Pegida in Graz, oder: Dschihad gegen den Umweltschutz
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Pegida in Graz, oder: Dschihad gegen den Umweltschutz

Am Sonntag hatte die Pegida mit ihrem „Spaziergang" in einer neuen Stadt Premiere. Wir haben sowohl Befürworter als auch Gegner in Graz gefragt, warum sie eigentlich hier sind.

Alles zum Thema Pegida findet ihr hier.

Nach ähnlichen Veranstaltungen in Wien und Innsbruck versammelten sich die „Patriotischen Europäer Gegen Die Islamisierung Des Abendlandes" am 29. März auch in Graz zu einer Kundgebung. Aus dem „Flächenbrand", den man laut einer Rede bei der Innsbrucker Demo entfachen wollte, wurde wieder mal nichts—nur nach allerfreundlichster Schätzung waren es 300 Abendländer, die sich am Freiheitsplatz trafen, um ihrer Sorge um die drohende Islamisierung ihrer Heimat Ausdruck zu verleihen. Die Anzahl von 150 kommt, nach Abzug aller Pressefotografen und interessierter Unbeteiligter, meiner Einschätzung nach eher hin.

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Zur Gegendemo versammelten sich 1.000 bis 2.000 Personen. Der Versuch der Polizei, die beiden Versammlungen räumlich und zeitlich komplett zu trennen, schlug vorhersehbarerweise fehl. Obwohl der Demonstrationszug der Offensive gegen Rechts zwei Stunden vor der Pegida-Veranstaltung begann—und trotz einer Sperrzone quer durch die Grazer Altstadt—, gelang es den Gegendemonstranten, zumindest in Sichtweite der so sehr bedrohten Abendländer zu kommen.

Im Dienste der Wahrheitsfindung hatte ich mich als etwas verkleidet, von dem ich hoffte, es würde mich Pegida-Angehörigen gegenüber schlimmstenfalls als harmlosen Vertreter der Lügenpresse ausweisen, Polizeibeamten gegenüber als einfachen Passanten, den man bedenkenlos durch jede Absperrung lassen kann, und Gegendemonstranten gegenüber doch noch als einen der ihren. So wollte ich Wortspenden und Stimmungsbilder von beiden Seiten einfangen. Dieser Plan ging leider massiv nach hinten los.

Als ich nämlich das Gehege der bedrohten Patrioten an jener Stelle verlassen wollte, an der ein Polizeikordon die „Linksfaschisten" (O-Ton von Pegida-Sprecher Werner Wirth) von der Gegendemo davon abhielt, in den Sperrbezirk einzudringen, wurde ich, wohl anhand meines schlecht sitzenden Konfirmandenanzugs, von einigen Demonstranten fälschlich als entweder Zivilbulle oder Pegida-Angehöriger identifiziert.

So kam ich tatsächlich einmal in meinem Leben in die Lage, mich physisch gegen Freunde der offenen Gesellschaft zur Wehr setzen zu müssen, die mich mittels spontaner Einkesselung kurzfristig am Weiterkommen hindern wollten. Dass mir später von Bekannten bestätigt wurde, ich sähe gerade wirklich so aus, dass man mir den verzweifelten Patrioten abkaufen würde, wenn man mich nicht zufällig kennen würde, machte die Sache nicht besser. Die Unehre! Nie wieder Krawatte!

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Aber immerhin: Die folgenden Wortspenden konnte ich immerhin doch einsammeln. Sie alle sind Antworten auf die Frage „Warum bist Du heute hier?"

Gegendemo, ca. 12:00, Griesplatz:

„Ich hab gelesen, dass es zur Eingewöhnung auf die Sommerzeit wichtig ist, viel Sonne abzukriegen. Deshalb, habe ich mir gedacht, mach ich einen Sonntagsspaziergang."

„Weil jede Menschenverhetzung auch Menschenverachtung ist."

„Rassismus ist etwas Veraltetes und gehört sich nicht. Warum soll jemand von wo anders schlechter sein? … Außerdem habe ich die Vermutung, dass bei Pegida großteils Neonazis sind."

„Gegenfrage: Wieso dürfen die Pegidas in der Innenstadt rumlaufen, und wir stehen da am Griesplatz?"

„Ich bin Demotourist. Als ich in Frankfurt bei der Gegendemo zu Pegida war, da hat die Polizei zumindest zugelassen, dass die Demos sich sehen. Da gabs zwei-drei Barrikadenreihen, aber das wars dann. Da konnte man versuchen, die Redner drüben zu übertönen."

„Wichtig ist, Zeichen zu setzen gegen den Hass, der von Pegida geschürt wird. Statt rassistischer Spaltung braucht man ein Miteinander für mehr soziale Gerechtigkeit."

Pegida, ca. 14:00, Freiheitsplatz:

„Wir sind hier, weil es die erste Pegida-Demo in Graz ist. Wir waren auch in Wien dabei." - "Kann es sein, dass Ihr aus Sachsen kommt?" - "Yup."

„Wegen der Meinungsfreiheit. Dass das Volk wieder gehört wird."

„Ich bin gegen die Islamisierung. Ich liebe Pegida. Ich stehe zu meiner Heimat. Und wir sind das Volk." (Das kam als O-Ton, wie aus der Pistole geschossen, genau so.)

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„Weil wir Österreicher auch einmal zu unserem Recht kommen müssen. Es heißt immer Gleichberechtigung, Gleichberechtigung … Aber Österreich ist nicht mehr gleichberechtigt."

Was von diesem Sonntag in Graz bleibt, sind vor allem mehr Fragen: Mit wem ist Österreich nicht mehr gleichberechtigt? Kennen sich linke und rechte Demotouristen vom Zugfahren? Wie hätte ich mich anziehen sollen, um für die Gegendemonstranten nicht wie ein Pegida-Anhänger auszusehen?

Außerdem frage ich mich, ob jener Redner bei Pegida, der mit einem Koran wackelte und dabei Dinge rief wie: „Mein Kampf ist Kinderfasching gegen das hier. Weil hier wird das Töten legitimiert. Das Kopfabschneiden. Dieses Buch muss entschärft werden. Oder es muss verboten werden!" eigentlich weiß, was in Mein Kampf so alles drinsteht? Oder auch nur im Alten Testament? Was will uns der Spruch „Aufklärung, Menschenrechte und Umweltschutz statt Dschihad!" sagen, den ein Pegida-Anhänger auf seinem Schild vor sich her trug? Dass der Prophet seiner Meinung nach gegen Mülltrennung war?

Vor allem aber: Wenn man einer Bewegung angehört, die von sich behauptet, „das Volk" zu repräsentieren, aber durch ein massives Polizeiaufgebot von einer vielfachen Überzahl an Gegnern abgeschirmt werden muss—und wenn man außerdem die eigene Meinungsfreiheit in Gefahr sieht, während man seine Thesen in allen Massenmedien und politischen Gremien wiedergekäut findet—, was muss man dann einnehmen, um mit dieser kognitiven Dissonanz fertigzuwerden?

Stefan auf Twitter: @shmizza