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There is no such thing as „Grossbasel”

Die Partei „Freistaat Unteres Kleinbasel" (kurz: FUK) fordert den „realpolitischen Zusammenschluss der ganzen Region Basel (...) und den Basel zugewandten Teilen des Elsass und Südbadischen", „eine grösstmögliche Autonomie". Seit diesem Sommer sammelt...
Foto von Yves Baumann, kulturkick.ch

Foto von Yves Baumann, kulturkick.ch

Von Basel aus sieht man keine Berge, dafür haben wir mehr Sonnentage. Es gibt grandios viel Kultursubventionen und Nicht-Ganz-Freiräume. Nur wenige richtige Freiräume, etwa den Wagenplatz im Hafenareal. Immerhin ignoriert die Polizei das Kiffen am Rheinufer und die rechtswiderliche Zeitung Christoph Blochers verliert so schnell Abonnenten wie Jugendkulturprojekte Stiftungsgelder erhalten. Nach 20 Jahren an Nicht-Orten in der Agglomeration lernte ich sowas wie Ortsverbundenheit erst in Basel kennen. Genauer gesagt in Kleinbasel. Alles—auch die Sonne—ist nämlich nicht über die Stadt verteilt, sondern exklusiv auf der Kleinbasler Rheinseite zu finden. Das kleinbasler Multikulti-Biotop brachte die Partei „Freistaat Unteres Kleinbasel" hervor. Trotz einer fast leeren Liste brachten sie es im einzig denkbaren Wahlkreis—„Kleinbasel"—auf 1,4 Prozent, was mehr ist als BDP und EDU zusammen zustande bekommen haben. Grund genug dem FUK-Gründer und eidg. Dipl. Künstler Christian Mueller einige Fragen zu Lokalpatriotismus und Behördenwahn zu stellen:

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VICE: Du warst kürzlich in Berlin, um aus deinen Teenietagebüchern zu lesen. Auf Facebook hast du über Heimweh geklagt. Ist Basel lebendiger als Berlin?
Christian: Seit ich in Basel wohne, habe ich immer nach zwei, drei Tagen Heimweh. Nach zwei, drei Tagen, egal wo ich hingehe. Man muss mich fast zwingen, woanders hinzugehen. Immerhin bin ich vom Land weggekommen.

Kleinbasel, Foto von Paul McClure

Was macht das Kleinbasel besser als die Restschweiz?
In Kleinbasel gibt es alles; mehr Ausländer und mehr Studenten, weil die Wohnungen billig sind. Fremdenfeindlichkeit kennen wir hier nicht. Auf dem Land hat es zehn Ausländer, aber alle Schweizer sind Rassisten. Hier leben alle friedlich. 50 Prozent Ausländer? Kein Problem. Man lebt zusammen. Es ist auch ruhiger hier als auf dem Land zum Schlafen. Auf dem Land gibt es viel mehr Verkehr. Kirchenglocken, Schiesslärm von den Schützen und Kuhglocken! Kuhglocken sind verdammt laut. Klar, in der Stadt gibt es auch laute Ecken, aber besser so, als dass sie ganz zur Schlafstadt wird.

Gibt es eine spezifische Kleinbasler Identität?
Typisch ist, dass niemand hier aufgewachsen ist. Alle kommen von einem anderen Ort. Man trifft sich in Gelassenheit und Freiheit. Ich muss nur 100 Meter gehen um an 10 verschiedenen Take Aways vorbeizukommen. Das finde ich toll.

Je hipper die Feldbergstrasse wird, desto teurer wird alles. Wo gehen die hin, die sich das nicht mehr leisten können?
Ich wohne in der Feldbergstrasse vis-a-vis über der Agora Bar—sie war leiser als die Kuhglocken! Und ich sage dir: Wenn das Fenster fünf Minuten offen ist, bin ich schwarz vom Russ. Dank des vielen Verkehrs, wird es nicht teurer werden hier zu leben.

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Obwohl du Basel ganz offensichtlich verbunden bist, verwendest du oft den Begriff „Schlafstadt", warum?
Es wird alles verhindert. Vor 10 Jahren feierten wir in den Langen Erlen Partys mit 500 Leuten. Eigentlich den ganzen Sommer über, es gab nie Probleme und wir haben hinterher immer aufgeräumt. Heute schleichen morgens um 4 alte Leute mit Hunden die Wiese entlang und rufen die Polizei. Das läuft dann so: „Gab es Reklamationen?"—„Ja." „Von wem? —„Sagen wir nicht." Aber trotzdem: Es fängt gerade erst an! Immer mehr Leute wollen was machen, sich engagieren.

Gute alte Zwischennutzungszeiten: der Wagenplatz auf dem NT-Areal. Foto von Patrick Tschudin

Im Mai wurde die Villa Rosenau abgerissen, das NT-Areal gehört der Vergangenheit an. Gehen immer mehr Freiräume verloren?
Tatsächlich. Echte Freiräume gibt es kaum. Im Hafenareal ist nichts erlaubt. Also ein bisschen was schon, aber die einzige erfolgreiche Nutzung ist ohne Bewilligung: Der Wagenplatz. Staatlich geförderte Zwischennutzung ist gut, aber der Staat muss nicht zwischennutzen. Der Staat muss keine Blumentöpfe hinstellen. „Ihr habt kein Wasser? Schaut selbst!", „Keinen Strom? Schaut halt selbst". Stattdessen wird alles unnötig durchorganisiert.

Mir fällt da grade das „Samstag zum Mitnehmen" ein. Wieso ist es in Basel so schwierig, eine Bewilligung zu erhalten?
Weisst du, es gibt Kantone ganz ohne Gastgewerbegesetz, etwa das Appenzell. Wieso macht man Auflagen bei etwas, obwohl es niemanden stört? Das ist nicht nachvollziehbar. Agora Bar, Frank, Samstag zum Mitnehmen, Café Hammer, OFF-Bar… alle wurden konsequent verhindert. Fragt man um eine Bewilligung an, wird einem prophilaktisch Zeug vorgeworfen, mit dem andere keine Probleme haben; Cliquékeller hingegen haben alle Freiheiten.

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Apropos Cliquékeller: Was hältst du denn von der Fasnacht?
Dann ist plötzlich alles möglich. Drei Tage „Scheiaweia". Alle werfen alles auf den Boden. Alle sind besoffen—Wunderbar. Aber die Fasnacht wäre nie bewilligt worden. Viele Traditionen würden nie bewilligt werden. Das Münster wäre nicht bewilligt worden: Viel zu hoch, nicht zonenkonform! Die Altstadt ist nur so schön, weil es damals noch keine Auflagen gab.

Die Altstadt ist wirklich wunderschön. Trotzdem bist du für den Abriss der Warteckhäuser und den Claraturm. Warum denn das?
Siehst du alte Häuser, machst du ein Foto, dann weg damit; bauen ist geil. Warst du mal in so einem Restaurant? Nein. Das sind alles Spelunken. Auch wenn das die UBS ist oder sonst wer, ist doch egal.

Ist die Luft bei FUK eigentlich schon raus?
Nein. Wir haben noch nicht mal begonnen! Momentan sammeln wir fleissig Unterschriften für unsere Initiative für eine Rutschbahn von der Johanniterbrücke. Das fände ich toll. Ich wohne auch gleich um die Ecke. Nächstes Mal treten wir mit einer vollen Liste an. Das bringt viel. Von 1,5% auf 4% und dann haben wir ein, zwei Sitze im grossen Rat. Sogar Eric Weber hat das geschafft.

Die Feldbergstrasse, ein beliebtes Motiv für Hipsteroptik. Foto von Thomas Schaller

Und was ist die Vision hinter FUK?
Wir wollen die Region Basel von Schweiz abspalten. Die Zweitwohnungsinitiative geht mich eigentlich gar nichts an in ihren scheiss Bergen. Aber so lange ich im selben Land wohne, geht es mich steuerlich eben doch was an! Regionen, die auf Basel ausgerichtet sind, sollen sich uns anschliessen. Hüningen, Weil, Lörrach. Lörrach ist grösser als Biel oder Luzern! Am Ende bin ich auch gegen Zeitzonen. Man könnte das Jahr revidieren. Wieso 7-Tage-Woche? Wieso nicht 5-Tage-Woche?

Du bist kein Kleinbasel-Chauvinist, aber was ist es denn, dass die beiden Rheinufer spaltet?
Fragt man Grossbasler Politiker, ist das Kleinbasel verslumt und dreckig. Die wohnen dann meist auf dem Gellert. Und das sollen sie auch, aber das Gellert muss mehr wie Kleinbasel werden. Lockerer, gelassener, weniger Auflagen. Hier sagt niemand wie der andere leben soll. Die Leute haben genug zu tun.

Du arbeitest auch im Sexkino „Mascotte" in Grossbasel. Wird da Kleinbasler Arbeitskraft von Grossbasler Bürgern ausgebeutet?
Ja, spätestens um vier muss ich da wieder hin. Die Kunden sind aber eher ärmere Leute, traurige Randgestalten. Grossbürger kaufen sich private Prostituierte.