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Die Café-Prückel-Homo-Verschwörung

Wir haben versucht herauszufinden, was im Café Prückel wirklich passiert ist.

Ja, das ist ein etwas längerer Artikel. Aber er beinhaltet ein paar Hintergrundinfos zu Österreichs Aufreger-Geschichte Nummer 1 von letzter Woche und dem darauf folgenden Backlash. Weil in den letzten Tagen die unterschiedlichsten Gerüchte, Vermutungen und Verschwörungstheorien aufgetaucht sind, haben wir versucht, die ganze Geschichte so gut es geht noch einmal aufzurollen.

Das Café Prückel verweist Homosexuelle des Lokals. Protest vorm Café für nächsten Freitag angekündigt. — Gregor (@Der_Gregor)January 10, 2015

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Als bräuchten wir noch einen Beweis, dass sich Journalismus revolutioniert hat, haben wir auch vom Vorfall im Café Prückel zum ersten Mal auf Twitter gelesen. Für uns ist die Gleichheit der Menschen einer der wenigen Grundsätze, auf die wir uns intern alle einigen können. Jemanden auf Grund der Sexualität, der Hautfarbe oder der Religion zu diskriminieren, macht uns wütend und es lohnt sich, im Sinne einer besseren Welt, dagegen vorzugehen. Natürlich gibt es zahllose andere wichtige Dinge, ihr großen Relativierer von allem und jedem, aber das heißt noch lange nicht, dass die Gleichheit von Menschen kein Wert ist, für den man kämpfen soll. Hanna hat für ihren ersten Artikel sowohl die beiden Frauen kontaktiert, als auch, nach langem Durchhalten in der Warteschleife, die Geschäftsführerin des Café Prückels erreicht. Auf die Frage, ob sie wirklich die „Zurschaustellung von Andersartigkeit" als Grund für den Rauswurf genannt habe, bestreitet das Frau Sedlar nicht. Sie gibt nur an, sie könne sich nicht mehr ganz genau erinnern. Und fügt hinzu: „Ich finde es traurig, dass sie ihre Zuneigung öffentlich kundgeben müssen. Man kann alles von zwei Seiten sehen. Sie haben sich gemobbt gefühlt, weil wir sie angegangen sind, wir haben uns gemobbt gefühlt, weil sie hier rumgemacht haben." Aber das steht schon alles so in dem Artikel, der ziemlich zeitgleich mit einer Meldung auf ORF.at erscheint. Die Redaktion von wien.ORF.at hat auch mit Sedlar gesprochen, die hier mit den Worten „Aber man muss ja nicht öffentlich so zeigen, dass man zusammengehört." zitiert wird.
Schon zu diesem Zeitpunkt ist klar, dass der Vorfallrein juristisch laut aktueller Gesetzeslage völlig irrelevant ist, denn es gilt das Hausrecht und Frau Seldar kann rausschmeißen, wen sie will.

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Besagter Tweet wird aber bereits am Samstag, den 10. Jänner um 11:41 Uhr am Abend veröffentlicht. Mit dem Link zu einem FB-Protestevent. Das Event, an dem eine Woche später knapp 8.000 Menschen teilnehmen werden, hat zu diesem Zeitpunkt noch keine 300 Zusagen. Ursprünglich, so die beiden betroffenen Frauen, sei das ganze als Kundgebung der Community gedacht gewesen. Dazu passt, dass das erste Medium, das die Geschichte aufgreift, der queere Blog thinkoutsidethebox ist, wo ein Blogpost inklusive Demoaufruf am Sonntag um 9:36 online geht. Oliver, der Betreiber des Blogs, erklärt, dass er von Anastasia am späten Abend auf FB kontaktiert worden sei, die Nachricht am nächsten Tag in der Früh gelesen und dann den Artikel online gestellt habe. Am Sonntagabend wird die Geschichte des Vorfalls auf FB und Twitter bereits heiß diskutiert und am Montag folgen beinahe alle großen Medien mit eigenen Berichten. Eine Zusammenstellung der Wortmeldungen könnt ihr beim Gap lesen. Während das FB-Event im Laufe der Woche immer mehr Zusagen bekommt, dreht sich der Diskurs hauptsächlich um die Frage, wie stark geschmust wurde. Die FPÖ greift das Thema für eine Presseaussendung auf und stellt sich mit den Worten: „Wird wohl ka Zwickerbusserl g'wesn sein, sondern a solider Zungenpritschler." auf die Seite des Cafés. Natürlich eine Vermutung, aber offensichtlich spricht die bis zu diesem Zeitpunkt nicht belegte Aussage vielen Menschen aus dem Herzen. Montag greifen wir die Frage auf, ob schmusende heteresexuelle Paare auch als anstößig wahrgenommen werden und versuchen, mittels exzessiven Küssens, auch aus diversen Kaffeehäusern geschmissen zu werden. Mit bescheidenem Erfolg. Wenn Mann und Frau schmusen—egal wie provokant—ist es zumindest in unseren Fällen allen komplett egal. Am Donnerstag entschuldigt sich Christl Sedlar in einer Aussendung „in aller Form" und sagt, sie habe „überzogen" reagiert. Sie bleibt jedoch laut Standard auch bei ihrer Begründung, dass sie das Verhalten der beiden Frauen als völlig unangemessen und provokant erlebt habe.
Die beiden betroffenen Frauen nehmen die „Entschuldigung" der Prückel-Geschäftsführerin nicht an und am Freitag finden sich mehr als 2.000 Menschen—unter ihnen auch zahlreiche Vertreter der Politik— zu einer Kundgebung vor dem Prückel ein.
Die Organisatoren sprechen davon, für mehr Freiheit und Toleranz und nicht gegen das Prückel zu demonstrieren. Der Abend verläuft friedlich, der Sachschaden (die Wand des Cafés wurde mit dem Slogan „Smash Homophobia" besprüht) soll schon vor der Kundgebung entstanden sein. So weit so gut. Aber im Laufe des Wochenendes kocht die Diskussion online erneut hoch und der bisherige Hergang der Ereignisse wird massiv bezweifelt. Dabei wird hauptsächlich das Ausmaß des Kusses und die Frage, ob es sich bei dem Vorfall um eine geplante Aktion handelt, diskutiert.

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1. Zwickerbusserl oder Zungenpritschler

Wir haben bis jetzt zwei scheinbare Belege gefunden, dass es eher der Zungenpritschler und nicht das Begrüßungsbussi war, von dem die beiden Frauen gesprochen haben.

Dieser Post von Samstag Abend wird überall als Augenzeugenbericht tituliert. Tatsache ist aber, dass der Augenzeuge bis jetzt nicht auffindbar war. Sieben Minuten später postet Biedermann: „Aja, damit keine Missverständnisse entstehen: Mir is das an sich alles vollkommen blunzn, aber nachdem ich diese Info erhalten hab dachte ich, es interessiert vielleicht ein paar Leute." Es handelt sich bei seinem Bericht also laut eigenen Angaben um eine Nacherzählung. Woher er die Informationen hat, wollte Biedermann uns auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht verraten.

Also schauen wir uns den Post genauer an.
Interessant ist, dass die Person knapp eine Woche wartet, bis sie ihre Version der Geschichte erzählt. Wir hätten gerne gewusst, warum, aber Biedermann reagiert nicht auf unsere Fragen.
Im Posting ist außerdem von einem Geschäftsführer die Rede und dass mit „ihm" gestritten worden sei. Frau Sedlar ist aber eindeutig eine Frau.
Weiters ist von einem Radio Wien Reporter die Rede, der sofort ein Interview gemacht haben soll. Als wir bei Radio Wien anrufen, weiß man dort von besagtem Reporter allerdings nichts, dort habe man über den Vorfall durch eine APA-Meldung erfahren. Auch die beiden Frauen haben laut eigenen Angaben dort kein Interview gegeben. Und auch Robert Sass, ein weiterer Verterter der These, ein Radio Wien Reporter sei im Café gewesen, reagiert nicht auf die Nachfrage.

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Obwohl bei dem Post sehr viele Fragen offen bleiben, verbreitet es sich schnell weiter—oft ganz ohne Angaben von Quellen. Zum Beispiel könnte man bei dem Comment von Günter Eberl unter dem VICE Artikel glauben, dieser scheinbare Augenzeugenbericht stamme von ihm.

Das zweite Posting, das auf ausschweifende sexuelle Handlungen hindeutet, ist da schon etwas spannender. Der Künstler Erich Mangl veröffentlicht auf seiner Page einen Screenshot eines Postings von Stephanie Buddenbrock mit dem Hinweis, dass es gelöscht worden sei. Auf Nachfrage gibt er an, das „Posting am 16.1. um 15:18 gespeichert" zu haben, „da war es ca. 1 Stunde alt - hatte so eine Ahnung, dass es nicht lange online sein wird". Ein Beleg dafür, dass das Posting gelöscht wurde, findet sich auch hier auf diesem Screenshot.

Nach mehreren Versuchen erreichen wir auch die Person, die das FB Posting ursprünglich verfasst hat. Sie bekräftigt ihre Version der Geschichte mit den Worten: „ They were being inappropriate! They were ,making out' and it got more and more extreme within short time… Tongues and touching thighs etc.. " und „FROM WHAT I COULD I SEE, was a usual pissy viennese cafe waiter… but they were obviously pissing HIM off on purpose."

Auf die Frage, ob ein Reporter im Kaffeehaus gewesen sei, antwortet sie mit „I don't know." und sie kann sich auch nicht erinnern, an welchem Tag der Vorfall passiert sei, da sie sehr oft im Prückel sei. Zum Zeitpunkt des Vorfalls war sie nicht in Belgeitung, es ist also schwierig, einen weiteren Beleg für ihre Version der Ereignisse zu finden.

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2. Bei dem Vorfall handelt es sich um eine geplante Aktion. Es sei gezielt provoziert worden um daraus politisches Kapital zu schlagen.

Dass versucht wurde, den Vorfall für die Politik zu instrumentalisieren, ist unbestreitbar. Die FPÖ verschickt eine Presseaussendung und SPÖ, Grüne und Neos nehmen an der Kundgebung teil. Es war wohl auch so etwas wie der inoffizielle Startschuss für den Wien-Wahlkampf. Doch woher die Behauptung, es sei eine geplante Aktion gewesen, ist wie immer bei einschlägigen Theorien im Internet fast unmöglich, herauszufinden.
So weit ich das in meiner eigenen kleinen Blase sehe, kämpfte Luke Lametta zumindest an vorderster Front mit. Am Samstag Vormittag postet er den Link zum VICE Posting und spricht von „politisch und va. SocialMedia-technisch bestens verzahnten Agitprop-Lesben".
In den Comments darunter führt er seinen Standpunkt weiter aus: „Wie das Sozen-Bootcamp ,a'k's Wien' festhält: ,Wir bedanken uns bei allen Organisationen, die uns finanziell unterstützen: Queer Business Women, an.schläge, HOSI Wien, Österreichische Hochschüler_innenschaft, SPÖ, Grüne - und NEOS.' Flashmob aller debilen Linken in town - und halt die Liberalalas, wie immer als fünftes Radl mit dabei, wenn mal etwas Haltung gefragt wäre. So unterhaltsam wie antizipierbar. Es steht die Frage im Raum, ob ihnen diese windelweichen Positionierungen am Wählermarkt eher nutzen oder schaden. Ich glaub ja, die sind sich ihrer Sache da ein wenig zu sicher…" Etwas weiter unten tauchen auch die ersten Vermutungen auf, dass es sich um ein abgekartetes Spiel handelt. Zu diesem Zeitpunkt ist es halb 11 am Vormittag. Auf Nachfrage sagt Luke am Nachmittag: „die Debatte is so schwindlig, zumal noch nicht mal einer weiß, was da wirklich lief - es gibt die Aussagen der beiden bis in die Haarspitzen ,politisch' motivierten Tanten. Darauf stützt sich der komplette Popanz. Völlig irre." und „die ganze story klingt einfach total fake, niemand fliegt wegen Begrüßungsbussis" und „die Version dieser Buddenbrooks-Tante klang irgendwie deutlich plausibler." Kurze Zeit später wird auf dem Facebook Profil von Markus Lust die Diskussion aufgegriffen, als Ernst Fröhlich schreibt: „Schade dass seriöser Journalismus in Österreich unfinanzierbar ist. Für eine Aufregerschlagzeile riskiert der österreichische ,Journalist' schon mal die Existenz einer Kaffeehausbesitzerin. Seriös recherchieren und die Fakten berichten sollen halt die anderen…" Auch unter dem Post der Neos wird seit Samstag Nachmittag viel von einer geplanten Aktion geschrieben. Am Sonntag Nachmittag schaltet sich auch noch Manfred Klimek in die Diskussion ein.
„Mir liegen zu der Prückel-Story immer mehr Informationen vor, dass diese Aktion Vorsatz hatte. Dazu sei eine sehr provokante Art des Küssens und Anfassens gewählt worden, die knapp unter der Grenze zur Pornografie lag, erzählen Zeugen, die keineswegs dem gegnerischen Lager angehören. Für einige Gäste sah es nach gezielter Aktion aus; aus inzwischen gelöschten Threads soll man entnehmen können, dass dies auch in anderen Lokalen geplant war (oder schon durchgeführt wurde), bis eine ablehnende Reaktion einzuholen sei. Ist das keine Story Florian Klenk? Ich habe dazu keine eideutige Ansicht, den Agtiprop war ja immer Teil der Linken.." Auf Anfrage konkretisiert er seinen Vorwurf und sagt, er habe Informationen, dass bereits im Café Engländer der Versuch einer gezielten Provokation unternommen worden sei. Als die Schmusenden dort ignoriert wurden, habe man es im Prückel probiert. Die beiden Frauen erklären uns auf Nachfrage, dass sie erst NACH dem Vorfall im Prückel das erste Mal gemeinsam im Café Engländer gewesen sein—nämlich mit Freunden nach ihrem ZIB Interview zu dem Vorfall. Beim Engländer konnte uns keine Auskunft erteilt werden, als wir anrufen.

Wir waren auch versucht, wie die arroganten „Systemmedien" zu handeln und die Vorwürfe als wirre Meldungen von ein paar Spinnern abzutun, über die es sich nicht weiter zu brichten lohnt.

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Warum ist dieser Artikel so wichtig, der mit seinen fünf Seiten viel zu lang ist, um bis zum Ende gelesen zu werden? Weil wir auch versucht waren, wie die arroganten „Systemmedien" zu handeln und die Vorwürfe als wirre Meldungen von ein paar Spinnern abzutun, über die es sich nicht weiter zu brichten lohnt. Aber das ist ein genauso schlimmer Fehler, wie die 25 Prozent der Österreicher, die die FPÖ wählen, wie Idioten zu behandeln, die es nie lernen werden. Stattdessen haben wir beschlossen, die Vorwürfe ernst zu nehmen und uns mit ihnen auseinanderzusetzen.

Vorwürfe, wie wir sie hier lesen, sind natürlich nicht neu. Das Internet ist voller Theorien. Zu allem und jedem. Aber auch, wenn die Skeptiker, die im Nachhinein Bedenken an der offiziellen Version des „Pritschler-Gate" angemeldet haben, nicht so zahlreich sind wie die 2.000 Teilnehmer an der Demo, ist ihre Position unüberhörbar.

Die wichtigste Frage für uns als Medium ist aber nicht, ob man eher ihnen oder doch den beiden Schmuserinnen glauben sollte. Das Entscheidende ist, ob es über reine Glaubensfragen hinaus konkrete Beweise in eine von beiden Versionen gibt. Und so sehr sich die Zweifler auch sicher und einig sind, gab es auf unsere Nachfrage niemanden, der über gerüchteweises Wissen hinaus tatsächlich einen Beleg für die alternative Version hatte. Maximal steht hier Aussage gegen Aussage.

Die Skeptiker sagen, hier würde jemand eine alte Frau zum Sündenbock stilisieren, nur weil diese medial ein bisschen ungeschickt reagiert hätte. Tatsächlich wissen wir aus zwei unabhängigen Interviews, dass sie es in Bezug auf die beiden Schmusenden „traurig [findet], dass sie ihre Zuneigung öffentlich kundgeben müssen."

Die Skeptiker behaupten, es gäbe Augenzeugenberichte, die bestätigen würden, dass das Verhalten der beiden Schmusenden provokant gewesen wäre—andere Homosexuelle seien immerhin seit vielen Jahren Stammgäste und hätten noch nie irgendeine Art von Diskriminierung erfahren. Tatsächlich gab es aber schon 2005 einen ähnlichen Fall.

Unabhängig davon, was sich beweisen oder widerlegen lässt, müssen wir uns als Gesellschaft die Frage stellen, wie schnell wir mit Verurteilungen umgehen—aber das gilt eben nicht nur für die Prückel-Politik in Bezug auf homosexuelles Schmusen, sondern auch für die beiden Schmusenden. Ihnen wird, weil Anastasia für die AKS arbeitet, sofort eine Agenda unterstellt, während bei allen FB Postings diese Frage nicht einmal gestellt wird. Die ganze Diskussion zeigt, dass wir hier in Österreich zwar gerne Conchita Wurst sind—und leider auch immer ein bisschen Cafe Prückel.