenommenen auf der Anklagebank, ein 32-Jähriger und seine heute 25-jährige Freundin.

Beide waren Gäste einer auf dem Clubschiff stattfindenden Party. Ihnen wird schwere Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Am brisantesten ist jedoch, dass sie auch wegen Verleumdung angeklagt sind. Die beiden behaupten schließlich, sie seien bei ihrer Festnahme und später in Gewahrsam in der Polizeiinspektion Deutschmeisterplatz geschlagen und getreten worden. Die blauen Flecken, die sie bei ihrer Verhaftung davontrugen, und eine Schnittwunde im Gesicht des Hauptangeklagten sind nicht die einzigen Indizien dafür, dass ihre Version der Geschichte der Wahrheit näher sein könnte, als jene der vor Gericht aussagenden Polizeibeamten.

Wirklich feststellen ließ sich an den bisherigen drei Verhandlungstagen jedoch nur, was an diesem Herbst-Sonntag ungefähr passiert war: Als um 9 Uhr früh eine Polizeistreife die Party auflösen will, weil sich Anrainer von der lauten Musik gestört fühlen, stehen Almuth G. und Christof R. gerade im Eingangsbereich des Club-Schiffes. R. wird aufgefordert, das Schiff zu verlassen, aber weigert sich. Schnell entwickelt sich ein Disput. Der 32-Jährige sagt aus, einer der Polizisten habe ihn grundlos beleidigt. „Schleich dich, du Oaschloch", soll ihm der Beamte gesagt haben. Rund 20 Partygäste befinden sich im Eingangsbereich, die Stimmung zwischen ihnen und der Polizei ist aufgeheizt.

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Der Angeklagte schildert, was seiner Wahrnehmung nach dann passiert ist: Die Lage eskaliert, mindestens eine der Polizistinnen zieht ihren Pfefferspray und hält ihn den Umstehenden vor. Nach einem kurzen Gerangel packt einer der Beamten R. und schleudert ihn gegen die Wand des Ganges. Er nimmt ihn in einen Festhaltegriff und zerrt ihn vor das Schiff. Auf dem Steg zum Ufer wird er fixiert. Mit dem Gesicht auf dem Boden und am Rücken gefesselten Händen liegt er mehrere Minuten da, das Knie eines Beamten im Kreuz.

Ob er bei der Aktion dem Polizisten einen Schlag versetzt hat, wie der und seine Kollegen das aussagen, oder ob umgekehrt der Polizist auf R. einprügelte, wie R. es behauptet, darüber gibt es keine verlässlichen Zeugenaussagen. „Es hat jedenfalls alles sehr übertrieben ausgesehen", sagt eine der damals anwesenden Partygäste im Zeugenstand.

Festgenommen wurde dann nicht nur der 32-jährige R., sondern auch seine Freundin. Der Grund laut Aussagen der damals anwesenden Polizeibeamten: Almuth G.s „aggressives und bedrohliches" Verhalten. „Niemand hat mir gesagt, warum man mir Handschellen anlegt. Durch das Verdrehen der Arme hatte ich unheimliche Schmerzen", berichtet hingegen die Angeklagte. G. setzte sich verbal gegen ihre Festnahme zur Wehr, das ist auf den vor Gericht gezeigten Handy-Videos zu erkennen, die andere Partygäste von der eskalierten Amtshandlung machten. Das, was unmittelbar danach passiert sein soll, ist dagegen nicht zu sehen: G. behauptet, sie sei von den bei der Festnahme beteiligten weiblichen Beamten mehrfach ins Gesicht geschlagen worden. Außerdem hätte sie ein weiterer Polizist bei der Fixierung unverhältnismäßig grob in einen Baumspalt gedrückt.

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Haben sich die beiden Angeklagten den Beamten gegenüber aggressiv verhalten, wollte G. mit einer Bierdose auf eine Beamtin losgehen, hat sie später einen Polizisten angerempelt, wie in der Anklageschrift zu lesen ist, waren sie betrunken? Nein, behaupten die beiden, und die gezeigten Handy-Aufnahmen scheinen es zu bestätigen. Zu sehen ist nur, wie die zierliche junge Frau bei ihrer Festnahme unsanft über das Geländer am Steg gedrückt wird.

Am Ende steht Aussage gegen Aussage. Und jener der Partygäste hält die Polizei ihre Version entgegen – nicht ohne Widersprüche in den Angaben der Beamten zwar, aber im Großen und Ganzen: konsistent, ohne große Lücken, aufeinander abgestimmt.

Glaubt man hingegen den Angeklagten, war die eigentliche Amtshandlung vor dem Partyschiff nur Ouvertüre für den dramatischsten Akt dieses 19. Oktober. Ihre Geschichte—falls sie stimmt—ist eine, die man nicht in einem Rechtsstaat verortet wissen will: Auf der Polizeiinspektion Deutschmeisterplatz wird R. in eine Zelle gestoßen, er fällt auf den Boden. Drei Beamte reißen ihm die Hose herunter, dann treten sie auf ihn ein, am Oberkörper, an den Beinen, auch im Bereich des Kopfes, zehn bis zwölf Mal. „Gesagt haben sie dabei nichts". Auch nicht, was ihm eigentlich zur Last gelegt wird. Das erfahren er und G. nach eigenen Angaben erst, als ihr Anwalt zum Deutschmeisterplatz kommt—Stunden später.

R. verlangt ein Telefonat, es wird ihm verwehrt. Die Vorwürfe seiner Freundin sind ähnlich gravierend. Man habe ihr die Hand verdreht, einen Stoß ins Genick gegeben, ein männlicher Wachmann habe ihr die Hose heruntergezogen. Ihren Pullover, auf dem der Schriftzug „ACAB" zu lesen ist, nimmt man ihr weg. Sie wird in der kalten Zelle nur mit einem Oberteil bekleidet zurückzulassen, ohne Wasser, ohne Zugang zur Toilette, ohne ärztliche Behandlung.

Der für den Arrest in der Polizeiinspektion Deutschmeisterplatz zuständige Polizist bestreitet all dies. Vorenthalten worden sei den Festgenommenen nichts, und schon gar nicht habe es Tritte gegeben. Für seine Kollegen und ihn hingegen sei das „mediale Hochspielen" der ganzen Sache eine große Belastung gewesen, sagt der Beamte über die Köpfe der beiden Angeklagten hinweg in Richtung deren Verteidiger. Dann darf er gehen. Almuth G. und Christof R. hingegen werden auch Anfang September wieder auf der Anklagebank Platz nehmen, dann wird der Prozess fortgesetzt.

Ihr habt schlechte und/oder interessante Erfahrungen mit der Polizei gemacht? Schreibt eine Mail an hanna.herbst@vice.com.