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Vice Blog

Österreich hat ein neues Image-Video und es ist so absurd wie das Land selbst

Ihr habt es vielleicht nicht mitbekommen, aber Österreich ist jetzt ein weltoffenes Land voller schreibender Bohemiens und unerschöpflicher Kulturschätze.

Österreich hat ein Problem. Wäre ich Psychologe und Österreich mein Patient, würde ich sagen, Österreich hat eine Wahrnehmungsstörung und schafft es nicht, sein Selbstbild mit seiner Außenwahrnehmung unter einen Hut zu bringen.

Es braucht schon Christoph Waltz, der bei Jimmy Fallon dem amerikanischen Publikum erklärt, was der Krampus ist, damit wir auch in Österreich kapieren, dass eine Horde von in Schafshäute und Teufelsmasken gehüllten, betrunkenen Spätpubertierenden, die Frauen und Kinder mit Ruten durchs Dorf jagen, aus pädagogischer Sicht vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß ist. Von einer „Heimatpartei" wie der FPÖ oder unserem sehr entspannten Umgang mit Alltagsrassismus und antisemitischen Helden in unseren Straßen- und Brückennamen rede ich da noch gar nicht.

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Hinzukommt, dass Österreich in der Welt als offen und sympathisch gesehen werden will, aber genau gegenüber diesen Eigenschaften bei allen anderen hochgradig skeptisch ist. Der Ausdruck „entwaffnende Freundlichkeit" ist kaum irgendwo zutreffender als bei uns—wenn unsere bundesdeutschen Nachbarn mit lauter Stimme und lebensbejahender Nettigkeit nach dem Weg fragen, fühlen wir Österreicher uns sofort, als hätte uns jemand durch den Metalldetektor geschickt, die Glock abgenommen, sämtliche Körperöffnungen untersucht, die Zähne ausgeschlagen und würde uns jetzt mit seinem grammatikalischen Aktiv waterboarden.

Kurz: Alles, was Österreich selbst gerne wäre, hasst es gleichzeitig irgendwie an allen anderen. Die einzige Mentalität, der wir vertrauen, ist unsere eigene. Nur, wer uns das Gefühl gibt, dass er über uns hinter der nächsten Ecke genauso schlecht über uns reden wird, wie wir über ihn, ist uns geheuer.

Alles, was Österreich selbst gerne wäre, hasst es gleichzeitig an allen anderen.

Mit all diesen Problemen muss sich kaum jemand so herumschlagen wie die Mitarbeiter von Österreich Werbung, die wie hartnäckige Eichhörnchen an unserem Öffentlichkeitsbild arbeiten und für unser Land in etwa dasselbe versuchen, was Nolan für das Batman-Universum getan hat (bis auf das mit der Düsternis, den Verbrechen und der Selbstjustiz). Jetzt haben sie uns ein frisches Image-Video zur Neupositionierung unserer persönlichkeitsgespaltenen Kulturnation geschenkt. Hier könnt ihr euch anschauen, wie gut der Versuch eines Re-Brandings funktioniert.

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Unter dem richtungsweisenden, proaktiven Motto „Ankommen und aufleben" (auf Englisch: „Arrive and revive") zeigt uns die Österreich Werbung, wo der Bohemien den Most holt. Für mich wirft das Video aber mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Ich habe mich Einstellung für Einstellung durchgearbeitet.

Zuerst mal: Was für eine Art von Tätigkeit übt der Protagonist eigentlich aus? Unser Bohemien sitzt gelangweilt da, klopft mit dem Stift auf sein Notizbuch, schaut bedeutungsschwanger durch die Jalousien wie Rick Deckard in Blade Runner—und hat trotzdem einen Tagesplan, der sich an der Stechuhr orientiert? Ist das diese „Zeitarbeit", von der alle reden? Oder haben die Videomacher nur vergessen, Verisimilität zu googlen?

Okay, sagen wir einfach mal, unser Reisender hat einfach nur die Zeit bis zur Abfahrt seines Zugs abgesessen (warum auch immer wir ihm dabei zusehen mussten). Die nächste elementare Frage ohne Antwort ergibt sich schon aus der nächsten Einstellung: Warum beginnt die Reise durch Österreich, die von Österreich Werbung als Image-Maßnahme für, naja, Österreich konzipiert wurde, mit einer Fahrt in der Deutschen Bahn? Ist unser jetzt schon liebgewonnener Hauptdarsteller etwa Deutscher? Ist der ganze Spot ein subtiles Mindfuck-Vehikel, das in Wahrheit zum Abbau des prototypischen Piefke-Rassismus in Österreich beitragen soll? Oder müssen wir uns unsere eigene Nation-Branding-Kampagne durch bundesdeutsche Product Placements bezahlen lassen?

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Warum fotografiert unser Reisender aus nächster Nähe wildfremde Frauen im MuseumsQuartier? Ich sage nicht, dass dieses Szenario unrealistisch ist—ich sage nur, dass Typen, die das üblicherweise machen, zuhause Fleischerschürzen tragen und den Keller mit Frischhaltefolie ausgelegt haben. Falls er den Mädels aber tatäschlich beim Selfie-Machen helfen sollte, wie man aus der vorausgehenden Einstellung ableiten könnte, ist damit auch die Frage nach der Herkunft des jungen Manns beantwortet. Zusammengefasst heißt das: Serienmörder oder Deutscher. Andere Optionen sehe ich nicht.

Ich bin jetzt schon leicht verwirrt, was die Ausstattung unseres Reisenden angeht. Haben wir ihn vorhin nicht mit einem spärlich gefüllten Rucksack aus dem Zug steigen sehen? Das hier ist bereits sein drittes Outfit—und dass er sich nicht einfach nur wie eine Zwiebel schält, erkennt man daran, dass er hier beim ImpulsTanz-Workshop auch entsprechendes Hosen- und Schuhwerk trägt. Die Frage, warum jemand auf seiner Reise durch Österreich nach gerade mal zwei, drei Sightseeing-Stationen schon sein inneres Waldorf-Kind in einem Turnsaal entdecken wollen sollte, stelle ich gar nicht erst.

Danach geht es weiter mit einem Besuch im Stift Melk, einer antiken Bücherei und diesem Shot, in dem man sehr gut erkennen kann, dass unser Reisender weiß, wie gut die Sonne sich auf der Kirche hinter ihm macht.

Nicht, dass ich aus dem Rokoko kommen würde und mit Zeitsprüngen nicht umgehen könnte, aber was ist jetzt bitte passiert? Plötzlich kommt der strawanzende Bohemien direkt auf uns zu, mit einer Getragenheit, die eigentlich für Cool guys don't look at explosions reserviert ist, und bringt eine Flasche Wein mit drei Gläsern mit. Vielleicht liegt es an meiner österreichischen Skepsis (oder an Dandy in der aktuellen Staffel American Horror Story: Freak Show), aber wenn 1. zu viel Zeit vergangen, 2. ein Schloss involviert und 3. der Protagonist ohne ersichtlichen Grund viel zu glücklich ist, schlagen bei mir immer die Alarmglocken aus.

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Und plötzlich hängt unser Bohemien mit einem kultivierten Oberschicht-Pärchen bei einer anspruchsvollen Wiesen-Veranstaltung ab. Ich glaube, ich würde gern sein Geheimnis verstehen lernen. Teile deine Weisheit mit mir, oh schlauer deutscher Bohemien! Wie konntest du dir so schnell ihr Vertrauen erschleichen? Wie hast du so schnell das einzige derartige Event in ganz Österreich im gesamten Jahr ausfindig gemacht?

Andererseits—er sitzt nicht mal richtig auf der Decke, eher halb im Gras. Vielleicht kennen die beiden ihn gar nicht, trauen sich aber nicht einfach, ihn zu verscheuchen? Ich habe ja gehört, Schocktarnung soll sehr erfolgreich sein. Womöglich hilft es, wenn man keine Skrupel hat. Wer bist du? Dexter?

Wisst ihr was? Ich will gar nicht mehr wissen, was in diesem Kopf vorgeht. Ich habe noch keine zwei Minuten mit diesem Mann verbracht und habe schon das Gefühl, mich zum Mittäter zu machen. Da beschleicht mich die schreckliche Vermutung, dass genau das ziemlich gut simuliert, wie es anderen Menschen mit uns Österreichern geht und ich mache für zwei, drei Frames die Augen zu.

Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wo in Österreich sich diese Szene abspielt. Für mich sieht es aus wie eine Kombination aus der Wiener Standbar Hermann, dem Linzer Höhenrausch und irgendeinem auf der Ebene von Semesterpartys promoteten Holi-Fest—also allem, was Österreicher nicht mögen, aber Besuchern immer gleich als erstes zeigen, um moderner zu wirken (so wie Rechtspopulisten ihren Kritikern als erstes immer ihren schwulen türkischen Nachbarn vorstellen). Ich bin mir übrigens sicher, dass unser Reisender hier gerade die Namen des Pärchens vom Vortag in sein Tagebuch schreibt. Und gleich anschließend durchstreicht.

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Ja, wir haben auch Seefestspiele. Nicht im Bild: Die gähnende Langeweile, die sich wie First-World-Ebola ausbreitet, sobald man diese tolle Bühne für mehr als 2 Sekunden anschauen muss. Und wer ist eigentlich schon wieder diese Frau? Was ist bitte aus der hübschen Verehrerin vom ImpulsTanz-Kurs geworden?

Was hier aussieht wie ein mayanischer Abenteuerspielplatz oder eine restaurierte Ausgrabungsstelle von den Dreharbeiten zu Indiana Jones und das Königreich der Kristallschädel sind in Wahrheit die Kristallwelten von Swarovski. Habe ich eigentlich schon mal „Verisimilität" gesagt? Egal, ich sag's noch mal: Dieses Drehbuch ist einfach nicht glaubwürdig. Welcher einzelne Mensch würde sich tatsächlich für alle diese Dinge interessieren? Spätestens hier hat es mich verloren—jetzt mal völlig unabhängig vom Geschmack (was glaube ich auch die Tagline der Swarovski-Kristallwelten ist).

Wenn man durch Österreich reist, kommt man offenbar nicht dran vorbei, wie ein Talkshow-Schamane über Oberflächen zu tasten. Ich kenne solche Aufnahmen sonst jedenfalls nur aus dem Verkaufsfernsehen, wo mit der gleichen Geste und dem selben Blick Faltencremen in alternde Oberschenkel einmassiert werden.

Am Ende der Reise trägt mein neuer Bohemien-Bruder (wir sind uns inzwischen auf Stockholm-Syndrom-Art sehr nahe gekommen) wieder dasselbe Outfit wie zu Beginn—und immer noch nicht mehr als einen Rucksack am Rücken. Sein Sack muss inzwischen zu einem Feuchtbiotop herangereift sein. Wie viel Zeit ist vergangen? Wie viele Menschen hat er „kennengelernt"—und anschließend aus seinem Tagebuch gestrichen? Wir werden es nie erfahren. Aber bevor er in den Zug nachhause einsteigt (der diesmal übrigens ein ÖBB-Wagen ist) hält er doch noch mal inne—und einen kleinen Twist für uns bereit.

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Im letzten Moment entschließt er sich dazu, nicht sich selbst, sondern nur sein Notizbuch auf die Reise nachhause zu schicken. Ich bin mir inzwischen fast sicher, dass es sich bei dem Video um das Prequel zu irgendeinem Horror-Franchise handelt und das Buch als Necronomicon später in Evil Dead auftaucht.

Für mich sind die letzten Sekunden des Videos gleichzeitig die wichtigsten. Am Ende verschwindet das Abenteuer unseres Freundes, der natürlich nie wieder nachhause will und stattdessen bis in alle Ewigkeit einen See streichelt, in das „große Buch Österreich" ein. Die Botschaft: In Österreich kann jeder seine eigene Geschichte schreiben.

Bezeichnenderweise ist das Buch, wie wir beim Zuschlagen sehen, ansonsten komplett leer—auch alle bisherigen Seiten. Botschaft: In Österreich hat bisher noch niemand Geschichte geschrieben und wer war noch mal dieser Hitler.

Österreich will Folklore ohne Geschichte, Kultur ohne Hintergründe und lebensfrohe Bohemiens ohne kritische Lebensentwürfe.

Nichts könnte den Spagat, den Österreich als Land und als Marke versucht, besser auf den Punkt bringen: Österreich will einerseits die leicht bekömmliche, kulturell wertvolle Slideshow sein—und andererseits die vergangenen Slides am liebsten leer lassen. Österreich will Folklore ohne Geschichte, Kultur ohne Hintergründe, aber zum Angreifen und lebensfrohe Bohemiens ohne kritische Lebensentwürfe.

Österreich will hören, dass es toll ist und das Granteln sich selbst vorbehalten. Genau wie die Figur im Video will es überall mitmischen, jeden kennen, sich verzaubern lassen. Und genau wie die Figur im Video macht auch unser Land dabei einen etwas planlosen Eindruck. Aber natürlich hat es die Österreich Werbung auch nicht ganz einfach mit seinem Patienten—der irgendwie wir alle sind, auch wenn sich die wenigsten angesprochen fühlen werden. Wie war das mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung? Ob der Spin in Richtung „Finde Inspiration" gelungen ist, muss Österreich wohl für sich selbst entscheiden.

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